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FDP fordert Steuersenkung

Trotz geschätzten Mindereinnahmen des Staates von mindestens 45 Milliarden Euro hält der Vorsitzende des Bundestagshaushaltsausschusses Otto Fricke (FDP) an der Forderung fest, die Steuern zu senken. Im Gegenzug sollen die Staatsausgaben vermindert werden. Dafür sollen Zuschüsse, wie beispielsweise die Steinkohlesubventionen, abgebaut werden.

Otto Fricke im Gespräch mit Jochen Spengler | 14.05.2009
    Jochen Spengler: Für dieses Jahr erwartet die Bundesregierung einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um sechs Prozent. Folge: Die Steuereinnahmen brechen ein. Wie stark sie einbrechen, das wollen heute die Steuerschätzer prognostizieren, die seit vorgestern in Bad Kreuznach in Klausur tagen.

    Am Telefon begrüße ich nun den Vorsitzenden des Bundestagshaushaltsausschusses Otto Fricke (FDP). Guten Morgen, Herr Fricke.

    Otto Fricke: Trotz der Zahlen ebenfalls schönen guten Morgen.

    Spengler: Herr Fricke, es kann einem schwindelig werden bei diesen Zahlen. Worauf stellen Sie sich ein?

    Fricke: Ich stelle mich auf die 320 Milliarden bis 2013 ein, ich stelle mich auch darauf ein, dass Bund, Ländern und Kommunen in diesem Jahr 45 Milliarden gegenüber der letzten Steuerschätzung fehlen, und ich stelle mich darauf ein, dass dem Bund selber, also dem Haushalt, wo ich als Vorsitzender mit meinem Ausschuss für verantwortlich bin, wegen der Besonderheit des bereits einen Nachtragshaushaltes im Steuerbereich noch mal 14 Milliarden wahrscheinlich fehlen werden - und darüber hinaus wir natürlich im Nachtragshaushalt auch noch manche Ausgabe zusätzlich bekommen werden.

    Spengler: Ist das alles noch verfassungskonform?

    Fricke: Da bin ich inzwischen sehr vorsichtig, da noch mit dem Vorschlaghammer der Verfassungswidrigkeit zu kommen. Ich will unumwunden zugeben, dass wir in einer besonderen Wirtschaftssituation sind, aber der eigentliche Fehler im System lag in den drei fetten Jahren, die wir vorher hatten. Da hat man schlichtweg vergessen, einfach mal sich an das biblische Beispiel der drei fetten Kühe, beziehungsweise in dem Fall waren es sieben, zu erinnern, die von den sieben mageren sogar aufgefressen werden ...

    Spengler: Herr Fricke, da lassen wir uns aber nach vorne gucken. Das bringt ja jetzt nichts zurückzugucken. Was macht ein Staat in einer solchen Haushaltslage? Wie kommen wir da raus?

    Fricke: Doch, da ist das Zurückgucken schon ein bisschen wichtig, weil man sich daran erinnern muss, wann haben wir die Chance vertan und wie können wir verhindern, dass wir sie wieder vertun.

    Das Hauptproblem, was wir in einer sozialen Marktwirtschaft scheinbar immer zu haben scheinen, ist, dass wir nicht die guten Jahre nutzen, um dafür vorzusorgen, und dass wir uns nicht fit machen dafür, wenn es schlechter wird.

    Und jetzt kommt das Entscheidende: Wir haben also die Erkenntnis, da kommen diese Steuerausfälle, weil wir durch die Minus sechs in diesem Jahr auf einer sehr niedrigen Basis uns langsam wieder hochkrabbeln werden. Da kann man sagen, man guckt wirklich darauf und sagt, oh, das ist es, 320 Milliarden, jetzt bloß nichts verändern - das versucht der Finanzminister uns ja auch zu erklären -, oder man sagt - nehmen wir ein Bild -, wir sind mitten in einem Gewitter, haben ein paar kleine Regenschirme, ein paar größere Regenschirme für die Banken, und warten jetzt und hoffen, dass uns der Blitz nicht trifft. Oder wir sagen, wir verändern uns, wir gucken, an welchen Stellen wir die Stellschrauben verändern, und wie können wir uns fit dafür machen und gucken, dass wir aus diesem Regen, aus dem Gewitter rauskommen.

