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Familiennachzug für Flüchtlinge
"Das bricht mit menschenrechtlichen Ansprüchen"

Die Grünen kritisieren die Einschränkung des Familiennachzugs für Flüchtlinge. Damit werde nicht nur Integration blockiert, sondern an Menschenrechten gerührt, sagte die flüchtlingspolitische Sprecherin der Partei, Luise Amtsberg, im DLF. Sie forderte den Bund auf, die Kommunen bei der Flüchtlingsarbeit stärker zu unterstützen.

Luise Amtsberg im Gespräch mit Ute Meyer | 20.03.2017
    Luise Amtsberg (Grüne)
    Luise Amtsberg (Grüne) (dpa)
    Die Kommunen hätten zwar Probleme, von einer Überforderung bei der Flüchtlingsaufnahme könne derzeit keine Rede sein, so Amtsberg. Der Bund müsse sich finanziell stärker einbringen, etwa bei der Realisierung von Sprachkursen. "Das sind große Anstrengungen, aber das Verfassungsrecht und der Anspruch, dass Menschen in Würde leben können, rechtfertigt die Anstrengungen." Ihre Partei fordere, die Beschränkung aufzugeben und zur Regelung vor dem Asylpaket zurückzukommen.
    Es gehe nicht darum, dass "ein Familienverbund von fünf Menschen kommt". Aber die Kernfamilie zusammenzuführen, sollte leistbar sein. Es wirke sich begünstigend auf die Integrationsfähigkeit aus, weil es dann innerhalb der Familie Unterstützung füreinander gebe, so Amtsberg.

    Das Interview in voller Länge:
    Ute Meyer: Das Thema Flüchtlinge beschäftigt uns weiterhin, sowohl auf internationaler Ebene wie im Inland, und ich spreche dazu jetzt mit Luise Amtsberg von den Grünen. Sie ist Bundestagsabgeordnete und flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion.
    Frau Amtsberg, dieser eingeschränkte Familiennachzug, ist das eine notwendige Notbremse, um die Zahl der Flüchtlinge, die hier herkommen, zu begrenzen, oder ist das schlichtweg inhuman?
    Luise Amtsberg: Wir als grüne Bundestagsfraktion finden diesen Weg ganz, ganz schlecht, weil er nicht nur integrationspolitisch blockierend und hemmend ist, sondern auch eine ganze Reihe von Ansprüchen, die wir uns selber gegeben haben, im Bereich der Menschenrechte brechen. Deshalb kritisieren wir das scharf und glauben auch, dass es nicht dabei hilft, Menschen tatsächlich in Deutschland ankommen zu lassen, sondern im Gegenteil dazu führt, dass viele Menschen hier in ständiger Sorge um ihre Familienmitglieder im Kriegsgebiet oder in den Anrainerstaaten leben müssen.
    Meyer: Dieses verschärfte Gesetz, das sogenannte Asylpaket II, ist ja vor einem Jahr auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise eingeführt worden, mit dem Argument, dass man etwas tun müsse, um den Flüchtlingszuzug zu begrenzen, weil einfach auch die Gesellschaft, wie wir sehen mussten, das nicht mehr so toleriert. Was sagen Sie dazu?
    "2.000 minderjährige Flüchtlinge, die ohne Familie leben müssen"
    Amtsberg: Ich glaube, dass es vor allen Dingen Sinn macht, sich die jetzige Situation anzugucken, und da kann man ja von einer Überforderung, was den Zuzug von Flüchtlingen angeht, nicht sprechen. Ich sehe das Problem, das viele Kommunen haben bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten. Deshalb ist bei uns auch ganz klar die Forderung mit dem Familiennachzug verbunden, dass auch der Bund stärker die Kommunen unterstützt, seiner Verantwortung auch gerecht wird, Sprachkurse tatsächlich zu finanzieren. Und man braucht da niemandem was vormachen: Das sind große Anstrengungen, integrationspolitisch. Aber wir glauben, dass ein Verfassungsrecht und auch der Anspruch, dass Menschen hier in Würde und mit ihrer Familie im Verbund leben können, diese Anstrengungen rechtfertigt und fordern daher von der Bundesregierung und der Großen Koalition natürlich, die Beschränkung beim Familiennachzug aufzugeben, weil es einfach nicht sein kann, dass wir hier über 2.000 minderjährige geflüchtete Kinder haben, die schlichtweg in den nächsten Jahren absehbar nicht mit ihren Familien zusammenleben können. Das ist nicht gute Menschenrechtspolitik und auch der sind wir verpflichtet am Ende des Tages.
