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Familienpolitik
Klöckner plädiert für "Landesfamiliengeld"

Julia Klöckner möchte die frei werdenden Mittel aus dem gekippten Betreuungsgeld auf Länderebene den Familien zukommen lassen. Die Länder sollten dann eigene Schwerpunkte setzen können, sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende im Deutschlandfunk. Mit Blick auf ihre Heimat Rheinland-Pfalz schlug sie ein Landesfamiliengeld vor.

Julia Klöckner im Gespräch mit Bettina Klein | 23.07.2015
    CDU-Politikerin Julia Klöckner spricht vor Mikrofonen
    Julia Klöckner ist Landesvorsitzende der CDU Rheinland-Pfalz und stellvertretende Bundesvorsitzende (picture alliance / dpa/ Bernd von Jutrczenka)
    Das Bundesverfassungsgericht hatte das von der CSU in der schwarz-gelben Koalition durchgesetzte Betreuungsgeld als unvereinbar mit dem Grundgesetz befunden. Nun wird darüber gestritten, was mit dem frei werdenden Geld passiert. "Die CDU hat eine festgelegte Position, dass das Geld bei den Familien bleiben soll", sagte die Landes- und Fraktionsvorsitzende der CDU in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, im Deutschlandfunk.
    "Der Zuspruch ist da - es gibt 450.000 Anträge"
    Klöckner setzt sich dafür ein, dass das Geld, das eigentlich aus dem Bundeshaushalt stammt, den Ländern zur Verfügung gestellt wird. "Das ist nichts Neues. Es gibt häufig Geld für die Länder", sagte Klöckner. Diese könnten dann über eine Leistung entscheiden. Dieses würde sie sich für Rheinland-Pfalz wünschen, womit sie die Position von CSU-Chef Horst Seehofer einnimmt, der die Leistung in Bayern ebenfalls auf Landesebene finanzieren möchte. Das bekräftigte auch der CSU-Landtagsabgeordnete Erwin Huber im Deutschlandfunk. Klöckner fordert die rheinland-pfälzische Landesregierung auf, sich beim Bund für die Mittel einzusetzen.
    "Wir brauchen Planungssicherheit für die betroffenen Eltern", sagte Klöckner. "Der Zuspruch ist da - es gibt 450.000 Anträge." Argumenten, dass Kinder durch die Betreuung zu Hause von einer frühkindlichen Bildung etwa in einer Kindertagesstätte ferngehalten werden, widersprach die CDU-Politikerin. "Es geht auch nicht darum, Frauen vom Arbeitsmarkt abhalten, das ist eine Unterstellung, die ist nicht in Ordnung", sagte Klöckner, die bereits am Mittwoch im Landtag von Rheinland-Pfalz für ihren Vorschlag eines Landesfamiliengelds geworben hatte: "Die Wahlfreiheit sollte gewährleistet sein." Die Arbeitswelt müsse familiengerecht werden - nicht umgekehrt.
    Andere Vorschläge: Kita-Ausbau und Unterstützung Alleinerziehender
    Der Städte- und Gemeindebund fordert derweil, die frei werdenden Mittel für das Betreuungsgeld zumindest teilweise in den Kita-Ausbau zu stecken. Damit wäre den Kommunen sehr geholfen, sagte der Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der "Passauer Neuen Presse". Peter Friedrich von der SPD Baden-Württemberg fordert, mit dem Geld Alleinerziehende besser zu unterstützen. "Wir sollten die 900 Millionen Euro, die für das Betreuungsgeld zur Verfügung stehen, nutzen, um einen Kindergeldzuschlag für Alleinerziehende einzuführen. Viele haben ein sehr geringes Einkommen, leiden unter dem höchsten Armutsrisiko", sagte er der "Schwäbischen Zeitung".

