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Feiern ohne Herzblut

Italien feiert im nächsten Jahr den 150. Jahrestag seiner nationalen Einheit. Am 17. März 1861 wurde schließlich in Turin das italienische Königreich ausgerufen. Doch Italien tut sich schwer, seine Einheit zu feiern. In Büchern, Artikeln und DVD-Beilagen der Zeitungen stimmen die Medien ohne großen Enthusiasmus auf das Ereignis ein.

Von Henning Klüver | 06.11.2010
    In Rom ist in diesen Tagen eine große Ausstellung mit Gemälden und geräuschvoll untermalten Videoinstallationen zum Risorgimento, zur italienischen Einheitsbewegung zu sehen. Es versteht sich von selbst, dass hier nationalistische Töne vorherrschen. Gezeigt werden vor allem Heldengeschichten, welche die offizielle Sicht jener Zeit ausdrücken.

    Doch dieser Hurra-Patriotismus gefällt nicht allen in dem Land, das sich anschickt, im kommenden März die Gründung des ersten Einheitsstaates vor 150 Jahren zu feiern. In der Regierungskoalition gibt mit der Lega Nord eine Partei den Ton an, die sich eher von Teilen des Landes abgrenzen möchte, als dass sie an Einheit denkt. Und im Süden fühlt man sich mehr denn je vom wirtschaftlich auftrumpfenden Norden ins Abseits gedrängt. Dieser Gegensatz, der ein schwaches Staatsbewusstsein ausdrückt, hängt mit der Gründungsgeschichte selbst zusammen. Dazu Lutz Klinkhammer vom Deutschen Historischen Institut in Rom:

    "Es war ein völlig anderes Modell als die Einigung in Deutschland. Italien ist zum Zentralstaat gemacht worden, geeint worden unter der piemontesischen Monarchie. Und das führte zur Vertreibung der Herrscher in den Einzelstaaten und es führte zu großen Ressentiments und zu einer Aufstandsbewegung in Süditalien. Dort hat sich der neue Nationalstaat nur mit militärischen Mitteln durchsetzen können. Diese problematische Integration des Südens in das neue Königreich hat Auswirkungen gehabt, die auch heute noch zu spüren sind."

    Andere Akzente setzt die Schriftstellerin Dacia Maraini, die Geschichten von Frauen sammelt, die im Risorgimento mitgekämpft haben. Diese Frauen haben zu einer breiten Volksbewegung gehört, die den Idealen eines solidarischen Italien verpflichtet war, das sich von Knechtschaft und Fremdherrschaft befreien wollte. Von diesem volkstümlichen Italien, sagt Dacia Maraini , wird heute in der breiten Öffentlichkeit wenig erzählt.

    "Die vorherrschende Kultur propagiert in diesem Augenblick Fragmentierung und Isolierung als Modelle. Die italienische Einheit gilt als alt und irgendwie uninteressant. Eine Ideologie des Egoismus gewinnt an Raum, und man möchte vor allem sein lokales Umfeld verteidigen. Eine neue Form von Rassismus setzt sich durch. Der Fremde wird zum Feind, vor allem wenn er arm ist. Das sind die Ideen, die in diesem Moment vorherrschen."

    Die Schriftstellerin hatte zusammen mit anderen Intellektuellen einem Komitee von Garanten angehört, das unter dem Vorsitz des ehemaligen Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi die Feierlichkeiten zu den 150 Jahren Einheit koordinieren sollte. Zu ihren Aufgaben gehörte die Aufsicht über einen Sonderhaushalt von rund 300 Millionen Euro, mit dem Kulturinitiativen unterstützt werden sollten. Das Komitee war noch von der Regierung unter dem Mitte-Links-Politiker Romano Prodi eingesetzt worden. Doch als Silvio Berlusconi Prodi ablöste und sein Kabinett die Mittel drastisch kürzte, traten Ciampi und einige andere Mitglieder des Komitees, wie auch Dacia Maraini, zurück.

    "Als die Regierung wechselte, verschwanden die Gelder. Es stand kaum noch etwas zur Verfügung, also was sollten wir da noch. Es war einfach lächerlich, am Schluss blieben nur noch zehn statt 300 Millionen. Da ist Ciampi zurückgetreten. Sie wollten uns Intellektuelle als Aushängeschild, aber es sollte nichts kosten."

    In Büchern, Artikeln und DVD-Beilagen der Zeitungen stimmen die Medien ohne großen Enthusiasmus auf das Ereignis ein. Italien tut sich schwer, seine Einheit zu feiern. Gäbe nicht ein kritischer Rückblick auf 150 Jahre vielleicht auch die Möglichkeit, eine Erfolgsgeschichte zu entdecken? Lutz Klinkhammer:

    "So einfach kann man das nicht beantworten. Denn mit der Erreichung eines Nationalstaates ist natürlich nicht unbedingt auch ein demokratischer Staat erzielt worden. Insofern kann man sagen, die Erfolgsgeschichte beginnt vielleicht nach dem 2. Weltkrieg mit der Republik, mit der Erringung des Frauenwahlrechts und mit der mühsamen Durchsetzung demokratischer Strukturen im Land selbst."