Dienstag, 16. April 2024

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Familienunternehmen
"Frauenanteil ist nicht einmal halb so hoch wie in DAX-Unternehmen"

Familienunternehmen geben bei weiblichen Führungskräften ein erschreckendes Bild ab, sagte Wiebke Ankersen von der Allbright-Stiftung im Dlf. Sie spricht von einem blinden Fleck. Es dürfe nicht mehr eine "Rekrutierungsschablone wie in den 50er-Jahren" verwendet werden und Potenzial links liegen gelassen.

Wiebke Ankersen im Gespräch mit Klemens Kindermann | 10.06.2020
Vier männlich wirkende Spielfiguren stehen in einer Reihe mit einer Lücke in der Mitte, davor steht eine weiblich wirkende Figur.
Der Frauenanteil in den Geschäftsführungen der 100 größten Familienunternehmen liegt bei 6,9 Prozent (imago images / allOver-MEV)
Familienunternehmen gelten als die Stütze und Rückgrat der deutschen Wirtschaft: Namen wie Aldi, Bosch, Oetker oder Haniel sind Aushängeschilder ihrer Branchen und prägen das Bild deutschen Unternehmertums oft über Generationen. Die gemeinnützige Allbright-Stiftung wirbt für Vielfalt und Frauen in den Führungsetagen der deutschen und schwedischen Wirtschaft.
In einer Studie der Stiftung wurde nun untersucht, welche Rolle Frauen bei der Führung der großen deutschen Familienunternehmen spielen. Wir haben Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der Stiftung, nach den Ergebnissen der Studie gefragt.
"Je transparenter das Unternehmen, desto höher der Frauenanteil"
Wiebke Ankersen: Der Frauenanteil in den Geschäftsführungen der 100 größten Familienunternehmen, die wir uns angesehen haben, ist extrem gering. Schon die deutschen Börsenunternehmen liegen ja im internationalen Vergleich weit zurück, aber in den Familienunternehmen ist der Frauenanteil noch nicht mal halb so hoch wie in den DAX-Unternehmen und liegt bei weniger als sieben Prozent – 6,9 Prozent, um genau zu sein.
Was wir da sehen, hat uns schon ein bisschen erschreckt. Wir haben ja geahnt, dass es ein sehr niedriger Frauenanteil ist. Aber diese niedrige Zahl zeigt uns doch, dass die Familienunternehmen sich zu wenig Gedanken darüber machen, wie Führung heute aussehen sollte.
Die Illustration zeigt eine Frau, die mit einem Hochsprung-Stab eine Treppe aufwärts überwindet.
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Klemens Kindermann: Sie haben die börsennotierten Unternehmen angesprochen. Einige Familienunternehmen sind ja auch an der Börse notiert. Gibt es denn da Unterschiede zwischen börsennotierten Familienunternehmen und nicht gelisteten Firmen, was die Präsenz von Frauen in Führungspositionen angeht?
Ankersen: Ja, da können wir ganz klar sehen: Transparenz hilft. Je transparenter das Unternehmen, desto höher auch der Frauenanteil. Die börsennotierten Familienunternehmen haben einen Frauenanteil in den Geschäftsführungen von etwas über zehn Prozent. Wenn man sich die Familienunternehmen anguckt, die zu 100 Prozent in Familienbesitz sind, dann liegt der Anteil nur bei 4,8 Prozent, und das ist ja doch ein deutlicher Unterschied. Das heißt, die Aufmerksamkeit oder die öffentliche Erwartungshaltung scheint zu wirken.
Ein Arbeiter der Belloli AG in der Werkstatt, am Freitag, 14. Dezember 2018, in Grono. Das seit ueber 100 Jahren bestehende Familienunternehmen ist spezialisiert auf die Lieferung von Maschinen und Material fuer Tunnelbau und Bauwesen im allgemeinen.
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"Diversity oder gemischte Führung wird nicht richtig ernst genommen"
Kindermann: Wie ist denn Ihre Erklärung? Warum spielen Frauen keine bedeutendere Rolle in der Führung von Familienunternehmen?
Ankersen: Es ist erst mal erstaunlich, weil die Familienunternehmen ja doch auch mit dem Anspruch an den Staat gehen, nicht nur profitorientiert, sondern auch gesellschaftlich verantwortlich zu wirtschaften. Und man muss ja ganz klar sagen: In dem Bereich Karrierechancen für Frauen gibt es da einen deutlichen "blind spot", würde ich das mal nennen. Es ist ihnen, glaube ich, gar nicht mal unbedingt immer so bewusst und sie müssen da dringend ran. Dass gerade bei den Familienunternehmen der Anteil so sehr viel geringer ist, liegt, glaube ich, daran: Es geht ja bei diesen Unternehmen immer um eine Balance von Tradition und Erneuerung. Sie haben es erwähnt: Viele der großen deutschen Familienunternehmen gibt es ja schon seit vielen Generationen. Und es ist ihnen dann über diese Generationen hinweg eigentlich immer gelungen – sonst hätten sie nicht überlebt -, die Zeichen der Zeit zu erkennen und pragmatisch zu nutzen.
In diesem Fall und bei diesem Thema haben wir den Eindruck, dass Diversity oder gemischte Führung bei vielen noch als Zeitgeist-Phänomen abgetan wird und nicht richtig ernst genommen wird, und das ist natürlich ein fataler Fehler, weil dann haben sie die Dimension dieser Frage nicht verstanden. Unsere Gesellschaft ist heute vielfältig, Frauen sind nicht mehr zuhause, sie sind in den Unternehmen. Hier geht es nicht um Zeitgeist; hier geht es um eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung, auf die man reagieren muss, und die Reaktion kann nicht sein, weiterhin eine Rekrutierungsschablone wie in den 50er-Jahren zu verwenden und damit dann das Potenzial von Frauen, aber auch Ostdeutschen oder Deutschen mit Migrationshintergrund – die kommen da alle nicht vor in der Geschäftsführung, die ja alle aber in den Unternehmen auch arbeiten -, das komplett links liegen zu lassen.
