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Faszinosum Sport

Sport bewegt die Menschen. Ob als Aktive oder Zuschauer vor den Bildschirmen. Aber was eigentlich ist Sport? Die Lust am Herumtollen? Das Work-Out im Fitnessstudio? Oder der Wettkampf im Stadion? Eine Sonderausstellung im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden nähert sich diesen Fragen aus kulturwissenschaftlicher Perspektive.

Von Michael Barsuhn | 24.04.2011
    Tobende Kinder, schwitzende Eltern. Nein, wir sind nicht auf dem Spielplatz und auch nicht in der Turnhalle. Wir sind im Museum. "Auf die Plätze. Sport und Gesellschaft", so lautet der Titel der aktuellen Sonderausstellung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden. Es ist eine Schau, die Fragen aufwirft, eine Ausstellung, die einlädt zur Interaktion, aber auch zum kritischen Nachdenken über Sport, Leistung und den Körperkult in unserer Gesellschaft. Susanne Wernsing, Kuratorin der Ausstellung:

    "Wir haben den Sport ernst genommen, also teilweise sogar furchtbar ernst, ehrlich gesagt. Aber dadurch ist in der Ausstellung auch Platz geworden für Analyse, für Kritik. Ich hoffe auch für ausreichend Ironie dem Thema gegenüber. Wir haben das Thema so ernst genommen wie die anderen Themen hier im Hause auch, also so wie Religion, Arbeit, Schönheit, Krieg, das sind alles Elemente, die in der Ausstellung vorkommen, weil wir Sport als Teil gesellschaftlicher Prozesse ansehen."

    Aber was eigentlich ist Sport?

    "Wir haben dafür drei charakteristische Aspekte ausgemacht. Also Sport ist für uns mit Körperformung verbunden, mit Wettkampf und mit Spiel und diese Begriffe bezeichnen auch die Themenräume der Ausstellung."

    Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper. Am Ende der Eingangshalle stutzt der Besucher. Keine Tür weist den Weg. Stattdessen bieten acht Silhouetten von Sportlerkörpern einen Durchgang. Ein provokativer Ansatz: wer weitergehen will, muss sich dem Zwang der Sportbewegung anpassen. Viele Besucher zögern, testen die Biegsamkeit ihrer Körper, probieren den einen und wählen dann doch den anderen Weg. So geht es auch Jan Pappelbaum, Bühnenbildner an der Berliner Schaubühne, ehemaliger Leistungssportler und nicht zuletzt Gestalter der Ausstellung:

    "Ich würde mir glaube ich schon die wählen von dem Basketballer, obwohl ich Volleyball gespielt habe, obwohl der ein Stück größer ist als ich. Ich glaube, der ist bestimmt 2,15. Ich muss mich so ein bisschen strecken. Mit dem Kopf ist es schwer. Aber jetzt bin ich durch."

    Die Überleitung zum ersten Themenraum: unterschiedliche Körperbilder, deren Formung und Präsentation rücken nun ins Blickfeld. In einem Selbstversuch formt sich der bulgarische Künstler Rassim seinen eigenen Wunschkörper. Aus einem schmächtigen Burschen wird binnen kürzester Zeit ein muskelbepackter Anabolikakörper:

    "Es geht einem sehr nahe, wie weit er diese gesellschaftliche Aufforderung in Form zu sein, persönlich, wie weit er das treibt. Also, es lässt einen nicht neutral. Es ist sehr beunruhigend, finde ich, diese Arbeit. Sie sehen hier fünf Videostationen wie er diesen Körper herstellt, also er rackert sich auch unter der Zuhilfenahme von Anabolika im Fitnessstudio ab über 18 Monate und zeigt das Resultat."

    So die Co-Kuratorin Katarina Matiasek. Das Werk trägt den ironischen Titel "Corrections". Es ist eine von zahlreichen internationalen Künstlerarbeiten, die sich in die jeweilige räumliche Thematik einbetten. Auch die architektonische Gestaltung korrespondiert mit den Inhalten. Überdimensionierte Sprossenwände stehen symbolisch für Fleiß und Trainingsschweiß. Jan Papelbaum:

    "Gleichzeitig sind die Sprossenwände aber auch zu beklettern. Also, ich kann als Ausstellungsbesucher mir teilweise die Wege selber suchen. Ich kann Abkürzungen nehmen. Ich kann, wenn’s mir nicht gefällt, einen kürzeren Weg zurück wählen."

    Von diesem spielerischen Element lebt die Ausstellung. Gerade bei den Kindern weckt die Schau mit ihren interaktiven Stationen den sportlichen Ehrgeiz:

    "Zweimal habe ich schon dieses Formel Eins Auto geschafft"

    Wettkampf und Rekordstreben sind die Leitmotive des dritten Ausstellungsraumes. Die Grenzen zwischen sportlicher Konkurrenz und gewalttätiger Auseinandersetzung erscheinen hier fließend.

    "Nierenhaken. Auf die Deckung achten, auf die Deckung achten."

    In einer Ecke dürfen sich die Besucher an einem Boxsack abreagieren. Nur die Regeln des Sports verhindern kriegerische Zustände. Der Raum ist ein Parforceritt durch die Sportgeschichte: Vom politischen Turnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der Instrumentalisierung des Sports durch die Nationalsozialisten bis hin zum jüngsten Propagandacoup, den Olympischen Spielen in Peking 2008. Doch die Kuratoren kratzen hier nur an der Oberfläche. Am stärksten ist die Ausstellung dort, wo der menschliche Körper in ihr Zentrum rückt, die Lust an der Bewegung zeigt.

    Abgewetzte Turnschuhe und weite Hosen prägen die Szene in den 80er Jahren als das Brett mit den vier Rollen auch Deutschland erobert. Skateboarding gehört damals zu den ersten so genannten Trendsportarten, die den Durchbruch schaffen. Man trifft sich nicht länger im Verein, sondern auf der Straße. Eine neue Jugendkultur entsteht, Susanne Wernsing:

    "Und ich glaube, das ist das Interessante an diesen Trendsportarten, dass die eben wirklich einen Teil haben, wo sie halt dieses spielerische Element wieder hervorgeben. Wo es halt nicht darum geht, seinen Körper immer als leistungsfähig zu zeigen, sondern in seinen Tricks."

    Die Kehrseiten der Medaille sind bekannt: Kommerz, Werbung, eine ausufernde Konsumgesellschaft. Massenkultur – symbolisiert durch aufgereihte Boards vor einer Spiegelwand. Längst ist der Underground zum Mainstream geworden. Illustriert wird diese Szenerie durch eine riesige Videoinstallation. Besucher liegen auf einem Mattenberg. Gebannt beobachten sie die Kunststücke der Szenekids auf der Leinwand. Am Ende obsiegt die Faszination.