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Fehlfarben
"Es muss sich was ändern, egal ob oder auch nicht"

Peter Hein und seine Band Fehlfarben sind eine Institution in der deutschen Musiklandschaft. 1979 gegründet, zwischendurch aufgelöst, sind sie immer noch aktiv. "Über Menschen" heißt ihr aktuelles Album, das am 25.September erscheint. Wie das entstanden ist, erklärt Peter Hein im Corso-Gespräch.

Peter Hein im Gespräch mit Anja Buchmann | 19.09.2015
    Peter Hein von der Band "Fehlfarben"
    Peter Hein von der Band "Fehlfarben" (Deutschlandradio / Phillip Eins)
    Anja Buchmann: Darf ich mit "Über Menschen" auch den "Übermensch" von Nietzsche mit rein bringen?
    Peter Hein: Zum vielleicht Fehlinterpretieren ist das natürlich vorgesehen. Aber mehr auch nicht, also es soll schon nur das ... ich hab mit Nietzsche nichts am Hut.
    Buchmann: Aber es ist auch kein Zufall, dass man diese Assoziation damit hat…
    Hein: Nein, nein, so viel habe ich in der Schule schon eingebläut gekriegt, aber deutsche Philosophen, 19. Jahrhundert – das kann ich nicht lesen. Das kann ich noch nicht mal in der Zusammenfassung lesen und ertragen. Mir reicht die Rezeption der Rezeption. Und mit dem Original befasse ich mich nicht, und deshalb habe ich mit dem "Übermensch" nichts am Hut.
    Buchmann: Aber Sie können mir nicht erzählen, dass Sie diesen Titel einfach nur genommen haben, weil er nichts zu sagen hat.
    Hein: Nein, nein, ich sage ja: Zum Assoziieren ist es natürlich freigegeben.
    Buchmann: Es gibt einen Titel auf Ihrer Platte, "Rein oder raus", der mich wieder aktuell an das Flüchtlingsthema denken lassen hat. War dieser Gedanke auch in Ihrem Kopf?
    Hein: Jetzt auch, sowieso, das stimmt. Aber als wir es gemacht haben, war das noch nicht so akut in der Form.
    Buchmann: Wann haben Sie den geschrieben?
    Hein: Das war Mitte Januar in Berlin. Da waren wir mal wieder zum Aufnehmen. Das war diese Nach-Pegida-Phase. Als der große Wahnsinn vorbei war und alle wieder zur Tagesordnung übergingen und die Außerirdischen Berlin wieder verlassen hatten. Es ist ein bisschen natürlich auch darauf gemünzt.
    Aber ursprünglich war es eine ganz banale Geschichte. Die Einstiegszeile beschreibt nur eine Fahrt morgens ins Studio. Morgens um 9 Uhr mit der U-Bahn durch Berlin fahren, kann einen schon erschrecken. Dann dieses Rein-raus-Spiel - logisch: Wir wollen doch lieber weg. Wir machen da nicht mit.
    Buchmann: "Sie geben ihr Land aus Furcht aus der Hand." Auf wen haben Sie das gemünzt? Sind das die Leute die ...'eigentlich nichts gegen Flüchtlinge haben', aber Angst haben ...
    Hein: ...aber hinterher rennen und sagen, wir wollen keine. Aber jetzt nicht nur auf Flüchtlinge bezogen. Das Ganze basiert ja darauf, dass die schweigende Mehrheit immer Schiss hat vor allem Möglichen und dann brav sagt: Was immer jetzt entschieden wird, ist schon gut.
    Buchmann: "Davon geht die Welt nicht unter, dass man sie zerstört." Eine Textzeile oder der Refrain aus dem Opener "Der Untergang". Steckt da ein bisschen ... Resignation möchte ich nicht sagen, aber vielleicht Abfinden mit den Dingen, die schlecht sind, dahinter - sei es Flüchtlingsproblematik, sei es Bankenkrise oder was auch immer - so ist es nun mal und bisher hat sie immer noch überlebt?
    Hein: Ja genau. Tendenziell sind wir ja immer Rheinländer und sagen "et hätt noch immer joot jejange", "et kütt wie et kütt" und wie es alles weiter geht. Das lassen wir uns nicht nehmen. Auch wenn wir nicht mehr hier wohnen. Ja, das ist ein logischerweise fatalistischer Grundsatz, der aber auch letztlich mir dermaßen verinnerlicht ist, weil: Es ist halt, wie es ist. Und es schafft keiner, die Welt wirklich untergehen zu lassen, ob es Menschen gibt oder nicht, das juckt die Welt gar nicht.
