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FDP-Außenpolitiker
"Türkei hat sich in Syrien komplett verzockt"

Die Türkei hat sich in Syrien auf ein außenpolitisches Abenteuer eingelassen, sagte der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai im Dlf. Russland habe kein Interesse, die Türkei aus dieser Situation zu entlassen - und Europa dürfe sich mit dem Druckmittel Flüchtlinge nicht erpressen lassen.

Bijan Djir-Sarai im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 29.02.2020
Türkische Militärkonvois im Osten von Idlib.
Außenpolitisches Abenteuer: Türkische Militärkonvois im Osten von Idlib (dpa-Bildfunk / )
Die Provinz Idlib gilt als letztes noch von Aufständischen kontrolliertes Gebiet in Syrien. Die Türkei und Russland hatten vereinbart, dort eine Deeskalationszone einzurichten. In den vergangenen Wochen rückte das syrische Militär jedoch mit Unterstützung aus Moskau vor. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind fast 950.000 Menschen auf der Flucht.
FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai über politische Konstellationen, die Frage, wie diese Eskalation gestoppt werden kann und was das für Europa bedeutet.
"Eine außerordentlich schwierige Situation für die Türkei"
Zurheide: Fangen wir mal an mit der UN-Sitzung, wenn da so Sätze fallen eines türkischen Botschafters wie: Wenn Sie das jetzt nicht wollen, dann machen wir es auf die harte Tour. Ich habe solche Sprüche bisher eher in der Düsseldorfer Altstadt gehört, wie wirkt das auf Sie?
Bijan Djir-Sarai: So ähnlich. Man sieht natürlich, in was für einer Situation sich die Türkei befindet. Man kann, um es ganz deutlich zu sagen, man kann sagen, die Türkei hat sich außenpolitisch auf ein Abenteuer eingelassen in Syrien. Und die Türkei beziehungsweise die türkische Politik hat sich in Syrien komplett verzockt.
Zurheide: Welche Auswege sehen Sie denn, das ist ja die große Frage jetzt. Will der türkische Präsident mit dem russischen Präsidenten sprechen, der natürlich auch kein Kind von Traurigkeit ist? Der hat ihm mal gezeigt, wie es geht, oder das ist jetzt so eine ähnliche Sprache, wie wir da gerade gehört haben. Wie bewerten Sie das, was da passiert ist?
Djir-Sarai: Also das ist die außerordentlich schwierige Situation jetzt für die Türkei, wie kommt man da raus? Die Türkei befindet sich ja jetzt faktisch in einer direkten militärischen Konfrontation mit Syrien, also mit der syrischen Armee. Und die Türkei befindet sich in einer indirekten militärischen Konfrontation mit russischen Kampfeinheiten – und das ist das Problem. Die türkische Politik verfolgte das Ziel, den Machthaber Assad zu stürzen, das ist nicht gelungen, da hat sich die Türkei im Wesentlichen auf islamistische Milizen eingelassen. Und das zweite Ziel war, kurdische Autonomieverwaltung im Norden zu verhindern.
Eskalation in Idlib: Erdogan sitzt in der russischen Falle
Der Kreml erhält an der Seite der Türkei mehr Kontrolle über Regionen Syriens, ohne dafür Soldatenleben riskieren zu müssen, kommentiert Thielko Grieß. Will Erdogan Idlib und die Region halten, würde das auch für Moskau mehr Einsatz bedeuten.
Das Problem ist jetzt, die Türkei muss versuchen, einen Weg daraus zu finden. Das ist natürlich außerordentlich schwierig, weil Russland selbst hat kein Interesse daran, die Türkei aus der Situation zu entlassen. Das heißt, was ich vorhin auch schon gesagt habe, die Türkei ist in einer außerordentlich schwierigen Situation. Sie muss im Grunde genommen, sie kann im Grunde genommen nur eingestehen, dass sie hier Fehler gemacht hat, und wird das letztendlich über Propaganda verkaufen können. Wie der Krieg, wie der Bürgerkrieg in Syrien allgemein weitergeht, wie man damit umgehen muss, dass ist dann wiederum eine andere Situation.