    Meyer: Aber dennoch, um noch mal das Argument der Kommunen, das Sie ja auch schon eingebracht haben, anzuführen. Die sind ja immer noch damit beschäftigt, Unterkünfte zu bauen, Kita-Plätze zu finden, Flüchtlinge zum Teil auch noch anständig zu registrieren, auch wenn mehr Geld vom Bund käme. Und wie ich schon sagte: Das Empfinden der Deutschen ist vielleicht auch noch ein anderes. Die sehen das immer noch als große Krise. Was würden Sie diesen Menschen sagen, um sie von Ihrer Meinung zu überzeugen?
    "Es wirkt sich begünstigend auf das Integrieren aus"
    Amtsberg: Zunächst einmal sind das natürlich einige Stimmen, nicht alle. Es gibt auch viele Menschen, die schlichtweg nicht verstehen, warum Familien nicht zusammen leben können. Man muss nicht für jede Familie ansetzen, dass dort gleich ein Familienverbund von fünf Menschen kommt. Aber die Kernfamilie und der nächste Bezug sozusagen, oder die Eltern von Kindern, das sollte leistbar sein, zumal sich da auch so viel Unterstützung allein im Familienverbund deutlich bemerkbar machen würde, was die Integrationsfähigkeit der Menschen hier angeht. Diese Rechnungen aufzumachen, finde ich generell schwierig, weil wie gesagt der Grundanspruch ist erst mal ein Menschenrecht sicher. Aber ich glaube auch, dass die These, dass dadurch eine größere Überforderung stattfindet, dass die nicht stimmt, sondern dass es sich eher begünstigend auf das Ankommen und Integrieren von Menschen auswirkt.
    Und noch mal: Ja, es müssen viele finanzielle Anstrengungen und auch strukturelle Anstrengungen unternommen werden. Am Ende des Tages ist es aber trotzdem so, dass wir diese ganze Situation nicht nur innerdeutsch betrachten können, sondern auch gucken müssen, wie wir andere Staaten in Europa mit entlasten, wie wir auch Staaten wie die Türkei mit entlasten, wo über 400.000 syrische Kinder nicht geschult werden. Da können wir nicht einfach nur die deutsche Brille aufsetzen, sondern wir müssen uns im Konzert dieser verschiedenen Länder und Situationen an eine gemeinsame Lösung annähern. Und wenn hier schon Familie lebt, dann macht es Sinn, die Familien zusammenzuführen und gemeinsam diese Anstrengungen zu unternehmen, dass Integration auch gelingt.
    "Anerkennen, dass in Syrien Krieg herrscht"
    Meyer: Ein Argument der Union gegen die großzügigere Regelung beim Familiennachzug ist ja, dass falsche Anreize geschaffen werden könnten, zum Beispiel ganz gezielt minderjährige Kinder losgeschickt werden, damit die dann Eltern nachholen können, andere Familienangehörige nachholen. Haben Sie sich mit dieser Problematik befasst?
    Amtsberg: Natürlich haben wir uns mit der Problematik befasst. Aber es ist ja schon sehr auffällig, dass die Argumente in alle Richtungen gehen. Diejenigen, die ihre Kinder aus dem Kriegsgebiet losschicken nach Europa, stehen genauso in der Kritik wie diejenigen, die mit ihren Kindern gemeinsam auf die Flucht gehen, oder auch diejenigen, die ihre Kinder im Kriegsgebiet zurücklassen, nach Deutschland kommen und dann versuchen, ihre Familien nachzuholen. Ich finde diese Formen der Argumentation äußerst schwierig, weil wir einfach anerkennen müssen, dass in Syrien Krieg herrscht und die Menschen alles erdenklich Mögliche versuchen, um ihre Familien zu schützen. Was da der richtige Weg ist am Ende des Tages, oder auch wie ich als Mutter entscheiden würde, was der richtige Weg ist, das maße ich mir nicht an zu entscheiden. Aber ich finde es schon sehr perfide, immer wieder diese Vorwürfe in Richtung der Geflüchteten selbst zu machen, wo ich wirklich aus eigener Erfahrung sagen kann, dass dort niemand leichtfertig mit dem Schicksal von Kindern oder Familienangehörigen umgeht.
