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"Feindbild Konzern"

Unternehmen vorzuwerfen, dass sie von DDR-Häftlingsarbeit profitiert haben, sei richtig, sagt Arnold Vaatz (CDU), stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag. Er beklagt jedoch, dass sich die westliche "Empörungsindustrie" erst dann zu Wort melde, wenn "das Feindbild Konzern" ins Spiel komme.

Arnold Vaatz im Gespräch mit Peter Kapern | 09.05.2012
    Peter Kapern: Sie waren vielleicht nicht die Spitze des technischen Fortschritts, die Spiegelreflexkameras von Praktiker, aber sie waren robust und preisgünstig, und billig war auch das Klippansofa von Ikea, wenn auch etwas weniger robust. Beide Produkte wurden damals in der DDR hergestellt, und zwar von Häftlingen, oft politischen Gefangenen, die zur Zwangsarbeit im Arbeiter- und Bauernstaat verdonnert worden waren. Ganz unbekannt war das nicht, aber so richtig wissen wollte es wohl auch niemand, bis in der vergangenen Woche eine Dokumentation im schwedischen Fernsehen beleuchtete, wie das Möbelhaus mit dem Elch und seine Kunden im Westen vom Unrechtsregime in Ostberlin profitiert haben, und seither wird über die schmutzigen Profite diskutiert.

    Am Telefon bei uns ist nun Arnold Vaatz, der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Vaatz.

    Arnold Vaatz: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Vaatz, das Thema, über das wir reden, hat eine eigentümliche Genese. Eigentlich war es lange bekannt, doch so richtig Karriere macht es erst jetzt. Haben Sie dafür eine Erklärung?

    Vaatz: Also das ist das Peinliche an dem ganzen. Es ist in der Tat schon lange bekannt gewesen, was dort stattfindet, schon seit den 70er-Jahren, und als Erstes muss man mal festhalten: diejenigen, die die Häftlinge dort ausgeplündert haben bis aufs letzte, die sie physisch ausgenommen haben, bis sie nicht mehr konnten, das ist die DDR gewesen. Das sind nicht die westlichen Konzerne, das ist die SED und das sind die von ihr herangebildeten Strafvollzugsorgane gewesen. Das Erstaunliche ist eben, dass solange dieses nur der DDR anzulasten war die westliche Medienmaschinerie, die Empörungsindustrie stillgehalten hat. Erst in dem Moment, wenn jetzt westliche Konzerne, sozusagen das Feindbild Konzern, der wohlklingende Begriff Konzern ins Spiel kommt, dass dort jemand profitiert habe, also wenn diese ganzen linken Stereotypen damit in Verbindung gebracht werden kann, dann wacht die westliche Gesellschaft auf und dann wird sie plötzlich böse, dann fragt sie plötzlich, was ist denn hier geschehen. In Wirklichkeit ist es so, dass man über Jahre hinweg über das Treiben dieser DDR-Schergen hinweggesehen hat.

    Kapern: Sprechen Sie die westlichen Unternehmen, die davon profitiert haben, von jeder Verantwortung frei?

    Vaatz: Nein, das will ich nicht sagen. Aber auf alle Fälle muss man eines klar machen: Die Unternehmen haben Verträge abgeschlossen mit der DDR, mit den Außenhandelsorganen der DDR. Was die DDR dann intern gemacht hat, wie sie das umgesetzt hat, davon konnten die Unternehmen kein Detailwissen haben – völlig unmöglich. Das hat sich in den Gefängnissen dort abgespielt, dort hatten sie keinen Zutritt. Und das ist deren ureigenste Angelegenheit!

    Kapern: Aber Herr Vaatz, es gibt viele Belege dafür, dass beispielsweise freigekaufte Häftlinge, die dann in den Westen gekommen sind, in Läden hier im Westen Waren gefunden haben, wie sie sie selbst in den Gefängnissen der DDR produziert haben, und dass sie die Unternehmen darauf aufmerksam gemacht haben. Das heißt, die Unternehmen haben es doch gewusst.

    Vaatz: Die Unternehmen haben ganz genauso wenig reagiert wie die gesamte Gesellschaft selber. Die Gesellschaft wie gesagt reagiert nicht, sie betrachtet die Kommunisten irgendwie als schuldunfähig. In dem Moment, wenn Kommunisten irgendwas anstellen, sieht die westdeutsche Gesellschaft darüber hinweg. Erst dann, wenn diejenigen, ich sage mal so, Dreck am Stecken haben, die in den Augen der westdeutschen Gesellschaft sowieso die Kandidaten für so was sind, also wie beispielsweise ein kapitalistischer Konzern, dann wird die Gesellschaft wach. Das kritisiere ich nicht, dass sie dann sagen, halt, was habt ihr denn hier gemacht, und auch dann moralische Vorhaltungen machen. Das kritisiere ich nicht, das ist in Ordnung. Ich kritisiere den ersten Teil, dass die westdeutsche Gesellschaft völlig darüber hinweggesehen hat, was in den ostdeutschen Gefängnissen geschehen ist. Anders herum gesagt, dass sie sich bis heute nicht darüber aufgeregt hätte, wenn nicht westliche Unternehmen davon profitiert hätten.

    Kapern: Der Historiker Steffen Alisch sagt, wer es wissen wollte, der hätte es als Auftraggeber aus dem Westen auch wissen können, wie da produziert worden ist. Wie schätzen Sie denn jetzt die Reaktionen der westdeutschen Wirtschaft ein, die ja jetzt doch sagt, wir haben davon nichts gewusst oder wir sind nicht die Rechtsnachfolger der damaligen Unternehmen?

