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Fan- und Vereinsvertreter: Den Fußballfan sollte man nicht anders behandeln

Marvin Kretzschmar, Vertreter der Faninitiative "12 Doppelpunkt 12", und Jürgen Hunke, Mitglied des Aufsichtsrats des HSV und Ex-Präsident, sind sich einig, dass der Dialog zunächst zwischen den Vereinen und Fans stattfinden sollte und ein Sicherheitskonzept für den Fußball nicht einfach durchgewunken werden könne.

Marvin Kretzschmar und Jürgen Hunke im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.12.2012
    Tobias Armbrüster: Am Telefon ist jetzt Jürgen Hunke, ehemaliger Präsident des Fußball-Bundesligisten HSV, heute dort Mitglied im Aufsichtsrat. Guten Morgen, Herr Hunke!

    Jürgen Hunke: Guten Morgen!

    Armbrüster: Außerdem begrüße ich Marvin Kretzschmar, er ist Vertreter der Faninitiative "12 Doppelpunkt 12" und er ist Fan des 1. FC Union Berlin. Auch an Sie schönen guten Morgen!

    Marvin Kretzschmar: Ja, schönen guten Morgen zurück.

    Armbrüster: Herr Hunke, erst mal zu Ihnen. Warum brauchen wir dieses Konzept? Gehören die deutschen Fußballstadien nicht heute schon zu den sichersten in Europa?

    Hunke: Ich kann das ja nur aus der Hamburger Sicht sehen und ich meine, ich gehöre nun dem Fußball aktiv und passiv seit über 60 Jahren an. Erstmal bin ich auch Fan und fühle mich auch als Fan, sonst wäre ich auch nicht so fasziniert von dem Produkt Fußball. Ich glaube, dass man sehr wohl solche Dinge ganz gründlich überlegen muss und dass man das auch nur in einem kommunikativen Prozess mit den jungen Leuten klären kann. Diese übertriebenen Handlungen und diese Regulierungen, die so schnell geplant sind, die bringen sicher nicht das Ergebnis, was man sich wünscht. Alle Verbote führen in der Regel immer wieder zu anderen Exzessen. Und wir müssen das ja auch vergleichen mit anderen Großereignissen. Wenn wir mal das Oktoberfest in München nehmen oder auch den DOM in Hamburg. Und wenn man das in Relation sieht, damit muss man das vergleichen. Ich glaube, wir klären die Dinge nicht dadurch, dass wir jungen Leuten immer irgendwas verbieten und zusätzlich verbieten.

    Armbrüster: Können wir dann sagen, Herr Hunke, auch der HSV ist gegen dieses Sicherheitskonzept?

    Hunke: Der HSV ist zumindest gegen, so wie ich das gehört habe – gut: das entscheidet bei uns die operative Ebene -, ist zumindest gegen eine überhastete Entscheidung, die man hinterher nicht wieder gut machen kann. Ich glaube, die Kommunikation muss fortgesetzt werden, man muss nach Lösungen suchen, aber man muss den Unterschied auch machen, das ist mir ganz wichtig, zwischen Pyrotechnik und Gewalt. Wir haben in Hamburg fast mit Gewalt überhaupt nichts, können wir überhaupt nicht feststellen. In den vergangenen Jahren ist es immer besser geworden, von Jahr zu Jahr. Und ich meine, die Stadien sind übervoll. Für diese überhastete Entscheidung sehe ich überhaupt keine Grundlage.

    Armbrüster: Aber dann lassen Sie uns zum Beispiel mal über die Pyrotechnik sprechen. Soll die komplett verboten werden in deutschen Stadien?

    Hunke: Also die Pyrotechnik… Wichtig ist erst mal, dass man es unterscheidet, Pyrotechnik und Gewalt. Wir haben in Hamburg – ich kann ja aus der Hamburger Situation das nur sehen, ich bin ja nicht in Rostock oder in Dresden -, damit haben wir gar kein Problem und ich glaube, dass unsere Veranstaltungen wunderbar organisiert sind und dass zwischen Jung und Alt und zwischen Fans und allem das fast schon harmonisch ist in den Stadien und die Stimmung auch entscheidend. Bei der Pyrotechnik ist es, glaube ich, etwas anders. Gerade die letzten Vorfälle auch in Düsseldorf haben gezeigt, dass einzelne Dinge auch dazu führen können, dass Menschen verletzt werden. Und dass natürlich vielleicht auch mal Eltern mit ihren Kindern Angst haben, wenn dort etwas passieren könnte, das muss man etwas konsequenter sehen. Da muss ich auch sagen, dass der Präsident der DFL sagt, da kann man dieses Wort Toleranz, glaube ich, nicht so benutzen. Und da muss man auch noch mal darüber diskutieren, wie man das einschränken kann. Ich verstehe sowieso nicht, dass man in der heutigen Zeit, wo wir nun so viel moderne Technik haben, dass man diese Dinge nicht total sicher machen kann und, sagen wir, mal verkleinert oder so. Aber da muss es immer auch sicher noch einen Weg geben, denn natürlich gehört zum Fußball auch Begeisterung und das ist auch ein Event. Sonst würde es ja nicht die Millionen ansprechen. Und man darf nicht alles regulieren in unserer Gesellschaft. Und man muss da auch vielleicht an das Verständnis der Fans appellieren.