Zurheide: Bleiben wir mal beim Verhältnis Türkei Russland, der türkische Präsident hat ja mit Russland gespielt, um das auch wieder gegen die Nato zu richten. Also diese Wechselspielerei, die er da gemacht hat, die kann er jetzt getrost knicken oder?
Djir-Sarai: Ja, das ist in der Tat so. Die Türkei hat ja lange geglaubt, sie kann einerseits NATO-Mitglied sein, aber auf der anderen Seite dann auch intensiv mit Russland zusammenarbeiten, in Syrien, übrigens auch in energiewirtschaftlichen, energiepolitischen Fragen. Und es hat sich herausgestellt, dass an der Stelle Russland mehr oder weniger die Türkei ja fast reingelegt hat und in eine dementsprechend schwierige Situation gebracht hat.
Zurheide: Was erwarten Sie denn vom Treffen, wenn es denn dazu kommt, zwischen Putin und Erdogan?
Djir-Sarai: Im Grunde genommen ist das strategisch sehr klug von Putin angelegt, er sitzt auf der besseren Seite, hat an der Stelle die besseren Karten. Für Erdogan wird es letztendlich nur die Frage sein, wie er gesichtswahrend aus diesem Konflikt aussteigen kann.
Djir-Sarai: Türkei muss selbst gucken, wie sie aus der Krise rauskommt
Zurheide: So, dann schauen wir auf die NATO, das ist ja der andere Punkt. Es hat Avancen gegeben oder Hinweise gegeben oder Wünsche gegeben der Türkei, so etwas wie den Bündnisfall auszurufen. Die Reaktion war einigermaßen kühl, ist das richtig gewesen?
Djir-Sarai: Die Türkei hat das Recht – übrigens wie alle anderen NATO-Mitglieder auch – und davon hat die Türkei in dem Fall Gebrauch gemacht, auf Basis des sogenannten Artikel 4 des NATO -Vertrages, die Mitglieder zu einer Sitzung kommen lassen, den Bündnisfall, welcher geregelt wird vom Artikel 5, davon sind wir ja noch weit entfernt. Und dementsprechend waren die Reaktionen der NATO -Staaten. Es gibt unterschiedliche Optionen, man kann sagen, wir sind bei euch in Gedanken, man kann aber auch sagen, wir unterstützen uns solidarisch, vor Ort, aktiv. Und nach meiner Beobachtung haben sich die anderen eher dafür entschieden zu sagen, wir sind gedanklich bei euch, aber übersetzt heißt das, im Kern müsst ihr selber gucken, wie ihr aus dieser Krise wieder rauskommt.
Zurheide: Ist das die richtige Reaktion, denn man kann ja sagen und so wird es auch argumentativ begründet, die Türken haben angefangen, haben einen Angriffskrieg geführt – und da zieht das dann nicht unbedingt. Wie sehen Sie das?
Djir-Sarai: Ich sehe das auch so. Es gab genügend Versuche seitens der NATO als Organisation vom Beginn des Konfliktes an gegenüber der Türkei zu signalisieren, das ist ein Abenteuer, was ihr macht, und das kann nur schlecht ausgehen. Und das ist übrigens auch nicht im Einklang mit den Zielen der NATO als Organisation. Diese Bedenken, diese Warnungen sind von der Türkei in den letzten Monaten systematisch ignoriert worden. Die Türkei hat dann die eigene Nummer gespielt, die eigene Karte gespielt, und dementsprechend ist sie jetzt in einer schwierigen Situation. Und so bewerten das auch die anderen NATO -Mitgliederstaaten auch, sie denken nicht daran, an der Stelle sich auf ein Abenteuer einzulassen, was letztendlich die Türkei selbst begonnen hat.
Zurheide: Wie bewerten Sie denn die Sätze der amerikanischen Seite, die im UN-Sicherheitsrat etwa sagt, die Türkei hat unsere volle Unterstützung um die Selbstverteidigung und so weiter? Ist das eine andere Sprache oder ist das nur etwas freundlicher formuliert als das, was wir gerade diskutiert haben. Wie bewerten Sie das, was da passiert ist?
