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Faszination des Bösen

Der Song der Rolling Stones "Sympathy for the Devil" erschien auf der LP "Beggars Banquet" im Dezember 1968. Der von Albert Kümmel-Schnur herausgegebene Band diskutiert die literarischen und kulturellen Bezüge des berühmten Liedes. Die Essays bemühen sich dabei alle darum, die bösen Buben zu zivilisieren.

Von Hans-Martin Schönherr-Mann | 10.08.2009
    So if you meet me
    Have some courtesy
    Have some sympathy, and some taste
    Use all your well-learned politesse
    Or Ill lay your soul to waste, um yeah


    Zwar erklärten die Stones in jenen Zeiten nicht nur ihre Sympathie für den Teufel, auch für Straßenkämpfer, Hinterhofmädchen und die working class im Allgemeinen. Gar riefen sie - damals noch ungeheuerlich - dazu auf, die Nacht miteinander zu verbringen. Dass man keine Befriedigung findet, bezog sich einige Jahre zuvor natürlich nicht auf den Sex, sondern auf die Konsumgesellschaft.

    Doch dieses Image des üblen Bürgerschrecks - bemerkt Jochen Hörisch - steht in einem seltsamen Kontrast zum bildungsbürgerlichen Gehalt des kunstvoll geschliffenen Liedgutes.

    I stuck around St. Petersburg
    When I saw it was a time for a change
    Killed the czar and his ministers
    Anastasia screamed in vain


    Russische Revolution, Versuchungen Christi, Pontius Pilatus, die Liedkunst der Troubadoure pointieren galant die Rolle des Teufels genauso wie Shakespeares Königsdramen oder Hitlers Blitzkriege, sodass sich für Jochen Hörisch die Rolling Stones zusammen mit den Beatles durchaus mit der Liedkunst "der besten Schubert-Schumann-Mahler-Tradition" messen können. Ja, Jaggers Lucifer begegnet gar Goethes Mephisto, der Faust auf die Frage nach seiner Identität antwortet: "Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft." Bei Jagger heißt es:

    Please allow me to introduce myself
    I'm a man of wealth and taste


    Doch just diese Selbstbeweihräucherung entlarvt den Geschmacklosen - so Bernhard Siegert. Könnte dieses Urteil denn doch auf Jagger zurückfallen? Oder gelingt es Jagger brillant, den Teufel sich selbst entlarven zu lassen? Für Bernhard Siegert ist diese Liedstelle jedenfalls Anlass genug, sich primär mit der kulturellen Rolle von Geschmack und Abendmahl zu beschäftigen, ohne dass einfach ersichtlich wird, was dergleichen zum berühmten Rocklied beiträgt. Überhaupt erweist sich das als die Schwäche einiger Beiträge und damit des Buches insgesamt, das sich doch den Anschein gibt, den wichtigsten Textstellen des Liedes nachzuspüren. Es gliedert sich nämlich entlang des Textes und betitelt jeden Beitrag mit einer Textstelle. Passagen aus dem Text, die nicht durch einen Essay kommentiert werden, finden sich an der entsprechenden Stelle zwischen den Beiträgen auf separaten Seiten mit einem etwas bemüht extravaganten Schriftlayout, das wohl an vergangene wilde Pop-Art-Zeiten erinnern soll.

    I've been around for a long, long year
    Stole many a mans soul and faith


    So fragt denn Rainer Marten etwas allgemein nach den Bedingungen der Möglichkeit von Sympathie mit dem Teufel. Oder Sigrid Weigel geht der diabolischen Musik in der Geschichte der Faustopern nach. Norbert Bolz nimmt dergleichen zum Anlass, um den sechziger Jahren ihre Typen vorzuhalten, die sich für ihn primär im unseligen Gutmenschen und im letztlich doch unerfreulichen Dandy präsentieren. Oder gar Friedrich Kittler:

