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Fatale Verwechslung
Plastik riecht für Seevögel wie natürliches Futter

Der Plastikmüll in den Weltmeeren - 250 Millionen Tonnen sind es wohl insgesamt - ist inzwischen für viele Meeresbewohner zu einer tödlichen Gefahr geworden. In den USA haben Forscher jetzt untersucht, warum Seevögel das Plastik überhaupt fressen. Schuld sind kleine Algen.

Von Jochen Steiner | 10.11.2016
    Einzelner Basstölpel im Flug mit Plastik im Schnabel auf Helgoland, blauer Hintergrund
    Basstölpel im Flug mit Plastik im Schnabel (imago / blickwinkel)
    Viele Menschen könnten sich ein Leben ohne Plastikprodukte nicht vorstellen. Plastik ist überall - auch in den Meeren:
    "Es ist ein großes Problem und es scheint ein immer größeres zu werden. Plastikmüll gibt es in allen Ozeanen, mehr als 250 Millionen Tonnen sind es inzwischen. Das meiste davon kommt vom Land."
    Der Meeresbiologe Matt Savoca arbeitet nicht weit entfernt vom Nordpazifik, an der Universität von Kalifornien in Davis. Er beschäftigt sich mit dem Plastikmüll und dessen Auswirkungen auf die Tierwelt:
    "Das bekannteste Beispiel ist eine Plastiktüte, die für eine Meeresschildkröte auf Nahrungssuche wie eine Qualle aussehen könnte."
    Meerestiere verwechseln Plastikmüll häufig mit richtigem Futter. Betroffen sind vermutlich die allermeisten Bewohner der Ozeane - von winzigem Zooplankton über Fische, Schildkröten, Seevögel bis hin zu den größten Walen. Die Tiere fressen die unverdaulichen Plastikteile und verhungern mit vollem Bauch.
    Darüber hinaus kann Plastik im Körper giftige Substanzen wie Flammschutzmittel oder Bisphenole freisetzten. Matt Savoca:
    "Es gibt enorm viel Forschungsarbeit und Interesse zum Thema Plastikverschmutzung in den Ozeanen, aber nur ein winziger Teil dieser Arbeit geht der Frage nach, warum die Meeresbewohner den Plastikmüll für Nahrung halten. Und noch niemand hat sich gefragt, ob der Geruch des Plastiks damit zu tun haben könnte."
    Auf dem Plastikmüll lebende Algen senden Duftstoff aus, der die Vögel anzieht
    Um das zu klären, haben sich Matt Savoca und seine Kollegen die Seevögel als Untersuchungsobjekte ausgesucht:
    "Wir haben dafür die Vögel gewählt, weil es viel Literatur darüber gibt, welche chemischen Verbindungen sie nutzen, um Nahrung aufzuspüren. Außerdem gibt es Daten darüber, welche Seevögel Plastik fressen und wie häufig sie das tun."
    Müll und andere Dinge schwimmen zusammen mit einem Fisch im Meer kurz vor der Küste Abu Dhabis. Das Wasser sieht grün und dreckig aus. Ein kleiner Damm hindert den Müll zu passieren.
    Auf dem Plastikmüll setzen sich Algen fest, die das für die Vögel verführerische Dimethylsulfid aussenden ( Imago / Thomas Mueller )
    Dabei scheint eine Verbindung von besonderer Bedeutung zu sein: Dimethylsulfid. Es wird von winzigen Algen produziert, die sich damit gegen ihre Fressfeinde, das Krill und anderes Zooplankton wehren: Macht sich das Krill über die Algen her, verströmen diese Dimthylsulfid, um Vögel anzulocken, die wiederum das Krill fressen.
    Die Forscher haben Studien und Daten zu 25 Seevogelarten ausgewertet. Das Ergebnis: Die Seevögel, die die Sulfid-Verbindung nutzen, um Nahrung zu finden, fressen mehr Plastik als Arten, die dieser Geruchsfährte nicht folgen. Zu den besonders betroffenen Spezies zählen Sturmtaucher, Albatrosse und Sturmvögel. Für sie sehe das Plastik nicht nur aus wie Futter, es rieche auch danach, so Matt Savoca.
    Auch Fische und Wale könnten vom Duft des Plastikmülls angezogen werden
    Die Wissenschaftler starteten daraufhin einen Versuch im Freiland: In zwei Meeresforschungsstationen an der US-Westküste ließen sie Bruchstücke aus den beiden Plastikarten Polyethylen und Polypropylen im Pazifik treiben. Sie fischten die Teile nach drei Wochen wieder heraus:
    "Wir haben das Dimethylsulfid auf jedem einzelnen Plastikteilchen gefunden. Es wird von den Algen produziert, die auf dem Plastik leben. Sie verströmen das Sulfid in so hohen Konzentrationen, dass es die Seevögel riechen können. Oft sind es höhere Konzentrationen, als es im Ozeanwasser zu erwarten wäre. Die Vögel könnten regelrecht vom Duft des Plastikmülls auch über große Entfernungen angelockt werden."
    Nicht nur Seevögel, auch Fische oder Wale könnten vom verführerischen Duft des Plastikmülls getäuscht werden, so der Biologe. Weitere Studien müssten nun klären, ob noch andere Duftstoffe dafür verantwortlich sind, dass Meerestiere von Plastik angelockt werden.