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Faust-Preisverleihung in Leipzig
Elfriede Jelinek fürs Lebenswerk geehrt

Schon die Internationalität des deutschen Faust-Preises ist eine Art Demonstration gegen den Angriff auf die Freiheit der Kunst, die nationale Zensur für die Kultur, wie ihn einige fordern. Preisträgerin Jelinek sprach dabei aus Stoff und Pappe.

Von Michael Laages | 04.11.2017
    epa05583485 (FILE) A file picture dated 07 October 2004 shows Austrian novelist and playwright Elfriede Jelinek facing the media at her house in Vienna, Austria. Jelinek will celebrate her 70th birthday on 20 October 2016. EPA/ROLAND SCHLAGER *** Local Caption *** 00290064 |
    Elfriede Jelinek erhielt eine Auszeichnung für ihr Lebenswerk. (APA / EPA FILE)
    In der Hauptrolle diesmal: eine Puppe; das hatte sich Elfriede Jelinek, ausgezeichnet fürs dramatische Lebenswerk, so gewünscht – Nikolaus Habjan, der Meister-Puppenspieler vom Wiener Volkstheater, ließ die Danksagung der Autorin durch ein Jelinek-Double aus Stoff und Pappe sprechen:
    "Ich spreche hier, ja, ich bin's und doch nicht ich, aber ich sage mal: Das bin ich. Und schon haben wir das Theater erforscht und für gültig befunden - eine andere, die ich ist, bin ich nicht, bin ich doch."
    Wir, das Publikum, wir können ja weghören, sagt die Autorin, wenn uns Unrecht und Elend der Welt um die Ohren fliegen; sie aber könne das nicht. Es, all das Fürchterliche, von Trump im jüngsten Stück "Am Königsweg" abwärts, spricht und kocht und schwärt in ihr und will, ja muss raus; und in der Videowürdigung benennt Sophie Rois eine der sehr speziellen Stärken in Jelineks Sprache:
    "Man liest die grausamsten Stellen bei Jelinek, und man ist befreit, weil sie mit der Linse scharf zieht auf dieses Phantom der Normalität."
    Gala war reich an Glanzlichtern
    Das Puppenspiel um und mit Jelinek war das Glanzlicht in einer an Glanzlichtern überraschend reichen Gala. Endlich war dieses Wort mal wirklich angemessen: für die gelungenste Preisverleihung seit sehr langer Zeit. Das wiederum lag vor allem am Dresdner Schauspieler und Sänger Christian Friedel, der ja auch schon mal Oscar-nominiert war - für den richtigen, im Kino, und "Das weiße Band" von Michael Haneke. Friedel hat sich vom Theater aus nicht nur zum Kino-, sondern auch zum Rockstar gemausert: gestern wieder mit der "Woods of Birnam"-Band und furiosen Shakespeare-Vertonungen. Er sorgte auch für die deutlichsten politischen Akzente – mit Plädoyers für weltoffenes Theater gegen die dumpfe geistige Enge nationalistischer Ideologien.
    "Ja, das Theaterspielen verhindert, dass wir uns ausschließlich als dieser oder jener definieren. Ich liebe die Freiheit, die man uns allen dabei lässt und hoffentlich noch lange lassen wird."
    Für diese Freiheit stehen Choreografen wie Maria Campos und Guy Nader, die am Staatstheater in Mainz gearbeitet haben, oder die griechisch verwurzelte Tänzerin Sylvana Seddig aus Frankfurt. Hannah Biedermann vom Jungen Ensemble Stuttgart wurde ausgezeichnet für ein frühkindliches Gender-Projekt. Und im Musiktheater siegte einmal mehr die Moderne: mit der Sängerin Gloria Rehm aus Wiesbaden, die in "Die Soldaten" von Bernd Alois Zimmermann sang, und Christoph Marthaler, der in Hamburg Alban Bergs "Lulu" inszenierte.
    Zwei Preisträger hatten direkt mit Lebenswerkpreisträgerin Jelinek zu tun: Sebastian Hannak, der die Raumbühne der "Heterotypia" an der Oper Halle ja auch für Henriette Hörnigks Inszenierung von Jelineks "Wut" entwarf. Und Schauspielerin Karin Neuhäuser, die denselben Text als Solo einfügte in Sebastian Nüblings Inszenierung "Wut/Rage" am Hamburger Thalia Theater.
    Zweimal also Hamburg, aber eben auch Halle und Wiesbaden, Mainz und Stuttgart, Frankfurt und Kassel – wo Johanna Wehner eine sehr spezielle "Orestie" entwickelte.
    In den Nominierungen zeigt sich sogar noch deutlicher die immense Vielfalt in der deutschen Theaterlandschaft; auch Oberhausen war im Spiel, Essen, Düsseldorf, Dortmund und Bremen, Braunschweig und Mannheim, München, Leipzig und Berlin, die Bayreuther Festspiele und eben das Schauspiel vom Theater in Altenburg und Gera.
    Neben den aller Ehren werten Preisträgerinnen und Preisträgern war und bleibt dies noch immer die wichtigste Auszeichnung, die beim und mit dem Faust zu vergeben ist – sie geht an ein System, ein Gefüge aus öffentlich geförderten Spielorten, prinzipiell freien Räumen für das Denken und Spielen, für die Fantasie. Wer diese Orte gefährdet, setzt den Kern kultureller Freiheit auf's Spiel. Noch einmal Christian Friedel, der Shakespeare-Rocker:
    "Theater und Demokratie – das sind Prozesse. Und wer die unterbinden will, landet im Dunkeln."
    Mit Friedel und Shakespeares Gesängen, mit Beiträgen von Schauspiel und Oper in Leipzig, mit den vielen Preisträgerinnen und Preisträgern und mit der Jelinek-Puppe war dieser Abend die beste Werbung, die sich das Theater in Deutschland wünschen kann – weil es sie verdient. Jeden Abend und überall neu.