Djir-Sarai: Das ist das, was wir hier diskutiert haben, natürlich sehr diplomatisch formuliert, die berühmte NATO -Sprache. Es ist ja eine Gemeinschaft, und in einer Gemeinschaft will man auch dafür sorgen, dass zumindest quasi an der Stelle der Eindruck entsteht, man sei solidarisch, aber die Wahrheit lautet: Seht zu, wie ihr da selbst klarkommt!
"Die Türkei war kein verlässlicher Partner"
Zurheide: Jetzt gibt es aber, den Punkt müssen wir natürlich hinzufügen auch in diesem Gespräch, das Druckmittel Flüchtlinge. Die Türkei spielt sehr offen damit, zumindest Europa gegenüber, unter der Überschrift: Wenn ihr uns jetzt nicht unterstützt, dann machen wir die Schleusen auf. Erstens, was halten Sie davon, dass man so miteinander umgeht?
Djir-Sarai: Ich meine, das ist auch keine Überraschung. Wenn man glaubt, so wichtige Deals mit Herrn Erdogan machen zu können, dann muss man auch damit rechnen, dass er das als Instrument benutzt, um Europa oder Europäer zu erpressen. Und ich meine, wir haben auch in der Vergangenheit andere Reden von ihm gehört, das ist auch nichts Neues, das macht er ja regelmäßig. Hier hat die Türkei ein Instrument gefunden, um zu sagen, liebe Europäer, wenn ihr nicht macht, was ich will, ich kann euch jederzeit damit erpressen, Instrument Thema Flüchtlinge, ich öffne die Schleuse, und die sind dann alle bei euch und ihr habt Situationen oder Bilder wie im Jahr 2015.
Flüchtlinge laufen in der Türkei in Richtung griechische Grenze
Flüchtlinge auf dem Weg in Richtung griechische Grenze: Es kursiert das Gerücht, dass die Türkei Flüchtlinge für ein paar Stunden an den Grenzen nach Griechenland nicht aufhalten will. (picture alliance / AA / Gokhan Balci)
Damit spielt er ja permanent, aber nach meinen Erkenntnissen wird er in dieser Situation auch diese Karte nicht spielen können. Das wäre dann quasi der Punkt, wo die Türkei absolut ihre Glaubwürdigkeit verliert. In den letzten Monaten oder auch in den letzten Jahren ist ja immer wieder deutlich geworden, dass die Türkei – ob jetzt im Zusammenhang mit Europa oder mit NATO als Organisation –, die Türkei war kein verlässlicher Partner. Und ich glaube, in so einer Situation wäre das endgültig aus und hätte die Türkei komplett ausgespielt – auch das kann nicht im Interesse der Türkei sein.
"Europa kann der Türkei keine konkreten Angebote machen"
Zurheide: Die Frage ist, wie sollte Europa jetzt reagieren, ruhig bleiben oder irgendwelche Angebote machen?
Djir-Sarai: Europa kann in der Situation für die Türkei, vor allem, wenn wir jetzt von Syrien reden, keine konkreten Angebote machen an die Türkei, was den Konflikt in Syrien anbetrifft.
Zurheide: Aber im Bezug auf Flüchtlinge, Herr Kiesewetter hat gestern bei uns gesagt, na ja, wir müssen die Türkei da mehr unterstützen, dass sie möglicherweise noch eine Million mehr aufnimmt und dass wir da möglicherweise noch mal etwas drauflegen. Halten Sie das für richtig?
Djir-Sarai: Man kann über diese Dinge diskutieren in Details, Fakt ist, es ist von Anfang an falsch gewesen, da Herrn Erdogan in diese Schlüsselposition zu bringen. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, das ist auch Teil der Wahrheit, die Türkei hat legitime Sicherheitsinteressen, die Türkei hat definitiv seit dem Syrienkonflikt ein Flüchtlingsproblem. Also, die Türkei an der Stelle zu unterstützen, ist nie falsch. Aber nicht im Zusammenhang mit Erpressungen und vor allem erst recht nicht im Zusammenhang mit den syrischen Bürgerkrieg, wo die Europäer selbst nur Zuschauer sind und das Ganze nur kommentieren und kluge Ratschläge geben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.