    I rode a tank
    Held a generals rank
    When the blitzkrieg raged
    And the bodies stank


    Friedrich Kittler erzählt mal wieder unter genauer Angabe der historischen Umstände, der Namen der leitenden Generäle und des genutzten militärischen Materials, dass 1943 die Nazideutschen Blitzkriege nicht mehr gewinnen konnten, weil der Mathematiker Alan Turing ihren Verschlüsselungscode geknackt hatte. Die Nazis besaßen zuvor noch den nicht unerheblichen Vorteil gegenüber ihren Feinden, ihre Panzer mit UKW-Funk ausgerüstet zu haben. Ohne diesen kein Mick Jagger, hätte die Popmusik ihre globale Wirkung nicht entfalten können. Wer hätte das gedacht?

    But whats puzzling you
    Is the nature of my game, oh yeah, get down, baby


    Etwas näher am Thema bleibt Klaus Theweleit: Jean-Luc Godard dokumentierte nämlich die Studioproduktion von "Sympathy for the Devil" in seinem Film "One plus One", die er mit einer fiktionalen Darstellung der Führer der US-amerikanischen "Black Panther Party" konfrontiert. So begegnen sich die Gesänge Mick Jaggers und Texte unter anderem von Eldridge Cleaver aus seinem Buch "Seele auf Eis", das den Rassismus geißelt. Für Theweleit entlarvt sich dabei die Sympathie für die radikalen Black Panthers als "besinnungslose Solidarität", während sich Sympathie für die höchst präzise und innovative Arbeitsweise der Stones einstellt - was indes Godard sicherlich nicht so gemeint hatte.

    Just as every cop is a criminal
    And all the sinners saints


    Umgekehrt geht Willem van Reijen den satanischen Neigungen der Stones nach, der Faszination des Bösen, die nach van Reijen in der abendländischen Kultur immer schon verbreitet war. So diagnostiziert er im Liedgut eine Nähe zwischen Polizisten und Kriminellen oder zwischen Sündern und Heiligen, die sich in ihrem jeweiligen Wesen begründet, handelt es sich doch bei allen vier Typen um Grenzgänger just auf der Scheidelinie zwischen Gebotenem und Verbotenem. Nun gut, das mag heute aus intellektueller Perspektive so erscheinen und vielleicht nützt es Jagger wirklich nichts mehr, dass er das wahrscheinlich so brav auch wieder nicht meinte. Aber alle Provokation schleift sich irgendwann ab.
    So diagnostiziert abschließend Hans Ulrich Gumbrecht, der seinen Text merkwürdiger Weise nicht auf Deutsch schreiben konnte, sondern nur auf Englisch, eine zwar spannende, indes auch verharmlosende Umwertung aller Werte:

    Just call me lucifer
    'cause I'm in need of some restraint


    Luzifer - so Gumbrecht - gilt zwar gemeinhin als der gefallene Engel, benannte aber im frühen Christentum sowohl den Morgen- wie den Abendstern, also das Licht und symbolisierte damit Christus. Der grenzgängerische Luzifer des Liedes jedenfalls wünscht sich eine Zügelung, damit eine Kraft, die doch das Gute schafft. Er tritt derart neben Gott und eröffnet somit eine seit Längerem gängige polytheistische Perspektive multikultureller Lebensumstände. Wenigstens bedauert Gumbrecht diese Zügelung, die natürlich auch seinen platonisch geliebten bad and sexy boy Jagger erfasst.

    I shouted out,
    Who killed the Kennedys?
    When after all
    It was you and me
    Let me please introduce myself
    I'm a man of wealth and taste
    And I laid traps for troubadours
    Who get killed before they reached Bombay
    Pleased to meet you
    Hope you guessed my name, oh yeah


    Albert Kümmel-Schnur (Hrsg.), Sympathy for the Devil,
    Wilhelm Fink Verlag, München 2009, broschur, zahlreiche Abbildungen, 253 S., 19,90 EUR.