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Fehlende Unterkünfte, überfüllte Sprachkurse

Mehr als 70.000 Iraker haben in Schweden aufgrund der liberalen Asylgesetze Zuflucht gefunden. Die Kleinstadt Södertälje etwa, rund 30 Kilometer südwestlich von Stockholm gelegen, hat in den letzten fünf Jahren mehr Kriegsflüchtlinge aus dem Irak aufgenommen als Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien zusammen. Die Folge: die Arbeitslosenquote nahm rasant zu, die Jugend-Kriminalität ebenso. Das liberale Schweden steht vor einem massiven Integrationsproblem. Ein Bericht von Alexander Budde.

06.08.2007
    An diesem Abend hat Samira Herdo Gharib die Tafel gedeckt für ihre Schützlinge:
    Es gibt Kuskus, Linsen und Brot, Minze und nach Knoblauch duftende Aubergine.
    In den schlichten Räumen ihrer Hilfsorganisation, dem multikulturellen Familienzentrum, drängen sich die Flüchtlinge. Mit wenig Geld und Unterstützung versucht Samira Ordnung zu bringen, in das Chaos von Södertälje.

    "Bei mir können sich die Leute sicher fühlen. Ich begleite sie zu den Behörden und zum Arzt, helfe ihnen beim Ausfüllen von Formularen. Wir kochen gemeinsam und dann versuchen wir auch, uns auf Schwedisch zu unterhalten. Das ist ein Stück Integration. Leider reichen mir die Mittel für Strom, Miete und Telefon vorne und hinten nicht."

    Die allermeisten der rund 6.000 irakischen Flüchtlinge in Södertälje sind Christen, die in ihrer Heimat zwischen allen Stühlen saßen – von Schiiten, Sunniten und Kurden gleichermaßen angefeindet. Die 36-jährige Lehrerin Mariam war gezwungen, ihren Mann und ihre drei kleinen Kinder in einem muslimischen Stadtviertel von Bagdad zurückzulassen.

    "Unser Haus liegt direkt neben der Kirche. Die Aufständischen haben uns gesagt, dass sie die Kirche und das Haus angreifen werden. Sie drohten mir mit dem Tod und forderten Geld von uns. Ich habe meine Familie dort und ich weiß nicht, wie ich sie da herausholen soll."

    Kaum einer ist legal ins Land gekommen. Fast alle haben 10 bis 20 000 Dollar an Schleuserbanden und für die nötigen Dokumente gezahlt. Die ersten assyrischen Emigranten aus dem Libanon, Syrien und der Türkei kamen bereits in den 60er Jahren nach Södertälje. Weitere folgten nach dem ersten Golfkrieg von 1991.

    In diesem Jahr dürften es noch einmal deutlich mehr werden, denn Schweden rechnet wegen seiner liberalen Asylgesetze mit bis zu 20.000 weiteren Flüchtlingen aus dem Irak. Fehlende Unterkünfte, keine Arbeit, überfüllte Sprachkurse und Schulklassen: Södertäljes Bürgermeister Anders Lago fürchtet, dass seine Stadt die Belastungen kaum noch länger schultern kann:

    "Wir haben ein System in Schweden, nach dem Asylsuchende dorthin gehen können, wo sie wollen. Die meisten suchen ihre näheren Verwandte oder Freunde aus, und das kann dann bedeuten, dass zwei, drei oder vier Familien in einer Wohnung leben. Das ist einem Land wie Schweden einfach nicht würdig. Wir können die Flüchtlinge ja verstehen, aber unsere Bereitschaft ist hier einfach an ihre Grenzen gestoßen."
    "Little Bagdad" oder "Mesopotälje" – so nennt der Volksmund Stadtviertel wie Ronna oder Hovsjö, in denen fast nur noch Ausländer leben. Satellitenschüsseln bedecken die Fassaden der Wohnsilos. Mit den Einheimischen haben die Zugewanderten kaum Kontakt, vom Sozialamt einmal abgesehen. Zwar steht die Mehrheit der Schweden noch immer fest zu den liberalen Grundfesten ihrer Gesellschaft. Doch wegen der vielen Asylbewerber wächst der Unmut in der Bevölkerung. Merit Wager, streitbare Publizistin und seit Jahren in Flüchtlingsfragen engagiert, sieht Schweden vor einem massiven Integrationsproblem:

    "Schweden ist ein kleines Land. Und wenn dann Zehntausende Menschen mit einer vollständig anderen Kultur und schlimmsten Erlebnissen im Gepäck ins Land kommen und unter ihres gleichen bleiben, dann sind Spannungen vorprogrammiert. Es ist doch kaum zu glauben, dass es Proteste gibt, wenn wir die Leute auffordern, sich Arbeit zu suchen und Schwedisch zu lernen."

    Im liberalen Schweden würden Probleme oft verschwiegen, meint Wager, die vor 20 Jahren aus Finnland zuwanderte. Ausländerfeindliche und populistische Parteien wie die Schwedendemokraten machen sich das zunutze. Bei den letzten Kommunalwahlen in Södertälje schafften die Rechtsaußen auf Anhieb den Sprung ins Parlament.