Weibliche Aufsichtsratsvorsitzende seien "Ausnahmeerscheinungen"
Kindermann: Liz Mohn bei Bertelsmann, Susanne Klatten bei BMW, Friede Springer bei Axel Springer – das sind ja Frauen, die als Erbinnen und Gesellschafterinnen machtvoll agieren. Das tun sie auch schon. Warum wirken die denn als Vorbilder nicht oder noch nicht genug?
Ankersen: Die sind zu wenige! Die sind einfach noch zu wenige! Die sind sehr präsent, und das ist natürlich auch immer ein bisschen trügerisch, weil dann natürlich leicht gesagt wird, da sind doch schon Frauen, das entwickelt sich doch. Aber sie sind extrem wenige. Das sind ja Aufsichtsrätinnen, die Sie jetzt erwähnt haben, und bei den wirklichen Machtpositionen, unter den Aufsichtsratsvorsitzenden haben wir gerade mal drei Familienfrauen. Das sind Simone Bagel-Trah bei Henkel, Bettina Wirth bei der Wirth-Gruppe, Cathrina Claas-Mühlhäuser bei Claas. Das sind absolute Ausnahmeerscheinungen – noch immer. Da braucht es mehr von!
"Unternehmen, die gemeinsam geführt werden, sind profitabler"
Kindermann: Frau Ankersen, was für Vorteile könnten denn Familienunternehmen durch eine stärkere Präsenz von Frauen in der Führung haben?
Ankersen: Das kann man klar sagen, dass sie sich da Chancen entgehen lassen. Führungsteams, die aus Männern und Frauen bestehen – da gibt es ja inzwischen jede Menge Untersuchungen zu, die das dokumentieren -, die liefern die besseren Ergebnisse am Ende, und zwar, weil ganz einfach unterschiedliche Erfahrungshorizonte und Sichtweisen zusammenkommen. Da wird dann mehr in Frage gestellt, es wird mehr diskutiert, und das führt dann auch zu einer besseren Entscheidungsfindung am Ende. Mehr Innovationskraft, es kommt mal was Neues dazu, und am Ende sind die Unternehmen, die dann von Männern und Frauen gemeinsam geführt werden, auch profitabler.
Kindermann: Welche Rolle spielen denn Netzwerke für Frauen aus Familienunternehmen? Gibt es die überhaupt?
Ankersen: Netzwerke speziell für Frauen aus Unternehmensfamilien?
Kindermann: Genau.
Ankersen: Die stärksten Netzwerke sind nach wie vor die, in denen die jetzigen Entscheider sich bewegen, und das sind natürlich zu 90 Prozent oder zu 93 Prozent in dem Fall hier Männer. Und das sind dann so Netzwerke wie zum Beispiel die Baden-Badener Unternehmergespräche oder andere. Da sind Frauen sehr schwach vertreten. Das ist natürlich ein Schlüsselelement. Da wird sehr stark über Vertrauen rekrutiert, man kennt sich, man weiß, mit wem man es zu tun hat, gerade in den Familienunternehmen, und das geht oft über diese Netzwerke und da sind Frauen so gut wie nicht vertreten. Das wäre absolut zu wünschen, dass dort schon sehr viel mehr Frauen eingeladen und mit reingenommen werden, damit diese Vertrauensverhältnisse entstehen können, aus denen heraus dann oft später rekrutiert wird.
Corona als Chance: "Sehr viel schneller mehr Frauen in die Teams holen"
Kindermann: Wir stecken ja aktuell wegen des Corona-Virus mittendrin in der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Ist das jetzt eine Chance für mehr Frauen in Führungspositionen in Familienunternehmen, oder eher nicht, weil man mit der aktuellen Lage beschäftigt ist?
Ankersen: Ja! Es gibt natürlich einen Impuls, in schwierigen Situationen auf das Gewohnte zurückzugreifen. Das sollte jetzt natürlich gerade nicht passieren, sondern die Führungsstrukturen müssen wie die Prozesse in den Unternehmen auch – all das kommt ja jetzt auf den Prüfstand und da sollte man ganz nüchtern analysieren, wie man sich jetzt für die Zukunft am besten aufstellt. Ich sehe das als große Chance, da sehr viel schneller sehr viel mehr Frauen auch in die Teams zu holen. Die Tatsache, dass die strategischen Entscheidungen in einem Unternehmen, in einem Familienunternehmen nicht von Kapitalmarkt und Investoren abhängen, sondern in erster Linie von den Prioritäten der Eigentümerfamilie, das ist ja auch eine Chance, dass, wenn sie umdenken und sehen, was sie davon haben, wenn sie eine gemischte Führung haben, das auch relativ schnell im Unternehmen durch- und umsetzen können.
Kindermann: Kurze Frage zum Schluss. Sie haben sich jetzt mit Deutschland beschäftigt. Gibt es leuchtende Beispiele in anderen Ländern?
Ankersen: Ja, ich kann direkt eines nennen, was in Deutschland ja recht bekannt ist. H&M zum Beispiel ist ja auch ein Familienunternehmen, ein schwedisches. Dort haben wir in der Geschäftsführung sechs Frauen und sieben Männer und die Vorsitzende der Geschäftsführung ist eine Frau. So ein Unternehmen haben wir hier in Deutschland überhaupt noch nicht gefunden, aber natürlich gibt es das. Natürlich geht das in anderen Ländern und ist auch hier zu erreichen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.