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Feedback von Schülern erwünscht

Ties Rabe ist der Überzeugung, dass die meisten Lehrer nichts gegen eine Bewertung durch ihre Schüler hätten - wenn das Feedback fair und sachlich sei. Der Schulsenator plant einen regelmäßigen Austausch zwischen Schülern und Lehrern. Zensuren sollen dabei jedoch nicht vergeben werden.

Manfred Götzke sprach mit Ties Rabe | 27.03.2012
    Manfred Götzke: Spickmich.de – seit fünf Jahren können Schüler auf dieser Plattform mit Lehrern machen, was Lehrer sonst mit Schülern tun: Noten geben, von Eins bis Sechs. Orientiert an Kriterien wie cool und witzig, beliebt, gelassen oder guter Unterricht. Und genau wie Schüler ungern eine Sechs bekommen, wollen auch die Lehrer auf dieser Seite nicht erfahren, dass ihre Schüler sie unlustig, peinlich und uncool finden und den eigenen Unterricht schlecht. Mehrere Lehrer haben deswegen gegen das Portal bis in höchste Instanzen geklagt – vergeblich. Der Chef der Kultusministerkonferenz, der KMK, Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, der hält Beurteilungen von Lehrern dagegen für richtig und wichtig. Er fordert jetzt, dass sich Lehrer von Schülern und auch Kollegen regelmäßig beurteilen lassen sollen, und sorgt damit auch für großen Ärger bei den Pädagogen. Herr Rabe, warum wollen Sie einen KMK-Spickmich einführen?

    Ties Rabe: Es geht darum, Unterricht zu verbessern, und ich glaube, dass alle Beteiligten ein großes Interesse haben. Die Frage ist allerdings, wie man Unterricht besser macht. Und ich glaube, dazu muss man über Unterricht sprechen. Da muss man sich austauschen darüber, was gut läuft, was besser werden kann, und dieses Gespräch über Unterricht, das müssen wir nicht durch Zufall ermöglichen, sondern das sollte man regelmäßig initiieren. Das geht. Das machen viele Schulen schon jetzt, indem sie beispielsweise sich mit den Schülern darüber austauschen oder mit Kolleginnen und Kollegen. Dabei geht es überhaupt nicht um Spickmich. Es geht auch nicht um Bewertung oder gar Zensuren oder Ähnliches, sondern es geht um ein Gespräch mit dem Ziel, Unterricht besser zu machen. Und ich finde, nichts ist wichtiger, als an dieser Stelle anzusetzen, denn tatsächlich geschieht das meiste und wichtigste für den Lernerfolg im Unterricht. Das hat nicht nur was mit Schulstrukturen, mit Geld und was üblicherweise in der Politik diskutiert wird, zu tun, sondern vor allem auch damit, wie gut der Unterricht ist. Und deswegen wünsche ich mir einen Prozess, in dem alle Beteiligten darüber reden: Was läuft gut und was kann besser werden?

    Götzke: Wie soll das denn strukturiert ablaufen? Also, Sie haben ja durchaus vorgeschlagen, dass das regelmäßig stattfindet und dass auch Bewertungen vorgenommen werden sollen.

    Rabe: Ich will keine Zensuren für Lehrer in diesem Falle, ich will auch nicht irgendwelche Zeugnisse oder sonst etwas, sondern ich will sicherstellen, dass das, was im Klassenraum passiert, diskutiert wird und dass alle Beteiligten darüber nachdenken, wie man das besser machen kann. Wie das im Einzelnen ablaufen kann, das, finde ich, kann man in einer Diskussion, die jetzt sicherlich erfolgen wird, genauer überlegen. Es gibt die Möglichkeit, zum Beispiel nach Unterrichtseinheiten Schülerinnen und Schüler mit einem Rückmeldebogen nach dem Lernerfolg und nach dem Unterricht zu befragen. Es geht darum, dass das, was einige Lehrer regelhaft schon machen, dann auch auf Schule insgesamt übertragen werden könnte. Übrigens darf ich ergänzen: Bei vielen Fortbildungseinrichtungen, auch bei vielen anderen Bildungseinrichtungen gehört das ebenfalls zur Regel, dass man die Teilnehmer hinterher befragt. Und ich darf zum Schluss sagen: Schülerinnen und Schüler, wenn man sie dergestalt ernst nimmt, habe ich als ausgesprochen vernünftig und hilfreich kennengelernt. Die haben gar keine Lust, da immer nur böse Sachen reinzuschreiben, sondern die sind eigentlich sehr kritisch und sachlich in ihrer Beurteilung, und das sollte man nutzen.

    Götzke: Trotzdem gibt es jetzt massive Kritik an Ihrem Vorschlag von Lehrerverbänden oder auch von dem CDU-Bildungsexperten Rupprecht, der sagt: Wer Lehrer durch Schüler und Kollegen bewerten lassen will, der untergräbt ihre Autorität und sät Unfrieden in den Schulen. Wie erklären Sie sich diese massive Ablehnung?

