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Feminismus am Kiosk

Gleiche Rechte und gleiche Pflichten für Frauen wie für Männer, dafür kämpft die Journalistin Alice Schwarzer mit ihrer Zeitschrift "Emma". Vor 30 Jahren erschien "Emma" zum ersten Mal.

Von Carmela Thiele | 26.01.2007
    Über den Ausstieg der Katholischen Kirche aus dem Beratungsschein-Verfahren diskutierte die ganze Nation. Das war nicht immer so. Als die Journalistin Alice Schwarzer 1977 die Zeitschrift "Emma" gründete, kamen Themen wie Schwangerschaftsabbruch oder Gewalt gegen Frauen in den Medien nicht vor. Seit Ende der 60er Jahre hatte sich zwar die Frauenbewegung in Deutschland formiert, doch gab es nur Szeneblätter wie "Courage" oder "Clio". Eine feministische Zeitschrift, die professionell gemacht war, existierte nicht. Alice Schwarzer, damals bereits eine bekannte Aktivistin und Publizistin, nutzte die Gunst der Stunde. Am 26. Januar 1977 erschien die erste "Emma", bis heute europaweit die einzige Zeitschrift dieser Art. Die Startauflage von 200.000 Stück war nach wenigen Tagen ausverkauft, und auch der Hörfunk konnte sich dem Thema nicht entziehen.

    "'Emma 'ist der freiheitsdurstigen, emanzipierten Frau gewidmet. Die Nummer eins enthält unter anderem ein attraktives Titelblatt der vier festen Redakteurinnen, Berichte über Romy Schneider, über unterschiedliche Chancen von Mördern und Mörderinnen, über arbeitslose Ehemänner, Hinweise zur Anatomie des männlichen Körpers und praktische Ratschläge zur Reparatur von Ausgussrohren, selbst ist die Frau."

    Emma berichtet konsequent aus der Frauenperspektive und wirft brisante Themen auf. In der zweiten Nummer wird erstmals über die verstümmelnde Klitorisbeschneidung in Afrika berichtet. Waschkörbe voll Post von entsetzten Leserinnen trafen in der Redaktion ein. Die Zeitschrift ging Problemen nach, die das Zusammenleben der Geschlechter prägten und von denen keiner öffentlich sprach. Alice Schwarzer:

    "1977 waren wir die ersten, die mehr Häuser für geschlagene Frauen gefordert haben, die die erste Reportage über ein Haus geschlagener Frauen in Berlin gemacht haben. Heute ist das ein Thema, das in der kleinsten Lokalzeitung steht."

    Zu den zentralen "Emma"-Themen gehört der Kampf gegen Pornografie. 1978 hatte Alice Schwarzer mit neun prominenten Frauen gegen die sexistische Darstellung der Models auf Titeln der Zeitschrift "Stern" geklagt. Neun Jahre später stieß "Emma" die PorNo-Kampagne an. Als sie auch über Kinderpornografie berichtete und zur Illustration kleine Abbildungen brachte, wurde die feministische Zeitschrift mit einem Auslieferungsboykott der Kioskbesitzer belegt. Schwarzer fand heraus, dass sie diesen Tiefschlag gerade jenen Konzernen zu verdanken hatte, die selbst Sex-Magazine herausgaben. Die Aktion traf die Frauenzeitschrift ökonomisch und stellte sie auf eine harte Probe.

    Auch ihren sensationellen Start hatte "Emma" ohne die Hilfe eines großen Verlags geschafft: 100.000 Mark brachte die Bestseller-Autorin Schwarzer ein, der andere Teil kam aus Krediten von Gleichgesinnten zusammen. Mit nur 250.000 Mark gelang es, das Heft zu etablieren:

    "Seither trägt es sich zu 90 Prozent vom Verkauf, nur 10 bis 20 Prozent kommen aus dem Anzeigengeschäft. Das kann man sehen, wenn man das Heft durchblättert. Und das begründet unsere Freiheit zu denken und zu schreiben."

    1984 lancierte "Emma" ein weiteres Thema mit Langzeitwirkung. Ein Sonderband klärte über Magersucht auf. Über 20 Jahre später landete das Thema auch in den Massenmedien ganz vorne, weil Models sich zu Tode hungerten. Trotz scheinbar durchgesetzter Gleichberechtigung gehen "Emma" die Themen nicht aus.

    "Stichwort Ganztagsschule, Stichwort gerechte Löhne. Gleichzeitig ist es die Funktion von "Emma" - und ist es immer gewesen-, weiterzudenken. Gibt es neue Gefahren? Sind scheinbare Siege vielleicht problematisch? So wie der Mutterschaftsurlaub, der die sich als größte Frauenfalle überhaupt herausgestellt hat. 96 Prozent der Frauen nehmen ihn. Nur ein Bruchteil der berufstätigen Mütter kehrt auf gleicher Ebene in den Beruf zurück."

    Obwohl Alice Schwarzer vor 30 Jahren selbst anstrebte, das Blatt in Kollektiv-Eigentum übergehen zu lassen, ist die Herausgeberin bis heute "Chef" und treibende Kraft. Die wortgewandte Aktivistin bringt die Dinge auf den Punkt und in die Öffentlichkeit. So warnte sie jüngst vor der Verschärfung des Abtreibungsparagrafen. Anlass war das Treffen der Fraktionschefs der Regierungsparteien mit den Spitzen der katholischen und evangelischen Kirche, um Spätabtreibungen stärker zu reglementieren. Da diese aber nur einen geringen Prozentsatz aller Abtreibungen ausmachen, ist aus feministischer Sicht der Fall klar: Die hart erkämpfte Reform des Paragrafen 218 ist bedroht. Die Erfahrung lehrt, dass "Emma" Recht behalten könnte.