    Meyer: Was meinen Sie mit eigener Erfahrung? Haben Sie mit Flüchtlingen gesprochen?
    Legale Wege schaffen
    Amtsberg: Wir sind ständig im Austausch mit Geflüchteten, die hier in unseren Unterkünften leben, aber selbstverständlich auch in der Region vor Ort. Ich war vor kurzem in der Türkei, ich war auch schon im Libanon und in Jordanien, und das, was die Menschen dort berichten, ist, dass es immer eine wahnsinnig schwierige Abwägung ist: Mutet man es seinen Kindern, mutet man es sich selber zu, diesen gefährlichen Weg zu gehen. Deshalb ist für mich am Ende die Frage eher, wie können wir es schaffen, legale Wege zu ermöglichen, und der Familiennachzug, der ist eben einer. Und wenn die Union und auch die SPD sagen, wir wollen ordnen und steuern und wir wollen dort einen Überblick haben, dann ist doch der Familiennachzug der logische Schritt, weil dann wissen wir ganz genau, wer kommt, wo jemand hin möchte, wo er Bezüge hat, Familienbezüge, und wann er kommt und wie viele kommen. Das ist doch die Steuerung par excellence. Insofern würde ich mir da ein bisschen mehr Mut seitens der Bundesregierung wünschen.
    Meyer: Es wird ja unterschieden zwischen Flüchtlingen laut Genfer Konvention, die dürfen ihre engsten Familienangehörigen nachholen, und sogenannten subsidiär Schutzbedürftigen, die das zumindest vorerst nicht dürfen. Muss man denn aus Ihrer Sicht diese Unterscheidung abschaffen, oder für beide Gruppen Familiennachzug ermöglichen?
    Amtsberg: Nein. Die Unterscheidung abzuschaffen, ist nicht die Forderung. Man muss ja auch dazu sagen, bis zu dieser Einschränkung des Familiennachzugs haben die meisten syrischen geflüchteten Menschen in Deutschland ja den Schutz nach Genfer Flüchtlingskonvention bekommen, und mit der Einführung der Beschränkung im subsidiären Schutz wurde den syrischen Flüchtlingen zum großen Teil auch nur noch dieser zuerkannt. Das heißt, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Man hat eine gesetzliche Regelung geschaffen und dann versucht, die Gruppe derer zu erweitern, …
    Meyer: Sortiert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge da nach politischer Stimmungslage?
    Ein politisches Signal
    Amtsberg: Der Verdacht liegt zumindest nahe, weil wie sonst soll man sich erklären, dass mit Eintreten der Beschränkung des subsidiären Schutzes des Familiennachzugs plötzlich syrische Flüchtlinge auf einmal zu 75 Prozent nur noch diesen Schutz bekommen haben und vorher eben nicht. Der Verdacht liegt natürlich nahe. Es gibt dazu aber keine direkte Anweisung. Aber es ist natürlich schon der politische Wille gewesen, der uns auch vorher klar war. Wir haben das auch immer wieder kritisiert und gesagt, das führt am Ende dazu, dass die Syrer nur noch diesen nicht voll umfänglichen Schutz bekommen, sondern nur noch den subsidiären und damit eben ausgeschlossen sind vom Familiennachzug. Deshalb war uns von Anfang an klar, hier wird eine Regelung gemacht, um ein politisches Signal zu setzen und am Ende eben den Kreis derer zu beschränken, die ihre Familien nachholen dürfen. Das war sehr, sehr geplant und deshalb haben wir es auch von Anfang an kritisiert.
    Meyer: Luise Amtsberg war das, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Das Interview habe ich vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.