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FDP: Positives Signal für den Forschungsstandort Deutschland

Müller: Am Telefon verbunden sind wir nun mit der FDP-Politikerin Ulrike Flach, der Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses im Bundestag.

30.10.2003
    Flach: Guten Tag, Herr Müller, des Forschungsausschusses.

    Müller: Entschuldigung, des Forschungsausschusses. Aber das zeigt, dass wir mit Ihnen richtig verbunden sind, ja? Frau Flach, wir beginnen: Viel Kritik war zu hören eben im Beitrag unseres Kollegen aus Berlin. Hat denn wenigstens die FDP der Justizministerin schon ein Glückwunschtelegramm zukommen lassen?

    Flach: Oh ja, ich habe gestern sehr schnell reagiert. Wir sind ja die einzige Fraktion, die einhellig der Meinung ist, dass das damalige Stammzellenimportgesetz ein Fehler war. Für uns ist der Zypries-Vorstoß der Versuch, eine Tür zu öffnen, die leider für deutsche Forscher verschlossen war.

    Müller: Wir haben eben aus der wissenschaftlichen Kompetenz gehört, dass die bestehende Gesetzesregelung, die ja inzwischen seit ungefähr anderthalb Jahren in der Praxis besteht, durchaus ausreicht dafür, das zu tun, was im Moment getan werden kann.

    Flach: Das ist auch unbestritten. Wir sind ja in einer Phase, in der die Forschung gerade erst angefangen hat. Wir müssen eben die Möglichkeit haben, wenn es zu einem Erfolg kommt, und wir gehen eigentlich definitiv aus, dass es dazu kommen wird, müssen wir in der Lage sein, unsere Gesetze entsprechend zu ändern. Wenn ich die Böhmersche Variante nehme, stehen wir in einem Falle, wenn wir wirklich in Therapie übergehen wollen, vor einer verschlossenen Tür. Wenn ich Frau Zypries richtig interpretiere, macht sie zur Zeit den Versuch, diese Tür schon einmal etwas zu lockern, damit wir dann auch schnell hindurch gehen können.

    Müller: Frau Flach, die Thematik ist ja relativ kompliziert. Es geht ja einmal um die Bewertung des Embryonenschutzgesetzes, und zum zweiten geht es um den Stammzellenimport. Hat ein vitro-Embryo keine Menschenwürde?

    Flach: Wir haben immer die Meinung vertreten, dass wir beim Embryo in der Petrischale von einem abgestuften Lebensschutz reden müssen. Ein Embryo in der Petrischale kann nicht das gleiche Recht haben wie das Kind im Mutterleib. Wir haben ja auch andere Verfahren in Deutschland, die deutlich machen, dass wir in der Realität auch so leben. Denken Sie an die Spirale, denken Sie an die Möglichkeiten, abzutreiben, die ja auch etwas bizarr dagegen stehen zu dem, was wir hier in der Wissenschaft diskutieren. Ich muss also klar sagen: Der Embryo in der Petrischale kann nicht das gleiche Recht haben wie ein Embryo, der bereits eingelagert, eingenistet wird und sich im Endeffekt im Mutterleib zum Kind entwickelt.

    Müller: In diesem speziellen Falle definiert also die Verschmelzung von Ei und Samenzelle nicht die individuelle Existenz des Menschen?

    Flach: Sie ist kein absoluter Schutz, sondern wir gehen davon aus, dass je mehr der Mensch heranwächst, desto größer auch der Schutz ist. Das halte ich auch für logisch. Wenn ich mir die Debatten der letzten zwei Jahre anschaue, gibt es auch eine ganze Reihe von Verfassungsrechtlern, die uns auf diesem Weg immer positiv begleitet haben. Nur die Mehrheit des Bundestages war anderer Meinung.

    Müller: Frau Flach, reden wir doch noch einmal über die Notwendigkeit von Veränderungen. Sie haben eben gesagt: Das, was auf dem Markt ist, reicht offenbar aus, aber wenn die ersten Erfolge kommen, müssen wir weiterkommen. Welche Erfolge könnten denn damit gemeint sein?

    Flach: Wir betreiben ja Stammzellforschung vor allen Dingen vor dem Hintergrund, Gewebe zu erhalten, mit dem dann Krankheiten wie Parkinson geheilt werden können, also wirklich schwere Krankheiten, die weit verbreitet sind. Es geht hier nicht um exotische Heildebatten, sondern um Krankheiten, die man schon zu Volkskrankheiten zählen kann. Wenn die Forschung so weit kommt, dass sie sagt, ich kann in die klinische also in die therapeutische Phase übergehen, ist das bisher vorhandene Stammzellenmaterial nicht geeignet. Es ist verseucht, es kann also nicht eingesetzt werden. Ich muss also neue Stammzellen haben. Dann haben wir die Debatte: Wir kommen nicht mehr mit denen aus, die unsere Gesetze zulassen, sondern wir brauchen neues Material. Dann müssen wir die Gesetze ändern. Das ist leider das Verfahren, was dann auf uns zukommt.