    Armbrüster: Dann fragen wir mal einen Fan. Marvin Kretzschmar, Fan des Ersten FC Union Berlin, wenn Sie da so Herrn Hunke vom HSV reden hören, sind Sie da beruhigt?

    Kretzschmar: Na ja, ich bin schon beruhigt. Aber man kann in letzter Zeit auch wirklich beruhigt sein als Fan, weil die Argumentation eigentlich auf der eigenen Seite ist, muss man ganz klar so sagen. Wir haben gerade eine luxuriöse Position, dass auch der Liga-Verband und eben auch die Medien immer mehr mit unseren Argumenten arbeiten und auch immer mehr Verständnis haben für unsere Beweggründe und immer mehr Verständnis haben dafür, warum wir erst einen Dialog herstellen wollen, bevor wir Sicherheitskonzepte durchwinken können. Und zeigen uns ja da auch einigermaßen gesprächsbereit und auch für Kompromisse bereit in der Zukunft.

    Armbrüster: Dann lassen Sie uns mal über einige Schritte in diesem Konzept reden. Da ist zum Beispiel von stärkeren Kontrollen beim Einlass und auch innerhalb des Stadions die Rede. Was genau stört Sie daran?

    Kretzschmar: Ja, das ist der sogenannte Antrag acht momentan hier nur noch. Man muss ganz ehrlich sagen, dass dieser Antrag acht einfach bloß etwas ungenau formuliert ist. Wir sind sicherlich bereit, darüber zu diskutieren, dass ein Heimverein das Recht hat, bei bestimmten Spielen andere Maßnahmen anzusetzen als bei anderen Spielen. Wir sind auch sehr zufrieden damit, dass dies der Heimverein entscheidet, also nicht etwa die Polizei oder der Verband. Der Heimverein kann sagen, diese oder jenes Spiel ist ein Sicherheitsspiel und wir machen dort beispielsweise stärkere Kontrollen. Womit wir nicht zufrieden sind, ist, dass nicht genau darin steht, was heißt das. Man hat einerseits keine Vorgaben, ab wann ist ein Spiel ein Sicherheitsspiel. Man hat als Gastverein keine Einflussnahmemöglichkeiten. Und um auf Ihre Frage einzugehen mit den Kontrollen, steht einfach bloß immer noch keine Ablehnung darin der Ganzkörperkontrollen. Das ist aber sicherlich nicht nur ein Problem des Liga-Verbandes. Sollten Heimvereine der Überzeugung sein, dass Ganzkörperkontrollen gegen Fußballfans möglich sind oder richtig sind, dann muss man auch auf anderer Ebene dagegen vorgehen. Und ich denke, dass sich Fußball-Fans auch dagegen wehren werden. Das kann nicht sein, dass dies zum Ist-Zustand wird, dass man sich komplett nackt ausziehen muss vor einem Stadion. Oder dass ein ungeschultes Personal einem in die Körperöffnungen guckt. Das sind Dinge, die man auch auf anderer Ebene angehen kann, um dort den jeweiligen Veranstaltern der Fußballspiele den Riegel vorzuschieben.

    Armbrüster: Aber wie sonst sollen denn zum Beispiel Waffen sichergestellt werden oder auch solche Bengalo-Feuer, die ja immer wieder in Stadien abgefackelt werden und so auch den Spielbetrieb stören?

    Kretzschmar: Ja das ist sicherlich eine Frage. Aber die Frage ist auch: Haben wir denn damit ein Problem? Ist es denn wirklich wahr, dass vermehrt Waffen ins Stadion geschmuggelt werden und diese auch benutzt werden? Ich weiß von keiner Auseinandersetzung in einem Fußball-Stadion in den letzten Jahren, wo Waffen zum Einsatz kamen. Und mit bengalischen Feuern, da muss man das auch ganz differenziert betrachten: War diese Pyrotechnik-Debatte, die es eigentlich ja schon seit drei Jahren gibt, eigentlich ein Zugeständnis gegenüber den Verbänden, gegenüber der Polizei. Denn es gibt nach zwei Gutachten diese Möglichkeit, es auch legal zu benutzen. Und man hat einfach gemerkt, dass man dieses Problem einfach nicht in den Griff kriegt. Und im Endeffekt hat der Liga-Verband nichts davon, es auch medial kriminalisiert zu sehen. Die Vereine haben nichts davon, immer hohe Strafen zu bekommen. Und die Fans, die zum Teil auch mit Repressalien wie Stadien-Verboten und mit hohen Geldstrafen zu rechnen haben, haben natürlich auch nichts von dieser Kriminalisierung der Pyrotechnik. Vielleicht sollte man sich da doch über alternative Wege unterhalten.