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Der Bund ist nicht zuständig, und nun sind die bis 2020 eingestellten fünf Milliarden im Bundeshaushalt offen für die weitere Verwendung. Um dieses Geld, das ursprünglich mal für das Betreuungsgeld vorgesehen war, reißen sich jetzt die Parteien mit ihren jeweiligen Vorstellungen, wie das Geld am besten einzusetzen sei und wie man es am sinnvollsten Familien zuführen kann. Kita-Ausbau, das scheint ganz klar die Devise der SPD zu sein. Manuela Schwesig hat es bereits anklingen lassen, es könnte in bestehende Förderprojekte fließen, und so sehen es auch die Grünen. Von der CSU in Bayern kommt die Forderung, das eigene künftige Landesbetreuungsgeld aus Bundesmitteln finanzieren zu lassen, und ähnlich hatte sich auch die stellvertretende CDU-Vorsitzende, Julia Klöckner, geäußert, die jetzt am Telefon ist. Schönen guten Morgen, Frau Klöckner!
    Julia Klöckner: Hallo, guten Morgen, Frau Klein!
    Klein: Wir hören aber insgesamt, die CDU hat noch keine festgelegte Position – weshalb eigentlich nicht?
    Klöckner: Die CDU hat eine festgelegte Position, dass das Geld bei den Familien bleiben soll, und jetzt muss man sich natürlich mit dem Koalitionspartner SPD einigen. Wir haben zum Beispiel in Rheinland-Pfalz den Fall, dass die Ministerpräsidentin sagte, dass Kinder, die zu Hause bleiben, der frühkindlichen Bildung ferngehalten werden, also wir sprechen von ein- und zweijährigen Kindern. Das sehen wir natürlich als Union anders, und deshalb sagen wir, es wäre gut – ich kann es jetzt für Rheinland-Pfalz sagen, für die Union –, wenn dieses Geld den Ländern zur Verfügung gestellt werden würde und man dort seine Schwerpunkte setzen würde. Ich zum Beispiel plädiere für ein Landesfamiliengeld.
    Klein: Aber wie soll das gehen, Frau Klöckner? Der Bund finanziert einzelne Landesprojekte mit Mitteln der Steuerzahler, die aus der ganzen Republik eingezahlt werden.
    "Der Zuspruch ist ja da"
    Klöckner: Das ist ja nichts Neues. Es gibt ja häufig Geld für die Länder, die für die Kommunen mitverantwortlich sind, und wir haben ja übrigens auch sehr unterschiedliche Vorgehensweisen beim Kita-Ausbau. Während verschiedenste Länder mit dem Geld, das der Bund zur Verfügung gestellt hat, sehr weit sind mit dem Kita-Ausbau, kann ich wieder für Rheinland-Pfalz sagen, da ist das Geld eben nicht direkt in die Kommunen vollumfänglich geflossen. Also da gibt es ja sehr unterschiedliche Schwerpunkte.
    Erstens, das Geld sollte bei den Familien bleiben, zweitens, Wahlfreiheit sollte gewährleistet sein, und jetzt wird es ja – wie Sie eben richtig sagten, im August/September – eine Einigung muss es da geben, das ist, glaube ich, ganz klar, relativ schnell. Zum einen brauchen wir natürlich auch Planungssicherheit für die betroffenen Eltern. Der Zuspruch ist ja da, es sind ja weit über 450.000 Anträge gestellt worden. Und jetzt muss man schauen, wer hat damit gerechnet, mit dem Geld, gibt es Vertrauensschutz, was ich für richtig halt, und dann ist in der Tat die Frage, bleibt das Geld beim Bund oder sagt der Bund, wofür es auch gute Argumente gibt, wir geben es an die Länder für den Bereich Familienpolitik.
    Klein: Gut, also Vertrauensschutz, da ist ja noch die eine Frage offen, was mit den Familien passieren soll, die das Geld beantragt, aber es noch nicht bewilligt bekommen haben. Das ist genau der Punkt, der noch offen ist, aber wir sprechen ja jetzt über das, was in den nächsten Jahren mit diesen fünf Milliarden passieren soll. Sie haben gestern schon getwittert, die Regierung in Rheinland-Pfalz solle sich bei der Bundesregierung melden und fordern, dass das Geld für ein Familiengeld, wie Sie dann das Betreuungsgeld nennen würden, eingesetzt werden sollte. Sie selber sind stellvertretende Bundesvorsitzende, haben Sie denn schon mal mit Ihrer Parteivorsitzenden gesprochen darüber?