    Spengler: Heißt "Stellschrauben langsam verändern" an den Ausgaben sparen?

    Fricke: Auch!

    Spengler: Wo denn genau?

    Fricke: Es heißt, nicht nur an den Ausgaben zu sparen; es heißt, an die Subventionen heranzugehen, es heißt auch, eine Diskussion darüber in der Gesellschaft zu führen, was ist eigentlich etwas, was wir in guten Zeiten vielleicht für richtig gehalten haben, was wir aber in schlechteren Zeiten uns nicht leisten können, so wie es der Privatbürger auch tut.

    Spengler: Machen Sie doch mal einen Vorschlag, Herr Fricke. Wo?

    Fricke: Kleinen Moment, den einen Satz noch zu Ende! - Und das heißt natürlich auch, die wesentliche Schraube einer sozialen Marktwirtschaft in der Umlagerung von den Starken auf die Schwachen, nämlich das Steuersystem so hinzukriegen, dass die Starken in ihrer Leistung nicht behindert werden, aber gleichzeitig genügend Steuerertrag kommt für die Schwachen.

    So, und jetzt gehen wir an die Ausgaben. Da sage ich Ihnen ganz ehrlich: erstens an die Subventionen. Das haben wir in der guten Zeit verpasst, das müssen wir dann jetzt machen. Wir können nicht Dinge jetzt noch subventionieren, von denen wir wissen, dass sie in Zukunft keinen Markt mehr haben werden.

    Spengler: Zum Beispiel?

    Fricke: In dem Falle kreuz und quer durch alles. Ich nehme das platte Beispiel gerne noch mal der Steinkohle. Hätten wir das nicht in den letzten drei Jahren etwas besser abbauen können? Hätten wir da nicht sagen können, die Subventionen gehen runter? Hätte sich nicht jeder Standort mit einem Steinkohlebergwerk gefreut, wenn die Subventionen runtergegangen wären, aber die Bereitschaft - ich nehme Kamp-Lintfort in dem Fall - für eine Universität oder eine Fachhochschule wäre da gewesen; also in die Zukunft investiert statt rückgängig?

    Ich muss rangehen natürlich an die Entwicklungshilfe und ich muss rangehen auch an die Frage des Arbeitsmarktes. Warum ist es denn so, dass wir über Jahre hinweg dieselben Arbeitsmarktfördermittel machen, die angeblich in schlechten Zeiten helfen und angeblich in guten Zeiten? Da muss man sich doch dann mal fragen: Was sind denn das für Mittel, wenn am Ende da doch gar keine Veränderung kommt.

    Spengler: Herr Fricke, haben Sie als Haushälter eine Gesamtzahl, wie viel man insgesamt bei Subventionen einsparen könnte?

    Fricke: Eine Gesamtzahl hängt davon ab, was wir jetzt im Rahmen eines wirklichen Kassensturzes am Ende der Legislatur rausbekommen, weil ich ja noch gar nicht erkennen kann, was da alles noch in den Neben- und Schattenhaushalten der Bundesregierung jetzt so alles liegt.

    Wir werden zum Beispiel heute wieder einen kleinen neuen Schattenhaushalt - der ist zwar nur am Rande - beschließen; da geht es mal eben darum, dass der Bund mit inflationsindexierten Anleihen gearbeitet hat. Wir werden da ganz genau gucken müssen - und ich werde mich hüten, an der Stelle jetzt zu sagen, das ist genau die Zahl. Aber dann muss ich mir - und das empfehle ich jedem Bürger - einfach mal den Subventionsbericht herannehmen, den die Bundesregierung selber herausgibt, und da sind schon sicherlich zweistellige untere Milliardenbeträge drin.

    Aber ich sage Ihnen auch ganz klar: Wichtig ist für mich nicht nur die Frage, was ich kürze, sondern noch mal, Kernelement ist die Steuer, denn das Steuersystem ist das Getriebe, um unsere Wirtschaft nach vorne zu bringen.

    Spengler: Herr Fricke, darauf kommen wir jetzt zu sprechen. Das eine ist Ausgabensenkungen, wenn der Staat zu wenig Geld hat, und er muss ja handlungsfähig bleiben, also braucht er Geld. Das andere wäre Steuern erhöhen?

