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Feminismus
Wie die Märkte eine politische Bewegung umdeuten

Die Marke "Feminismus" ist im Mainstream der Pop- und Alltagskultur angekommen und feiert große, kommerzielle Erfolge. Die US-Amerikanerin Andi Zeisler sieht darin eine Gefahr für die eigentlichen politischen Inhalte und Forderungen. "Wir waren doch mal Feministinnen" ist ein Plädoyer gegen Marktfeminismus.

Von Anne-Kathrin Weber | 31.07.2017
    Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin des US-amerikanischen Internetkonzerns Facebook
    Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin des US-amerikanischen Internetkonzerns Facebook, sieht in der individuellen Selbstverwirklichung die große feministische Errungenschaft. Die Autorin Andi Zeisler ist da anderer Meinung. (picture alliance / dpa / Foto: Jean-Christophe Bott)
    "We Should All Be Feminists" – "Wir alle sollten Feministinnen und Feministen sein". Dieser Spruch stand Anfang des Jahres nicht nur auf vielen Plakaten beim sogenannten "Women’s March" als Reaktion auf die Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump – sondern auch auf einem mehrere Hundert Dollar teuren T-Shirt einer Luxusmarke. Stars wie die Schauspielerinnen Natalie Portman oder Jennifer Lawrence trugen das simple Stück Stoff mit der wirkmächtigen Botschaft in die Welt. Ein Grund zum Jubeln für alle Feministinnen, könnte man meinen, scheint doch der Feminismus nun auch und endlich die Popkultur erobert zu haben.
    Dass dieser "Feminismus" jedoch nur wenig bis gar nichts mit dem zu tun hat, wofür Feministinnen seit Jahrhunderten kämpfen, das moniert die US-amerikanische Autorin Andi Zeisler. Vielmehr würden wir Zeugen eines Phänomens, das sie als "Marktfeminismus" bezeichnet:
    "Dieser Feminismus ist dekontextualisiert. Er ist entpolitisiert. Und diese Wiederkehr des Feminismus ist die wohl populärste aller Zeiten."
    Kritik an der "Spaßvariante" der Emanzipation
    In ihrem Buch "Wir waren doch mal Feministinnen" verweist Zeisler auf Produkte, die sich seit einigen Jahren zunehmend als vermeintlich "feministisch" verkaufen. Darunter nicht nur Luxus-T-Shirts, sondern auch: Parfum, Binden, Intim-Deos, Unterhosen, Schokolade, Tiefkühlpizza und noch vieles mehr. Unternehmen, die ihre Produkte verkaufen wollen, greifen laut Zeisler die Motive der feministischen Bewegung auf und forcierten damit einen bedenklichen Trend: Der Feminismus werde zur Marke und zur Ware. Er verhelfe Produkten zu einem verkaufsfördernden Image, so die Autorin, und werde in dem Prozess gleich selber mit einem ungefährlichen und entpolitisierten Image versehen. Das wiederum führe dazu, dass wir uns zunehmend in einer gemütlichen Blase einrichteten, in der uns im wahrsten Sinne des Wortes verkauft werde, dass wir im Hinblick auf die Gleichstellung alles erreicht hätten – und dass es daher eine, Zitat, reine "Spaßvariante" der Emanzipation geben könne. Hier interveniert Zeisler entschieden:
    "Das Problem ist – das Problem war schon immer –, dass Feminismus kein Spaß ist. Er soll auch kein Spaß sein. Feminismus ist komplex und schwierig, und er nervt. Er ist eine ernsthafte Angelegenheit, denn hier fordern Menschen, dass ihr Menschsein als wertvoll anerkannt wird. Die Kernthemen, die der Feminismus anspricht – Lohnungleichheit, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, institutionalisierter Rassismus und Sexismus, strukturelle Gewalt und natürlich körperliche Autonomie –, sind alles andere als sexy."