    Klöckner: Ja, natürlich habe ich das gemacht. Ich habe ein Interview gegeben und wurde auch gefragt, welche Aufgaben jetzt natürlich auf Landesregierungen zukommen, und da erwarte ich natürlich von unserer Landesregierung, dass jeder natürlich seine Kanäle auch nutzt. Zum einen, dass die SPD-geführte Landesregierung mit der SPD-Familienministerin auf Bundesebene redet, und das habe ich natürlich umgekehrt auch mit meinem Parteikollegen getan und habe unseren Vorschlag auch vorgestellt, dass es doch gut wäre, wenn man das Geld a) bei den Familien ließe und b) dann natürlich auch überließe, wer welche Schwerpunkte damit setzt.
    "Im September muss man sich einigen"
    Klein: Jetzt können wir lesen, dass eigentlich schon ein Termin im August geplant war, wo das entschieden werden sollte, jetzt haben sich da offensichtlich die Fraktionsspitzen auf September vertagt, und der Verdacht steht so ein bisschen Raum, Frau Klöckner, dass man das alles hinauszögert, sich denn wohl nicht wird einigen können, denn die Auffassungen gehen weit auseinander, in der Hoffnung, das alles wird dann wieder zurückfließen in den allgemeinen Bundeshaushalt. Ist denn ausgeschlossen, dass es dazu kommt?
    Klöckner: Also erst mal, Verdacht kann ja immer da sein, auch wenn derjenige, der vielleicht einen ganz banalen Grund hat, wenn es einfach nur um Termine geht und dass Termine auch miteinander passen, auch wenn der diesen Verdacht überhaupt nicht schüren will. Also kurzum, es hilft ja nichts, etwas auf die lange Bank zu schieben. Ich meine, wir sind jetzt im Juli, jetzt kommt der Sommermonat und Ferienmonat, und im September muss man sich einigen. Auf die lange Bank schieben kann man es ja gar nicht, weil die Legislatur a) noch länger läuft und b), es muss ja eine Entscheidung getroffen werden. Ich kann nur sagen ...
    Klein: Also wir können davon ausgehen, es wird auf jeden Fall in die Familienpolitik fließe ...
    Klöckner: Ich kann nur sagen, was ich fordere, ich bin jetzt nicht allumfänglich für die Gedanken der SPD-Koalitionspartner auch zuständig. So läuft es doch bei allen Themen, dass man seine Ideen vorbringt, dass man Argumente dazu gibt und dass man dann miteinander verhandelt.
    Klein: Ja. Frau Klöckner, Sie haben einmal das Wort Wahlfreiheit verwendet, das ist vermutlich das, was sich die meisten Eltern wünschen, aber die Realität ist ja nicht Wahlfreiheit, sondern sind Zwänge, denen Eltern ausgesetzt sind, finanzielle Zwänge, berufliche, wenn sie das eine mit dem anderen nicht vereinbaren können oder Karrierenacheile erleiden, wenn sie ihre Kinder selbst nicht betreuen können und fehlende Kita-Plätze zu beklagen haben. Also für Wahlfreiheit muss doch an so vielen Baustellen gearbeitet werden, die nicht an diesen 150 Euro hängen?
    Klöckner: Sowohl, als auch. Also Wahlfreiheit wird, glaube ich, in einer sich verändernden Welt, in einer Welt, wo sich das Selbstverständnis auch von Vater und Mutter auch ändert – und übrigens auch Bedürfnisse von Kindern –, wird die Wahlfreiheit immer ein Prozess sein, an dem man arbeiten wird. Und das Gute ist, dass ja das Thema Kita-Betreuung und -Ausbau wirklich flächendeckend in ganz Deutschland eine große Rolle spielt und vorangeht.
    Ich stimme Ihnen absolut zu, wenn man jetzt aufgehört hätte mit dem Kita-Ausbau und würde dann das Geld nehmen, um es in Betreuungsgeld zu geben, das wäre sicherlich der falsche Weg. Aber wir haben ja überproportional viel mehr Geld in den Kita-Ausbau gesteckt jetzt, das ist richtig, und ich kann nur sagen, der Bund hat ja geliefert mit seinen Ein-Drittel-Zusagen – übrigens die Kommunen auch –, und bei einigen Ländern – und da bin ich wieder bei meinem Bundesland, in Rheinland-Pfalz –, da hat das Land, die Landesregierung eben nicht das eigene Geld in die Hand genommen. Und es kommt noch dazu, dass lieber Geld in Kinder gesteckt wird, in die Betreuungsqualität, als jetzt zum Beispiel in Beton, zum Beispiel Nürburgring, wo 500 Millionen Euro versenkt worden sind. Das wäre in der Tat besser in den Ausbau gesteckt worden, da haben Sie recht.