    Fricke: Ja. Für manche ist das so, weil sie glauben, dass sie durch Steuererhöhungen dem Staat insgesamt dann im Ergebnis mehr Geld zuführen. Das funktioniert nur leider bei uns nicht, weil wir mit unserer Steuerbelastung insgesamt - Steuer- und Abgabenbelastung, bevor ich jetzt wieder einen Finanzminister habe, der sagt, aber bei den Steuern ist es anders; entscheidend ist für den Bürger nicht, ob das eine Steuer ist oder eine Abgabe, entscheidend ist, wie viel ihm nachher netto übrig bleibt.

    Spengler: Also die FDP plädiert nach wie vor für Steuersenkungen?

    Fricke: Ja! Noch mal aus einem einfachen Grund: Wir haben diese 320 Milliarden, und das sind die 320 Milliarden, die wir dann haben werden, wenn wir uns nicht verändern, wenn wir nichts tun, wenn wir als Staat uns nicht modernisieren, wenn wir nicht in der Lage sind, uns neue Märkte zu erschließen, wenn wir nicht in der Lage sind, unsere Kinder und unsere Jugendlichen besser auszubilden, wenn wir nicht in der Lage sind, denjenigen, die neue Ideen haben, die Möglichkeit zu geben, mit diesen neuen Ideen möglichst schnell möglichst viel zu investieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen.

    Spengler: Ich muss trotzdem noch mal nachfragen. Wir laufen vermutlich auf eine Gesamtverschuldung von 2,4 Billionen Euro hinaus. Das heißt, jeder Bundesbürger hat theoretisch 30.000 Euro Schulden. Wie soll man in so einer Situation noch weiter Schulden anhäufen, indem man Steuern senkt?

    Fricke: Wenn es so wäre, dass durch Steuersenkungen es heißt, dass man auf Dauer dann auch weniger Steuereinnahmen als Staat hat, dann würde ich Ihnen ja zustimmen. Das Ergebnis, was wir in den letzten Jahren nun hatten, war: Da, wo man Steuern gesenkt hat, hat es nachher eine höhere Aktivität gegeben, mehr Bereitschaft zur Leistung. Ludwig Erhard hat das ja schon vor 40 Jahren gesagt: Man kann sich nur dann mehr leisten, wenn man auch mehr leistet. Dazu muss ich aber motivieren.
    Ich habe ja durchaus, wenn auch leider viel zu klein, einen Kronzeugen, der in den letzten Monaten ja selber das gemacht hat. Es wird vollkommen vergessen, dass die Bundesregierung an ganz kleinen Stellen viel zu mutlos, viel zu schwach im Konjunkturpaket II Steuern gesenkt hat - und damit ja zugegeben hat, dass es ein Mittel ist.

    Deswegen wundere ich mich, dass man jetzt sagt, Steuersenkung ist falsch, es vorher viel zu klein und viel zu niedrig gemacht hat und jetzt anderen, die sagen, wir müssen aber etwas wagen, wir müssen nach vorne gehen an der Stelle, sagt, das geht aber auf gar keinen Fall, wir brauchen nämlich das Geld, um eine neue Abwrackprämie zu machen, um Opel teilzuverstaatlichen, zwischenzuverstaatlichen oder was auch immer rauskommt. Das ist so dieses Spiel nach dem Motto "nein, nur für unsere Systeme kann man Geld ausgeben, aber für das, was die Zukunft verändert, dafür nicht".

    Spengler: Herr Fricke, ich stelle fest: Die Krise hat viele eherne Gewissheiten erschüttert, nur die FDP muss nicht umdenken und wiederholt ihr Steuersenkungsmantra. Wer soll denn entlastet werden?

    Fricke: Ganz klar diejenigen, und zwar, weil ja sofort der Vorwurf kommt, die FDP, das ist doch nur die Partei, die diejenigen entlasten will, die viel verdienen. Nein, wir müssen alle diejenigen entlasten, die leisten.

    Spengler: Wer ist denn das?

    Fricke: Alle diejenigen, die bei uns in diesem Lande Steuern bezahlen.

    Spengler: Also Sie wollen alle entlasten?