    Armbrüster: Herr Hunke!

    Hunke: Ich glaube, das ist vielleicht ganz wichtig, dass man das auch mal innerhalb unserer ganzen Gesellschaft betrachtet. Ich meine, den Fußball-Fan sollte man nicht anders behandeln als vielleicht jemand, der fliegt. Ich meine, wir haben auch Sicherheitsmaßnahmen auf den Flughäfen gegen Terrorismus. Und ich meine, das geht alles in eine Ebene: Wir verbieten alles und wir regulieren alles, und da kann der Fußball-Fan ja nicht am Ende schlechter behandelt werden als andere Gruppen. Nehmen wir mal Rock-Konzerte und solche Dinge, was da überall passiert. Man muss das ja auch im Verhältnis irgendwo sehen. Es finden ja heute Körperkontrollen statt für alle Fans, nicht nur für die jüngeren, sondern genau wie im VIP-Bereich genauso und nach Waffen. Ich meine, wir haben ja auch diese Probleme der Waffen und so etwas gar nicht. Das Ganze wird ja im Grunde… Ich glaube, es ist auch nicht ein Gewaltproblem im Moment, was wir in den meisten Stadien haben. Wenn Hamburg gegen München spielt, das ist eine wunderbare Atmosphäre, da ist Fröhlichkeit, da ist Stimmung. Und da haben wir überhaupt keine Probleme. Es gibt vielleicht mal den einen oder anderen Verein und das kann man auch sehr gut, glaube ich, über Kommunikation machen. Man muss einfach immer wieder mit denen reden und man muss appellieren. Ich glaube nicht, dass immer Verbote gerade bei jüngeren Menschen etwas bringen. Am Ende werden sie zusätzlich motiviert, vielleicht die eine oder andere Lücke zu finden. Es muss andere Wege gehen. Und darum: Diese überschnelle Reaktion jetzt im Moment und die Politik sollte sich da im Moment ganz raushalten, das soll der Fußball erst mal selber noch mal versuchen zu klären. Und ich glaube, mein Vorredner hat ja deutlich gemacht, wie differenziert man das auch sehen muss.

    Armbrüster: Herr Hunke, ich glaube, an dieser Stelle fragen sich viele Hörer: Wenn sich da nun der Vereinsvertreter und der Fan so einig sind, wer will dann eigentlich dieses Sicherheitskonzept?

    Hunke: Ja, das ist ja immer. Ich glaube, dass diese Aktualität im Grunde auch durch die Einmischung der Politik ist. Die Politik droht damit, dass sie dann irgendwelche Kosten erheben müssen. Ich finde, man muss es nur… Der Fußball-Fan darf doch nicht anders behandelt werden als jemand, der zum Oktoberfest geht oder als der Rock-Fan oder als andere.

    Armbrüster: Na ja, beim Oktoberfest werden nicht massenweise bengalische Feuer gezündet, auch nicht in einem Flughafen.

    Hunke: Ja, aber gucken Sie mal, was da an Gewalt so passiert und wie viele Schlägereien. Die haben wir in den Fußballstadien überhaupt nicht im Moment. Ich kann immer nur aus der Hamburger Situation sprechen, weil der Überblick fehlt mir da auch im Detail. Aber ich finde, diese überhastete Regulierung… Ich glaube, es ist doch von Jahr zu Jahr besser gewesen. Ich beobachtete das schon 30, 40 Jahre und ich kann mich noch an Zeiten erinnern in Hamburg, wo wir wirkliche Probleme hatten. Ich glaube, die Fans haben sich noch nie so moderat verhalten in der Gesamtheit wie in der jetzigen Zeit. Und dass man jetzt damit kommt, da fehlt mir auch ein gewisses Verständnis.

    Armbrüster: Die Deutsche Fußball-Liga will morgen entscheiden über ein neues Sicherheitskonzept für deutsche Fußballstadien. Wir sprachen darüber mit Jürgen Hunke vom HSV und mit Marvin Kretzschmar, Vertreter der Faninitiative "12 Doppelpunkt 12". Besten Dank an Sie beide.

    Hunke: Okay, danke schön!

    Kretzschmar: Bitte schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.