    Vaatz: Ja es ist in der Tat wahr! Es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen dem, was ein westdeutsches Unternehmen da an Dreck am Stecken hat, und dem, was die eigentlichen Verursacher da gemacht haben. Sicher ist das eine sehr geschmacklose Sache, wenn sie hier produzieren lassen. Im übrigen möchte ich nicht wissen, was im Augenblick passiert in Kuba und anderen Ländern, wo man auch noch genau so weitermacht, wie man damals zu DDR-Zeiten mit den Regimen da umgegangen ist, sprich, dass man diese Regime als Lieferanten billiger Arbeitskräfte betrachtet hat. Das wird heute noch genau so sein. Ich beklage nicht, dass man sich darüber aufregt, das ist in Ordnung, dass man sagt okay, jetzt guckt mal, wie ihr das wieder gutmachen könnt und so weiter. Das ist nicht verwerflich. Das Problem ist: ich kritisiere die Gesellschaft, die schweigt, und zwar so lange, solange sie nicht irgendeines ihrer Klischee-Feindbilder dafür verantwortlich machen kann. Ich kritisiere die westdeutsche Gesellschaft nicht dafür, dass sie jetzt aufwacht, sondern ich kritisiere sie dafür, dass sie jahrzehntelang das Ganze Thema, wohl wissend, dass es so ist, ignoriert hat.

    Kapern: Darf ich da eben noch mal nachfragen, Herr Vaatz. Es würde Sie also nicht überraschen, wenn sich herausstellen würde, dass westdeutsche Konzerne in China, in Vietnam, vielleicht auch auf Kuba Waren bestellen, die auch dort unter Einsatz von Zwangsarbeit in Gefängnissen hergestellt werden?

    Vaatz: Nicht im geringsten würde mich das erstaunen. Aufregen würde es mich natürlich, klar. Aber das Problem ist, dass die Zwangsarbeit auf Kuba, in kubanischen Gefängnissen oder in nordkoreanischen oder wo auch immer nicht deshalb verwerflich ist, weil westdeutsche Konzerne dort bestellen, sondern sie ist a priori verwerflich. Das muss die westliche und die demokratische Gesellschaft begreifen.

    Kapern: Wenn ich diese These annehme, Herr Vaatz, dann führt sie darauf hinaus, dass eigentlich nichts dagegen einzuwenden ist, wenn westdeutsche Konzerne oder deutsche Konzerne weiter solche Waren beziehen.

    Vaatz: Das stimmt nicht. ich habe gesagt, ich halte es für richtig, wenn den Unternehmen ein moralischer Vorwurf gemacht wird, wenn ihnen gesagt wird, überlegt was ihr hier tut und so weiter und so fort. Aber man muss die Prioritäten und die Dimensionen richtig sehen. Sie sind bis jetzt mit keinem Wort darauf eingegangen, was ich gesagt habe. Mein Kernpunkt ist, dass die westdeutsche Gesellschaft sich so lange nicht für diese ganzen Zustände interessiert, solange sie nicht irgendein westliches Unternehmen oder irgendein Mitglied der westeuropäischen oder demokratischen Gesellschaft den Vorwurf machen kann, davon profitiert zu haben. Das heißt mit anderen Worten, Zwangsarbeit auf Kuba, Zwangsarbeit in China, Zwangsarbeit in Nordkorea ist so lange in Ordnung, solange nicht irgendein böser Konzern davon profitiert, und das stimmt nicht.

    Kapern: Ich hatte Sie eingangs ja gefragt, welche Erklärung Sie dafür haben. Aber nun sagen Sie uns doch noch, was kann man denn dagegen tun, gegen diese Ignoranz der Gesellschaft?

    Vaatz: Ja, das ist die Sache der Medien, dass sie beispielsweise ihren Empörungsmechanismus irgendwann mal eher anwerfen, wenn sie hören, dass solche Sachen geschehen, und nicht erst immer auf den Moment warten, wo sie irgendeinen, wo sie Coca-Cola oder BMW oder weiß der Teufel welchen Unternehmen im Westen dafür irgendwie moralisch zur Rechenschaft ziehen können. Die ganze Geschichte muss eher im Ansatz bekannt gemacht werden, sie muss in die Köpfe rein und auf diese Weise transportieren sie das in die Entscheidungsebenen auch der großen Unternehmen bei uns, dass sie sich dort die Finger dreckig machen, wenn sie sich mit solchen Regimen allzu sehr einlassen. Auf diese Weise verhindern sie auch, dass die Gefangenen, die es betrifft, den Eindruck haben, dass die ganze Welt ihre furchtbare Situation ignoriert, und diesen Eindruck hat man im Westen über Jahre gemacht. Ich habe die Zeiten der 80er-Jahre doch selber erlebt, ich war im Gefängnis in Unterwellenborn und musste dort Stahlträger geradebiegen. Wir kriegten von dem Gehalt, was dort von dem Betrieb an den Strafvollzug überwiesen wurde für unsere Arbeit, gerade mal ungefähr zehn bis zwölf Prozent. alles andere hat sich der Staat eingesteckt, wir wurden geplündert bis auf die Knochen, wir hatten jede Menge Unfälle, dabei tödliche, die westdeutsche Öffentlichkeit hat das überhaupt nicht interessiert. Und das ist Angelegenheit der Medien, dazu sind sie da. Sie müssen der Öffentlichkeit erklären, was auf der Welt geschieht. Das haben sie nicht getan. Sie werden erst dann wach, wenn sie ein Unternehmen dafür oder irgendjemand von ihren gewohnten Feindbildern dafür zurechtfrisieren können, dass sie an der Sache Anteil haben, und das ist nicht in Ordnung.

    Kapern: Arnold Vaatz, der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Vaatz, trotz der Medienschelte vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Vaatz: Bitte. - Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.