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Fast natürliche Niere aus dem Labor

Patienten mit kranker Niere sind entweder auf regelmäßige Blutwäschen angewiesen oder benötigen - als dauerhafte Lösung - ein funktionierendes Spenderorgan. Zu diesen zwei Möglichkeiten gibt es bisher keine Alternativen. Ein neuer Forschungsansatz könnte das bald ändern.

Von Martina Preiner | 15.04.2013
    "Patienten mit chronischem Nierenversagen haben genau zwei Optionen: Dialyse oder eine neue Niere. Deswegen arbeiten wir an einer dritten Möglichkeit: an zwar im Labor hergestellten, aber dennoch natürlichen Nieren. Im ersten Schritt brauchen wir dazu ein dreidimensionales Gerüst, um das wir unsere Niere bauen können."

    Jeremy Song ist Medizinstudent und hat im Laufe eines Forschungsaufenthaltes im Massachusetts General Hospital an einer künstlichen Niere gearbeitet. Organe aus dem Labor sind ein lang gehegter Medizinertraum, doch die Forschungseinrichtung von Songs Betreuer, dem Österreicher Harald Ott, ist bekannt für eine bisher beispiellose Organ-Gerüsttechnik. Die Stützstrukturen erhält man aus einem toten Organ, das man so lange mit einer Art Seife behandelt, bis sich alle Zellen gelöst haben und herausgewaschen sind. Was zurückbleibt, ist eine Gewebe-Matrix, die die Form und Größe des Organs beibehalten hat. In Jeremy Songs Fall somit die Form und Größe einer Rattenniere. Diese wird dann wieder mit neuen Zellen bestückt.

    "Die Zellen, die wir benutzen, sind Stammzellen, die zu Nierenzellen umprogrammiert wurden. Zu dem Zeitpunkt, wo wir sie in das Gewebe geben, ist es noch völlig offen, in welche spezifische Nierenzelle sie sich verwandeln – und es gibt über 40 verschiedene Arten davon! Dann haben wird diese Zellen an genau die Punkte in dem Nierengerüst zu setzen, von denen wir wissen, dass jeweils dort Filtration, Wiederaufnahme in den Blutkreislauf oder Urinproduktion stattfindet."

    "Zellen sähen" nennen die Wissenschaftler dieses Platzieren. Per Vakuum versuchen sie, das Saatgut in die richtigen Ecken der Niere zu saugen. Ist das passiert, lässt man die Zellen unter körpernahen Bedingungen anwachsen. Untereinander biochemisch kommunizierend, verwandeln sich die Zellen automatisch in einzelne Unterarten – ähnlich wie sie es auch in heranwachsenden Lebewesen tun. Häufig müssen die Forscher auch Zellen nachsähen um die Entwicklung zu steuern.

    16 bis 25 Tage benötigt eine einzelne, circa drei Gramm leichte Rattenniere. Doch am Ende erfüllt sie ihre Aufgabe: schon im Reagenzglas produziert sie sehr hellen Urin, der sich gut sichtbar am unteren Ende des Filterorgans sammelt und dann heruntertropft. In eine Ratte implantiert, konnte die Kunstniere auch mit dem Blutkreislauf verbunden werden, ohne sofort vom Körper abgestoßen zu werden. Das ist ein vielversprechender Ansatz, aber noch zu weit weg von der Realität, meint Jeremy Song.

    "Am Ende der gesamten Wachstumsphase ist unsere Niere noch sehr weit weg von der Niere, die Mutter Natur uns vorgibt. Auch der produzierte Urin ist nur ansatzweise das, was wir natürlicherweise unter Urin verstehen. Das liegt vor allem daran, dass wir es bisher nicht geschafft haben, alle Zellen in die richtigen Regionen zu bekommen und natürlich verwandeln sie sich auch nicht immer in die Zellen, die an genau diesem Ort in der Niere richtig wäre. Wir müssen daran arbeiten, diesen Zellen von außen viel spezifischere biochemische Signale zu geben, damit sie sich an der richtigen Stelle in die richtige Zelle verwandeln. Zum jetzigen Moment können wir das kaum."

    Sofern die Wissenschaftler ihre Probleme lösen können, wäre es beispielsweise möglich, die angegriffenen Nieren eines Patienten auf diese Weise im Labor wieder auf Vordermann zu bringen. Überhaupt könnten verschiedenste Organe mit Zellkulturen des jeweiligen Betroffenen gezüchtet werden – eine Abwehrreaktion des Körpers wäre somit ausgeschlossen.

    "Was wir hier machen, sind die ersten Schritte in eine völlig neue Welt der Forschung! Maßgeschneiderte Organe für einen Patienten – das wäre ein Traum. Eigentlich sollte es möglich sein, diesen Traum innerhalb unserer eigenen Lebensspanne zu verwirklichen. Und wenn nicht, sterben wir eben beim Versuch."