    Begriffliche Aufwertung, Kommerzialisierung und Sinnentleerung
    Und doch werde uns die marktkonforme Illusion von Feminismus als "sexy" angepriesen – vor allem mithilfe zahlreicher Stars aus Hollywood oder der Musikbranche, die sich als "Feministinnen" und "Feministen" verkaufen. Auch wenn Zeisler zufolge der Feminismus wie jede andere Bewegung auf prominente Fürsprache angewiesen ist – unweigerlich stellt sich die Frage nach der damit sehr oft verbundenen politischen Sinnentleerung. Als Beispiel kommt die Autorin, die das feministische Magazin mit dem provokanten Titel "Bitch" mitbegründet hat, immer wieder auf die amerikanische Sängerin Beyoncé zu sprechen:
    "Im Licht der Scheinwerfer rockte die größte Popsängerin der Welt das einst vielgeschmähte Etikett wie einen knallengen Glitzerfummel auf dem roten Teppich, buchstabierte es ihrem Acht-Millionen-Publikum nachgerade vor."
    Deutlich wird hier die Ambivalenz, die die Autorin als bekennende Anhängerin der Popkultur und ihrer gesellschaftlichen Wirkmacht beschreibt: einerseits die Faszination für die popkulturelle und medienwirksame Nutzung, auch Aufwertung, des Etiketts "Feminismus"; andererseits die Durchkommerzialisierung einer Bewegung, die uns falsche Erfolge vorgaukelt und die Aufmerksamkeit weglenkt von realen Problemen:
    "Ob man die Sprache der Ermächtigung dafür benutzt, uns weiszumachen, die mögliche Wahl zwischen drei Sorten Tiefkühl-Diätpizza sei eine radikale Errungenschaft, oder dafür, eine Welt zu errichten, in der niemand mehr eine Tiefkühl-Diätpizza braucht (oder in der dieses Produkt zumindest nicht mehr ausschließlich an Frauen vermarktet wird), sind immer noch zwei vollkommen verschiedene Paar Schuhe. Und genauso tief ist die Kluft zwischen Feminismus und Marktfeminismus."
    Eine Analyse vor der Ära Trump
    Die Beispiele aus dem amerikanischen Kontext, mit denen Zeisler ihre Kritik unterstützt, sind allesamt anschaulich, aber im Prinzip ab einem gewissen Punkt redundant. Da das Buch bereits im vergangenen Jahr in der amerikanischen Originalausgabe erschienen ist, beinhaltet es zudem keine Analysen des ganz aktuellen feministischen Widerstands, der von der Wahl Donald Trumps ausgegangen ist, und der sich auch in der Pop- und Alltagskultur widerspiegelt.
    Trotzdem: Die Kritik am Marktfeminismus ist nach wie vor aktuell. Genährt wird sie auch durch einen "Feminismus", den einige Frauen in politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Führungspositionen vermarkten – wie beispielsweise Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin von Facebook. In Büchern, Interviews oder auf Konferenzen vermittelten diese Frauen oft den Trugschluss, individuelle Selbstverwirklichung sei die große feministische Errungenschaft, so Zeisler:
    "Die Definition einer Feministin als einer 'Frau, die das von ihr gewählte Leben führt', ist wunderbar für eine, die diese Wahl bereits hat. Doch für die große Mehrheit der Frauen, die nicht in die Konferenzsäle gelangen und vergeblich darauf warten, dass die Ermächtigung nach unten durchsickert, bleibt dieser Feminismus völlig wirkungslos."
    Salz in die feministische Wunde
    Die Zeitdiagnose der zunehmenden Vermarktung und Entleerung des Feminismus durch Popkultur und neoliberale Kräfte wird diejenigen, die sich für feministische Anliegen interessieren, nicht wirklich überraschen – und gerade diese Personen werden das Buch wohl letztendlich lesen. Trotzdem empfiehlt sich die Lektüre – weil Zeislers popkulturelle Momentaufnahme das nötige Salz in die Wunde streut. Und uns anspornen sollte, die realen Ungleichheiten jenseits des marktfeministischen Glitzers wieder mit neuem Elan anzugehen.
    Andi Zeisler: "Wir waren doch mal Feministinnen. Vom Riot Grrrl zum Covergirl. Der Ausverkauf einer politischen Bewegung"
    Rotpunktverlag, 302 Seiten, 25 Euro.