    Fricke: So weit es geht über die Weite ja. Deswegen heißt es ja auch - ich weiß, auch da heißt es immer wieder "typisch FDP" -, ein niedriges, einfaches und gerechtes Steuersystem. Und ich kann doch nicht bei der Steuer auf einmal sagen, jetzt gibt es für mich Bürger erster und zweiter Klasse, die einen entlaste ich mehr, die anderen entlaste ich weniger. Und die Entlastung muss sich auch danach natürlich richten, wie schaffe ich neue Arbeitsplätze.

    Spengler: Es geht ja nicht, alle zu entlasten. Irgendeiner muss ja dann belastet werden, sonst funktioniert das doch nicht.

    Fricke: Wenn ich gleichzeitig dann auch noch an die Ausgaben, worüber wir ja eben gesprochen haben, rangehe, dann geht das schon. Die Frage für die deutsche Gesellschaft wird jedoch sein, auf welche lieb gewonnenen Dinge wollen wir verzichten, auf welche lieb gewonnenen Dinge sind wir auch bereit zu verzichten, weil wir sehen, dass an der anderen Stelle dann am Horizont nach dem Gewitter auch die Sonne wieder hochkommt.

    Spengler: Nun hat die OECD in einer Studie nachgewiesen, dass in Deutschland vor allem die Gering- und die Mittelverdiener von Steuern und Abgaben belastet werden. Spitzenverdiener werden vergleichsweise geschont. Muss das nach Ansicht der FDP korrigiert werden?

    Fricke: Das war ja auch ein Ergebnis: Sie haben erst mal gesagt, insgesamt ist die Belastung sehr hoch. Das ist ja etwas, was dabei vollkommen verschwiegen wird. Aber es zeigt doch, wenn ich sage, ich habe eine übermäßige Belastung, dass ich an Stellen, wo ich diesen berühmten Mittelstandsbauch zum Beispiel habe, besonders stark herangehen muss. Die Belastung kommt ja auch dadurch, dass wir bei unserem Gesundheits- und in anderen "Sozialsystemen" - in Anführungszeichen - Regelungen haben, die das auch nicht ganz klar machen, wo die Belastung besonders stark ist und wo sie schwach ist.

    Spengler: Ich will ja nur wissen, ob die FDP sich immer noch als Partei der Besserverdiener versteht, oder auch die Spitzenverdiener mehr heranziehen möchte.

    Fricke: Die FDP hat sich nie als Partei der Besserverdiener verstanden. Das ist ein schönes Vorurteil. Das wäre so, wie wenn ich sage, Grüne haben keine Ahnung von Wirtschaft, "Sozen" können nicht mit Geld umgehen und Christen sind nur konservativ.

    Spengler: Aber der Ausdruck kommt aus Ihrer Partei.

    Fricke: Oh, jetzt sind wir in der Geschichtsforschung. - Nein, eigentlich kam der Ausdruck mal von einem gewissen Herrn Scharping, aber da sind wir jetzt schon sehr weit in der Geschichte. - Um die Frage zu beantworten: Bei der Frage, wer wird wo entlastet, und auch bei der Frage, wer muss wo auf lieb gewordenes verzichten, spielt nicht die Frage die Rolle, wie viel Geld ich verdiene, wie viel Geld ich habe, sondern spielt die Frage eine Rolle, wie viel bin ich bereit, für diese Gesellschaft zu tun, und wie viel habe ich auch die Verpflichtung - und das bitte ich nicht zu vergessen -, wie viel hat der Leistungsfähige auch die Verpflichtung, mit seiner Leistung für die Schwachen in unserer Gesellschaft was zu tun.

    Aber dann muss ich ihm auch sagen, ich will, dass du die Karre aus dem Dreck ziehst, wo diejenigen sitzen, die sie nicht mehr ziehen können, und ich will dir nicht zusätzliche Belastungen auf die Schultern legen und dann gucken wir mal, dass es vielleicht jemand anders macht.

    Spengler: Der Vorsitzende des Bundestagshaushaltsausschusses Otto Fricke, FDP. Danke, Herr Fricke, für das Gespräch.

    Fricke: Ich danke und wünsche trotzdem einen schönen Morgen.