    "Quote ist das eine, aber Qualität ist das andere"
    Klein: Aber in Rheinland-Pfalz ist der Besuch des Kindergartens ab dem zweiten Lebensjahr immerhin beitragsfrei, das ist ja auch eine Entscheidung der jetzigen Landesregierung.
    Klöckner: Ja, kann man machen, aber Sie müssen es ja finanzieren, und das ist genau die Krux bei uns jetzt in Rheinland-Pfalz. Wir haben mit die schlechteste Kind-Erzieher-Relation, wir sind bei einer Bertelsmann-Stiftung bei einer Studie am unteren Ende, was die Sprachqualität, also die Förderung anbelangt, und deshalb sagen wir, Quote ist das eine, aber Qualität ist das andere. Und da müssen Landesregierungen natürlich auch ein klares Zeichen setzen, aber wir dürfen nicht Eltern gegeneinander ausspielen. Übrigens, beim Betreuungsgeld geht es ja um Kinder unter drei Jahren, und es geht nicht darum, ob man jetzt, wie auch die Ministerpräsidentin Dreyer sagte, Frauen jetzt lebenslang vom Arbeitsmarkt jetzt abhalten würde, und es gäbe zu Hause keine frühkindliche Bildung. Das ist eine Unterstellung, die ist nicht in Ordnung.
    Klein: Ja, aber wenn Sie das unterstützen wollen, dass Kinder zu Hause auch erzogen werden, was bringen denn 150 Euro? Das reicht bei Weitem nicht, um sich privat auch mal eine Teilzeitbetreuung zu organisieren. Und wenn es darum geht, Erziehungsleistung anzuerkennen und da einen Ausgleich herzustellen, da sind natürlich 150 Euro im Monat in den Augen vieler Eltern einfach lächerlich, dafür müsste viel mehr Geld in die Hand genommen werden.
    Klöckner: Also einmal kann man ja eines festhalten: Wenn man so argumentiert, wo Sie recht haben – ich meine, 150 Euro sind ja kein Äquivalent zur Erziehungsleistung –, dann stimmt aber das andere Argument gar nicht, dass Mütter und Väter scharenweise vom Arbeitsmarkt abgehalten worden wären. Ich bin auch ganz klar der Meinung, Familien müssen nicht arbeitsmarktgerechter werden, sondern der Arbeitsmarkt familiengerechter. Deshalb ist auch die Debatte um die 24-Stunden-Kita völlig falsch. Eltern erziehen ihre Kinder, also die Mehrheit der Eltern liebt doch ihre Kinder und macht es genau richtig, und das müssen sie selbst auch entscheiden. Und das machen sie, ganz gleich, ob sie eine Kita in Anspruch nehmen oder nicht in Anspruch nehmen. Und das hier ist eine Leistung – es gab früher ja in vielen Ländern auch Landesfamiliengelder, um das auch anzuerkennen, und wir haben auch festgestellt bei uns in Rheinland-Pfalz, dass ja das Geld nicht überwiegend oder nicht nur von denen in Anspruch genommen wird, die überhaupt nicht einer Tätigkeit außerhäusig nachgehen. Es wird zum Beispiel auch genutzt dort, wo in Randzeiten zum Beispiel kein Kita-Angebot da ist und wo man individuell zum Beispiel eine Tagesmutter nutzen kann, wo man zum Beispiel auch private Initiativen, die es gibt bei uns auch im ländlichen Raum, die eben nicht staatlich getragen sind, wo man dann das Geld dafür auch nutzen kann. Also das Leben ist ein bisschen vielfältiger, und wir sollten uns davor hüten, besser zu wissen, wie das Familienleben läuft.
    Klein: Frau Klöckner, viele, viele Punkte haben wir jetzt angerissen, Stoff für viele weitere Interviews, denke ich. Wir sind uns einig, viele Baustellen noch, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie angeht. Das war heute Morgen im Deutschlandfunk die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner zum Betreuungsgeld. Danke schön!
    Klöckner: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.