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Fehlerhafte Medizinprodukte
Patienten sollten sich selbst gut informieren

Patienten sollten sich Implantate nicht einfach einoperieren lassen, sondern sich eine zweite ärztliche Meinung einholen. Außerdem sollten sie gut über das jeweilige Produkt recherchieren. Denn wenn etwas schief geht, geht es um die Frage, ob ein Behandlungsfehler oder ein Materialfehler vorliegt.

Von Birgit Eger | 27.11.2018
    Ärzte setzen einem Patienten ein künstliches Kniegelenk ein
    Wer ein Implantat oder eine Prothese bekommt, sollte sich vorher gut über das Produkt informieren (picture-alliance / dpa / imageBROKER / Jochen Tack)
    "Ich konnte das Gerät nicht mehr aufladen, das Gerät war ausgegangen. Ich habe versucht das Gerät wieder aufzuladen, aber es tat sich überhaupt nichts mehr."
    Kai Preußer hatte ein neuartiges Implantat bekommen, das die Nerven im Rücken stimulieren sollte. Ein Mittel gegen seine Schmerzen nach einem Bandscheibenvorfall. Doch das Gerät funktionierte auf einmal nicht mehr.
    "Schmerzausstrahlung, Schmerz bis in die Füße rein, unerträgliche Schmerzen"
    Patienten sollten sich eine zweite Meinung einholen
    Kai Preußer musste ein weiteres Mal operiert werden. Damit Implantate helfen und nicht schaden, können Betroffene schon vor der ersten Operation einiges beachten. Wichtig: Sich selbst gut informieren und auf alle Fälle eine zweite ärztliche Meinung einholen, betont Christina Grote, Gesundheitsexpertin bei der Verbraucherzentrale NRW:
    "Aber man sollte auch nachfragen, was dieser Eingriff im Vergleich zu anderen Alternativen für Vorteile hat. Und ich sollte den Arzt, den Operateur, nach dem Implantat fragen, warum wählt er dieses Implantat für mich? Wie lange ist das Implantat schon auf dem Markt? Wie viele Produkte sind in Deutschland schon implantiert worden? Wenn er es weiß. Das ist nicht immer so. Ist das ein gängiges Implantat? Welche Erfahrungen der Operateur damit hat."
    Dabei muss das technisch neueste Verfahren nicht unbedingt das Beste sein. Tauchen nach der OP dann wieder Probleme auf, beginnt das Detektivspiel: Woher kommen die Schmerzen? Liegt es vielleicht am Implantat? Wenn ja, wo liegt der Fehler: beim Operateur oder am Material?
    "Was aber immer passieren muss, ist, dass entschieden wird, ist es ein Behandlungsfehler, ja oder nein? Das ist der erste Schritt und der wird von der Krankenkasse begleitet aufgrund des § 66 SCGV, der die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet, ihre Patienten zu unterstützen"
    Klären, ob ein Behandlungsfehler vorliegt
    Zumindest bei gesetzlich Versicherten. Privatversicherte müssen in ihren Vertrag sehen oder können sich, wie alle anderen auch, an die Schlichtungsstellen der Ärztekammern wenden.
    Nachdem bei Kai Preußer das defekte Gerät explantiert und ein neues eingesetzt worden war, brachte ihn seine Krankenkasse auf die Idee, dass er Ansprüche gegenüber dem Hersteller haben könnte.
    "Durch die zweite OP ist die Krankenkasse gegen den Hersteller angegangen, weil zusätzliche OP-Kosten entstanden sind und wieder ein neues Implantat und das will auch keine Krankenkasse drauf sitzen bleiben."
    Die hat dann festgestellt: Das Gerät war sachgemäß eingebaut, hatte aber einen technischen Defekt. Normalerweise müssen Patienten den Nachweis erbringen, dass ein Behandlungsfehler vom Arzt oder ein Materialfehler vorliegt. Um das belegen zu können, sollte man Akteneinsicht verlangen, eigene Protokolle zu Gesprächen und Behandlungen anfertigen und das Implantat nach der OP mitnehmen. Manchmal verschwinden aber auch die Implantate, hat Christina Grote erlebt:
    "Wenn die Klinik dann das schon explanierte Implantat wegwirft, dann ist das schon ein Hinweis darauf, das darf die Klinik nicht. Die Klinik darf das Implantat nur vernichten oder beseitigen mit Zustimmung des betroffenen Patienten. Tut sie das, ist das an sich schon ein Hinweis auf einen Behandlungsfehler, der dann aber bei der Klinik liegt. Also das Implantat gehört dem Patienten und er hat einen Anspruch darauf, es mitzunehmen und er sollte darauf auch bestehen."
    Bei Rückrufen muss der Patient nicht mehr Beweis führen
    Kai Preußer hatte Glück im Unglück: Die Herstellerfirma rief das Gerät wegen technischer Mängel zurück. Nach einem Urteil des EUGH, ist es in solchen Fällen einfacher, Schadenersatz oder Schmerzensgeld zu bekommen, weiß Ruth Schultze-Zeu, Medizinanwältin.
    "Wenn ein Medizinprodukt zu einer Serie oder einer Gruppe gehört hat, die Gegenstand eins Rückrufes war oder die Gegenstand eines Sicherheitshinweis war, dann kann man annehmen, dass auch das konkrete Medizinprodukt, was jetzt Gegenstand des Prozesses ist, fehlerhaft war. Und damit muss der Patient selbst nicht mehr der Beweis führen."
    In Preußers Fall bedeutet das Schmerzensgeld von 5.000 Euro nach einem Vergleich. Nur ein kleiner Trost, denn auch sein zweites Implantat musste schließlich entfernt werden, weil es sich entzündet hatte. Mit Sport versucht er jetzt seine Rückenschmerzen in den Griff zu bekommen:
    "Geld ist irgendwo 'ne relative Sache, Ich denke es ist wichtiger, dass aufgedeckt wird, dass fehlerhafte Geräte im Umlauf sind, dass diese Missstände aufgedeckt werden und aufgehoben werden."