    Buchmann: Die Welt sehr global gesehen.
    Hein: Die Welt als Welt ist vom Menschen sowas von unabhängig. Ob es den Kindern besser geht oder nicht, dafür sollen die Kinder selber sorgen, das ist nicht mein Job.
    Buchmann: Aber so fatalistisch sind sie doch eigentlich gar nicht. Ich meine anderseits stellen sie auch Dinge dar und prangern an.
    Hein: Ja. Aber man muss auch mal sagen: Es ist ja wurscht, was ich gern hätte oder nicht hätte, das ist im Großen und Ganzen der Weltläufe als auch der Zustände in irgendeinem Land so was von egal. Ich kann sagen: Mir gefällt das und das nicht, aber es wird sich eh nicht ändern. Man kann’s ja trotzdem sagen. Aber muss auch nicht so tun, als wäre das das allein selig machende, und wenn das nicht so wird, wie ich das wünsche, dann ist das das Welt-Ende. Das stimmt ja gar nicht.
    Buchmann: Hat sich Ihre Weltsicht oder Ihre Selbstsicht in den letzten – wie viel auch immer - Jahren geändert?
    Hein: Ich glaube nicht. Ich meine, dass das immer schon, mehr oder weniger seitdem ich was mache, in dieser Hinsicht so ist. Also ein entschiedenes: Es muss sich was ändern, aber egal ob oder auch nicht.
    Buchmann: Es gibt Schmerz, es gibt Wut, Genuss und Mut, einer ihrer Titel. Da ist ja alles drin. Da heißt es auch: "Genießen wir einfach gemeinsam das Leben, was Besseres als das, wo soll es das geben." Vielleicht auch ein bisschen ironisch.
    Hein: Sicher auch. Aber man muss auch das Gute sehen können.
    Buchmann: Da sind wir wieder beim Kölschen beziehungsweise beim Rheinischen.
    Hein: Das tut mir leid, aber das kommt davon, wenn ich in Köln aufgezeichnet werde.
    Buchmann: Wie entstehen Ihre Songs, mal ganz allgemein gefragt. Geht es oft von den Texten aus?
    Hein: Nee, überhaupt nicht. Letztlich, ich sing's ja, ich schreib nicht alle Texte, wenn auch die meisten. Frank Fenstermacher kommt immer mit vielen Vorschlägen und da sind auch immer welche dabei, die ich akzeptieren kann. Oder die ich einfach nehme oder ich nehme seine Ideen und mach da was draus. Sagen wir 80 oder 90 Prozent mache ich schon alleine. Aber die kommen immer erst. Ich mache die Worte zu dem, was ich höre. Immer erst, kurz bevor die Stücke wirklich zum Stück werden. Manchmal sogar erst bei der Aufnahme. Bei der letzten Platte, nee, der vorletzten inzwischen, habe ich dann teilweise Texte noch im Studio geschrieben. Während wir die eingespielt haben.
    Buchmann: Und wie entstehen dann die Assoziationen, in welche thematische Richtung Sie gehen wollen? Ist das ein intuitiver Prozess, den Sie jetzt gar nicht so weiter beschrieben können?
    Hein: Das kann ich nicht beschrieben, das stimmt ... die Sache mit Berlin und U-Bahn-Fahren ... Berlin muss eh immer einen abkriegen, das gehört dazu. Das ist das Konzept bei uns. Deshalb machen wir nicht ein Konzeptalbum, sondern eine Kette von Konzeptalben.
    Buchmann: Nehmen wir mal "Urban Innozenz". Das etwas Reggae-lastige Stück. Wie ist der Text dazu entstanden? Was hat Sie da angetriggert, dass Sie Dinkelstangen knuspernde Mittelschichtsmenschen mit Binnen-I kritisieren oder ironisieren?
    Hein: Das war in der Idylle des Bodensees, wo wir uns zum Proben und Materialsammeln alle zwei Jahre treffen. Weil da ein Kollege ein Hotel hat, das man in der Nebensaison frequentieren kann. Wo kann man schon im lehren Hotelzimmer in der Nebensaison ohne Gäste sein? Ja, das war auch so Zeug, was ich gesehen hab. Vielleicht war es auch einer aus der Band, der mir auf den Keks gegangen ist. Oder vielleicht auch ich selber, das muss man dazu sagen. Es ist ja auch viel, dass ich mir selber auf den Keks gehe. Es ist ja nicht nur, dass ich immer nur Rundumschläge machen würde. Ich sag dann halt nur nicht, dass das morgens vor dem Spiegel war.