    Rabe: Die Ablehnung mag mit dem Wort der Bewertung zu tun haben, ein Wort, das ich allerdings nie benutzt habe, sondern ich möchte gern ein Gespräch über den Unterricht in Gang setzen. Allerdings bin ich über einige der Hinweise auch deshalb überrascht, weil so getan wird, als ob Lehrer, die über ihre Arbeit diskutieren lassen, dabei Autorität verlieren. Ganz im Gegenteil habe ich den Eindruck, diejenigen verlieren Autorität, die so tun, als ob ihre Arbeit, ich sag mal ein himmlisches Gottesgeschenk sei, an dem man nichts ändern könne, und dass man nicht diskutieren könne.

    Götzke: Warum sträuben sich denn die Lehrer so dagegen?

    Rabe: Ich glaube, die meisten Lehrer sträuben sich gar nicht. Ganz im Gegenteil, wenn ich Schulen besuche, dann sehe ich regelhaft, dass Lehrerinnen und Lehrer mit den Schülern über den Unterricht sprechen, über den Lernerfolg des Schülers, aber auch über die Qualität des Unterrichts. Ich habe eine ganze Reihe von entsprechenden Rückmeldebögen mir angeguckt, die Lehrerinnen und Lehrer selbst erfunden haben, um die Schüler zu befragen, was sie im Unterricht gelernt haben und was noch verbessert werden kann.

    Götzke: Das heißt, Sie sehen aber sehr großen Bedarf bei der Verbesserung des Unterrichts?

    Rabe: Selbstverständlich. Jeder Schüler weiß doch: In dem Unterricht von Frau Maier lernt man viel, und in dem Unterricht von Frau Schulz, da schläft man in der Regel. Und solche Selbstverständlichkeiten muss Politik zur Kenntnis nehmen, und da auch einmal ansetzen und nicht immer nur sagen, ja, wir müssen bei diesem und jenem Schulgebäude vielleicht noch eine Aula anbauen oder dies und das an Strukturreformen machen.

    Götzke: Was passiert denn dann aber mit Frau Schulz, wenn ich Sie da kurz unterbrechen darf?

    Rabe: Meine Erfahrung ist, dass Lehrerinnen und Lehrer, bei denen der Unterricht nicht so gut klappt, keineswegs damit glücklich sind und nachmittags alle Golf spielen und sagen, es interessiert mich überhaupt nicht, was die Schüler und was die Lehrer und die Eltern denken. Sondern ganz im Gegenteil, die suchen doch selber auch nach Wegen, um besseren Unterricht zu machen. Nur, dass es verflixt schwierig ist, wenn man nur auf sich selbst dabei gestellt ist und überhaupt nicht richtig weiß, woran es liegt. Ob es vielleicht daran liegt, dass man in der Ansprache der Schülerinnen und Schüler es allein stimmlich an Dynamik fehlen lässt. Oder ob das Tafelbild völlig unverständlich ist. Oder ob die Aufgabenzettel komisch sind.

    Götzke: Auf der anderen Seite kann es für Lehrer natürlich schon, also für nicht ganz so gute, schwächere Lehrer schon sehr hart sein, so etwas aus dem Munde ihrer Schüler zu hören. Dass die Tafelbilder verwirrend sind und dass die Stimme vielleicht zu hoch und hysterisch ist.

    Rabe: Ich will ganz offen sagen: Das reden Schüler doch sowieso. Und dafür gibt es Internetforen und alle möglichen bestimmt nicht guten Entwicklungen in der öffentlichen Diskussion. Da kommt es doch jetzt eher darauf an, solche vielen Punkte dann in eine, wie ich finde, sachlich vernünftige und konstruktive Form einzubinden, als das alles wegzudeckeln mit dem Erfolg, dass man sich dann als Schüler oder auch als Kollege irgendwo ein Ventil sucht und dass es zu Gruppen im Lehrerzimmer kommt und dass die Schüler bei Spickmich alle möglichen schlimmen Sachen schreiben. Das ist doch hochgradig unvernünftig.

    Götzke: Die Diskussion haben Sie jetzt eröffnet. Wie soll es weitergehen, in Hamburg zum Beispiel?

    Rabe: Ich wünsche mir, dass in der Tat darüber diskutiert wird. Ein solcher Gedanke muss erst mal sacken. Und dann muss man sich darüber austauschen, welche Möglichkeiten es eigentlich gibt, was schon getan wird und ob das, was läuft, im Sinne von gutes Beispiel auch Beispiel sein kann für Veränderungen in allen Schulen. Ich in Hamburg bin jedenfalls dazu bereit, wenn es hier Vorschläge gibt, die praktikabel sind und vernünftig sind, dann werden wir das umsetzen.

    Götzke: Hamburgs Schulsenator Ties Rabe will Lehrer von Schülern bewerten lassen, auch wenn er das Wort Bewertung in diesem Zusammenhang nicht gut findet. Dankeschön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.