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Feindbild Islam

Der Wissenschaftler Wolfgang Benz beschreibt in seinem Buch die Strategien, Vorurteile und Verschwörungstheorien der hiesigen Islamgegner. Er stellt sie in den Kontext historisch bekannter Mechanismen in Sachen Ausgrenzung von Minderheiten.

Von Thomas Moser | 24.09.2012
    "Alle wesentlichen kulturellen und ökonomischen Integrationsprobleme konzentrieren sich bei der Gruppe der vier bis sechs Millionen Migranten aus muslimischen Ländern. Für diese Probleme ist nach meiner Überzeugung nicht die ethnische Herkunft, sondern die Herkunft aus der islamischen Kultur verantwortlich."

    Thilo Sarrazin, seit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" vor zwei Jahren so etwas wie der Frontmann in der Islam-Debatte - oder, wie Wolfgang Benz es ausdrückt: Konstrukteur eines "negativen Islambildes". Benz war bis 2011 Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. Dass er sich jetzt explizit mit Islamfeindlichkeit befasst, ist für ihn nur konsequent.

    "Die sogenannten Islamkritiker versuchen ja ein Bild aufzurichten, nach dem alle Muslime fanatisch religiös sind und aus dieser Religion eine ebenso fanatische Gewaltbereitschaft ableiten. Mit solchen Stereotypen, mit solchen Bildern ist dann der Blick auf die Wirklichkeit verstellt."

    Die Religion als ein Merkmal dieser angeblichen Fremden wird, so Benz, zum Instrument für Fremdenfeindlichkeit. Die Gruppen und Instrumente sind dabei austauschbar. Das diskriminierte Merkmal könnte auch die Hautfarbe sein. Benz versteht sich als Vorurteilsforscher. Muslimfeindlichkeit, so sein Befund, arbeite mit ganz ähnlichen Argumentationsmustern und Stereotypen, wie der Antisemitismus. Eine These, die dem Wissenschaftler in der Vergangenheit auch Kritik einbrachte.

    "Ich vergleiche Argumentationsweisen. Ich vergleiche Strukturen des Vorurteils. Ich erkläre nicht, was ein Jude ist, ich erkläre nicht, was ein Muslim ist. Das ist nicht meine Kompetenz. Ich kann aber erklären, warum die Mehrheit bestimmte Bilder, Stereotype, Schuldzuweisungen braucht gegen wechselnde Minderheiten. Dass die Mehrheit sich also über ihre Vorwürfe gegenüber Minderheiten selbst stabilisiert."

    Das Gebot, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit seien unvergleichlich, war für Benz mit ein Grund, das Buch zu schreiben. Er will das Problem der Diskriminierung von Minderheiten genauer und schärfer angehen. Wenn Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, zum Beispiel zum Islam, abgelehnt und negativ beurteilt werden, stellt das für ihn nicht nur eine Form von Kulturrassismus dar, es hat auch Methode. Benz nennt es die "Ethnisierung sozialer Probleme", die auch ohne Migranten existieren würden:

    "Die Funktion besteht darin, dass ich den anderen, den Angehörigen einer Minderheit stigmatisiere. Und die Stigmatisierung dient der Ausgrenzung. Der Muslim oder der Türke oder wie wir ihn jetzt im Einzelnen verorten, der soll ja außerhalb unserer Gesellschaft stehen. Die Ethnisierung der Gesellschaft meint: Deutschland den Deutschen! Wir sind hier die Herren! Wir haben hier das größere Recht, als diejenigen, die von irgendwo anders zu uns gekommen sind."

    Benz verweist auf gesellschaftliche Zusammenhänge: Ursachen für die Ausgrenzung sieht er in sozialen Missständen und wirtschaftlichen Problemen. Die Folge sei eine Entsolidarisierung zwischen Bevölkerungsgruppen. Es werden "Schuldige" konstruiert, die angeblich Arbeitsplätze wegnehmen. Der Forscher sieht auch hier historische Parallelen:

    "Die Angst vor der sozialen Krise, die Angst vor dem Statusverlust. Das war damals im 19. Jahrhundert in der Emanzipationsdebatte der Juden ebenfalls das Antriebsmoment. Da glaubten viele, aus dem Osten käme eine riesige Schar von aggressiven Ostjuden, die Deutschland wie Heuschrecken überfallen und alles besitzen würden. Also mehr oder weniger ganz gleich diese Beschwörungen vor der Islamisierung Europas: Es kommen Fremde, bemächtigen sich des Unseren."

    "Die Feinde aus dem Morgenland", der Titel des Buches verweist auf die Islamfeindlichkeit und ihre Spielarten - der Befund sozusagen. Mit dem Untertitel: "Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet", schließt Benz eine grundlegende These an: Der Angriff auf eine Minderheit beschädige den demokratischen Standard für die gesamte Gesellschaft. Wenn Menschen oder einzelne Gruppen als höher- oder minderwertig klassifiziert werden, werde gleichzeitig "Intoleranz" etabliert. Nicht die Muslime gefährdeten also die Demokratie, sondern die geschürte Angst vor ihnen.

    "Unsere Gesellschaft, unsere Demokratie basiert doch auf dem gleichen Recht für alle, auf der Gleichwertigkeit aller Menschen. Wenn ich jetzt eine Gruppe für minderwertiger erkläre, dann habe ich die Schleuse schon geöffnet, denn dann kann ich beliebig jede andere Gruppe jeweils stigmatisieren."

    Die Diskussion um den Islam ist komplex und überlagert. Anti-islamische Äußerungen finden sich, so der Autor, nicht nur bei ausgewiesenen Rassisten, sondern zum Beispiel auch bei Feministinnen oder jüdischen Intellektuellen: Alice Schwarzer, Oriana Fallaci, Henryk M. Broder oder Ralph Giordano. Umgekehrt gebe es unter Muslimen Judenfeindlichkeit und auch Terror werde im Namen des Islam verübt. Und schließlich, möchte man ergänzen, gehört zu dem Problem, dass begründete Kritik an Religionen oder Religionspraktiken, Stichwort: Beschneidungen, mitunter undifferenziert als anti-semitisch oder anti-islamisch verurteilt wird. Ein verworrener Haufen von Aspekten, Urteilen und Vorurteilen, in den Ordnung zu bringen Wolfgang Benz mithelfen will. Das Buch will keine Streitschrift sein, wie der Autor gleich zu Beginn betont. Das ist ihm nicht ganz gelungen. Die eine oder andere Polemik ist dem Wissenschaftler im Eifer des Gefechtes doch rausgerutscht. Als Argumentationshilfe in der Debatte um den Islam ist es aber äußerst brauchbar.

    Buchinfos:
    Wolfgang Benz: "Die Feinde aus dem Morgenland: Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet.", Verlag: C.H. Beck, 220 Seiten, 12,95 Euro.