    Müller: Haben Sie denn die Begründung für diesen restriktiven Stammzellenimport verstanden?

    Flach: Nein, ich habe das immer als Doppelmoral empfunden. Im Prinzip signalisieren wir ja der Außenwelt: Unsere Embryonen in der Petrischale werden geschützt, aber die des Auslandes wollen wir benutzen. Die sind es dann wert, dass sie unseren Forschern zur Verfügung gestellt werden. Das ist für mich immer eine Doppelmoral gewesen.

    Müller: Wie viele embryonale Stammzellen stehen denn derzeit in Deutschland zur Verfügung? Es war ja in der Vergangenheit immer wieder zu lesen, dass es doch grundsätzlich genug davon gibt.

    Flach: Wir hatten ja damals den Vorschlag gemacht, ein Vorschlag, der von einigen europäischen Ländern auch umgesetzt werden soll, dass man die aus der künstlichen Befruchtung übriggebliebenen Embryonen nimmt. Zur Zeit werden sie eingefroren und werden irgendwann, wenn sie nicht mehr eingesetzt werden, weil die Eltern krank sind oder es nicht mehr wollen, vernichtet. Diese wollten wir benutzen. Das war eine überschaubare Zahl von im schlimmsten Falle etwas über 100, wahrscheinlich sogar darunter liegend. Damit haben wir uns nie durchsetzen können. Jetzt haben wir die Debatte seit ungefähr zwei Monaten erneut auf der europäischen Ebene, weil andere europäische Länder es als europaweite Lösung vorschlagen wollen. Erneut steht Deutschland da und sagt: Diesen Weg wollen wir nicht mitgehen.

    Müller: Nun ist die FDP ja für die grundsätzliche Liberalisierung. Einmal Embryonenschutzgesetz, zum zweiten Stammzellenimport erleichtern. Hat die FDP auch Bedenken, dass das in Richtung Missbrauch gehen könnte?

    Flach: Wir haben unsere Vorschläge immer eng an restriktive Regelungen gebunden. Wir wollen, dass es nicht sozusagen jeder Forscher um die Ecke machen kann, sondern wir wollten es in stark begrenzten Zentren, Stammzellzentren, zulassen, und das auch unter sehr starken rechtlichen Auflagen. Es sollte also keine Liberalisierung der Regelungen erfolgen, aber wir wollten wenigstens den Forschern die Möglichkeit eröffnen, Stammzellen wie zum Beispiel in den USA oder in Israel oder in anderen Ländern der Welt genau so zu erforschen, wie das eben heute so gemacht wird.

    Müller: England ist für Sie ein positives Beispiel?

    Flach: England ist ein sehr naheliegendes Beispiel. Dort geht man sehr schnell voran. Es ist das Stammzellzentrum Europas, wenn nicht sogar der Welt zur Zeit.

    Müller: Frau Flach, reden wir abschließend noch einmal über den politischen Kontext: Es gibt jetzt die eine oder andere Stimme in der Bundesregierung, die sagt, wir müssen etwas ändern. Vermutlich sieht das auch der Bundeskanzler so. Er hat das zumindest in den Bundestagsdebatten in der Vergangenheit immer wieder angedeutet. Sehen Sie auf absehbare Zeit in einer Form eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse?

    Flach: Herr Müller, ich sehe es in dieser Legislaturperiode etwas negativer als in der letzten. Wir haben in dieser Periode die ganze Debatte den Moraltheologen übertragen. Die Menschen im Bundestag, die so denken wie ich, haben sich aus der Debatte hinausgezogen. Gerade aus diesem Grunde bin ich ja so angenehm berührt, dass wirklich endlich einmal eine Ministerin nach vorne geht. Ich erwarte das auch von Frau Bulmahn übrigens, der Forschungsministerin, die sich nicht länger dahinter verstecken kann. Nur wenn Leute wieder bereit dazu sind, ihre Positionen offen zu vertreten, haben wir eine Chance, auf diesem Gebiet weiterzukommen.

    Müller: Ulrike Flach war das, die Vorsitzende des Forschungsausschusses im Bundestag, FDP. Vielen Dank für das Gespräch.

    Flach: Danke.