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Archiv


Faszination Fake

Die Privatmusikerin Ursula Bogner wurde von dem Berliner Elektroproduzenten Jan Jelinek vor drei Jahren entdeckt - oder sollte man sagen: erfunden? Genau weiß das keiner. Als Kunstkonzept machte Bogner Karriere: eine mit Synthesizern und Ringmodulatoren experimentierende Hausfrau und Mutter, deren Archive jetzt wieder geplündert wurden.

Von Frank Sawatzki | 22.10.2011
    Die Faktenlage ist nicht nur schmal, es gibt überhaupt keine gesicherten Informationen zu der Musikerin, die im Folgenden Ursula Bogner genannt wird. Frau Bogner erschien 2008 auf der Weltkarte der U-Musik als archäologische Überraschung, ausgegraben vom Berliner Elektromusiker Jan Jelinek.

    Vorgestellt in einem kunstvollen Pappschuber, der einen ihrer Linoldrucke zeigt und eine CD mit 15 Aufnahmen enthält, die zwischen 1969 und 1988 entstanden sein sollen. Die Fachwelt öffnete Bogners Privatschatztruhe primitiver elektronischer Musik und staunte.

    Jetzt hat Jelinek noch einmal das Archiv der angeblich 1994 verstorbenen Musikerin durchforsten lassen und ist auf weitere Beiträge gestoßen, deren Echtheit wieder bezweifelt werden wird. Seit prominente Blogger Ursula Bogner als durchaus charmante Erfindung Jelineks abstempelten, steht der Fake-Verdacht im Raum. Jan Jelinek will bei der Wahrheitssuche nicht mitmachen:

    "Ich habe ganz oft die Situation erlebt, dass Leute an mich herangetreten sind, um nach Gewissheiten zu fragen, so als ob diese Information quasi essenziell zum Wahrnehmen oder Anhören der Bognerschen Aufnahmen dazugehört. Genau da habe ich mich verweigert, Auskunft zu geben."
    Ob Aufnahmen, wie die von Bogner vor 30 oder 40 Jahren entstanden sind, oder erst jüngst im Labor eines tüchtigen Elektronik-Frankensteins geboren wurden, spielt vielleicht gar nicht mehr die entscheidende Rolle. Jetzt, wo Ursula Bogner als Künstlerin oder als Kunstkonzept einmal unter uns ist, entwickelt sie ihr Eigenleben – mit einer Biografie, die munter zwischen deutschem Biedersinn und obskuren Einflüssen pendelt. Hausfrau, Mutter, studierte Pharmazeutin in Diensten eines Chemiekonzerns, sie interessiert sich für Wilhelm Reichs Orgonomie und produziert mit Synthesizer, Ringmodulatoren und verfremdeten Stimmen erstaunliche elektronische Kunstwerke. So eine Heroine hatte der deutschen Popkultur noch gefehlt, eine posthum entdeckte Urmutter der Elektronik, locker platziert zwischen Oskar Sala, Erfinder des Trautoniums und dem ersten großen Auftritt von Kraftwerk. Fälschung ist ein hässliches Wort für dieses Projekt.

    Ein bisschen hinters Licht geführt werden wollen wir doch ganz gerne. Und Popmusik war schon immer ein heißes Pflaster für alle Arten von Vorspiegelungen und Irreführungen. 1969 berichtete US-Rockjournalist Greil Marcus von einer Supergruppe namens "Masked Marauders" aus Beatles und Stones-Mitgliedern. Alles reine Erfindung. Marcus wollte sich nur über das Starwesen lustig machen, entfachte damit aber soviel Aufmerksamkeit, dass alle die Songs dieser Band jetzt auch hören wollten. Schließlich bekam das Publikum seine Masked-Marauders-Platte: eingespielt von einer kalifornischen Folkband statt von der angekündigten Superbesetzung. Einer vergleichbaren Sensationslust verdankt sich das aktuelle Interesse an der Rap-Oma Enkelschreck, die angeblich 80 sein soll und mit ihrem Track "Acid auf Rädern" eine steile Youtube-Karriere hinlegt. Für Jan Jelinek gibt es verschiedene Formen des Fakes:

    "Vielleicht kann man zwischen der bewussten Medienmanipulation als Promotionstrategie und der auf Dauer angelegten Verschleierung differenzieren. Wobei für letzteres Frank Farians Milli-Vanilli-Projekt stehen würde - vielleicht als bekanntestes Beispiel. Also das Kreieren einer Band am Reißbrett mit Sängern, deren echte Stimmen gar nicht mit den Gesangsspuren übereinstimmen."
    Beim Fake plane der Künstler oder Impresario von vorneherein, später die Karten offen auf den Tisch zu legen, so Jan Jelinek:

    "So wie der Pokerspieler, der nach dem Aufdecken seines Blattes Lob für sein gekonnt aufgesetztes Pokerface sucht, sucht ja der Initiator des Fakes das respektvolle Raunen des Publikums über die gelungene Irreführung."
    Eine solche darf man der britischen Progressive-Rock-Band Jethro Tull 1972 auf ihrem Album "Thick As A Brick" bescheinigen, offenbar beglaubigt durch den Abdruck von Zeitungsseiten auf dem LP-Cover.

    Doch das achtjährige Wunderkind Gerald Bostock, dessen Gedicht die Band auf dem Album vertont haben wollte, war schlicht der Fantasie Ian Andersons entsprungen – ein Märchenheld für die gerngläubige Fangemeinde.

    Das Internet hat die Kunst des Täuschens endgültig zum Kinderspiel gemacht. Fakes wie die aktuelle japanische Charts-Sirene Eguchi Aimi, die komplett am Rechner designt wurde, haben ein Millionenpublikum erreicht. In der Traummaschine verschmelzen Wahrheit und Dichtung zu einem schillernden Zwitterwesen. Im Fall von Ursula Bogner ist das die Geschichte einer wunderbaren Verwandlung: wie aus dem Spiel mit antik klingender Synthesizermusik ein Stück deutsche Popgeschichte wird, das man nicht mehr missen möchte. Der größte Wirkstoff dieser Geschichte ist die wunderbare Macht der Unfassbarkeit, die die Aufnahmen Bogners überhöht und den Diskurs erst zum Swingen bringt, wie Jan Jelinek meint:

    "Ich fand es wichtig, diese entkoppelte Reflexion über Ursula Bogner nicht zu beeinflussen, das war eher spannender zu beobachten, als einzuschreiten."
    Mit Ursula Bogner wird es weitergehen, die künstlerischen Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft. Das Bogner-Archiv, so hört man, ist groß.