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Fenster ins Leben oder Identitätsraub

Das UN-Komitee für die Rechte von Kindern will im Europarat ein Verbot von Babyklappen durchsetzen - Vorrichtungen, in denen Mütter in Not ihr Neugeborenes anonym abgeben können. Gegen die Pläne regt sich heftiger Widerstand - insbesondere in Polen.

Von Sabine Adler | 20.12.2012
    Wenn dieses Signal ertönt, ist Ordensschwester Ewa Jendrzejczak in Wroclaw hin- und hergerissen. Sie weiß, dass sich dann eine Mutter in Not befand und doch noch umsichtig genug war. Die Fenster des Lebens helfen, Kurzschlussreaktionen zu verhindern.

    "Uns wäre es lieber, diese Kinder hier nicht zu finden, aber wenn es so ist - und das war schon 14 Mal der Fall -, dann nehmen wir sie mit Freude. Dann wurde wieder einem kleinen Menschen eine Chance zu leben gegeben."

    Fenster des Lebens nennen die Polen, was in Deutschland Babyklappe heißt, seit dem die erste im Jahr 2000 in Hamburg eröffnet wurde. Ein Ausdruck, der unsere Nachbarn erschreckt, Klappe klingt für sie nach verklappen, nach Müll. 40 bis 50 solcher Fenster des Lebens gibt es über ganz Polen verteilt, in Deutschland sind es rund 100. Unsere Nachbarn würde es wohl nicht wundern, wenn die Idee, die sie jetzt entsetzt, aus Deutschland käme, dem Land, das eine lebensrettende Einrichtung mit einem so herzlosen Namen versieht. Doch es ist das UN-Komitee für die Rechte von Kindern, das im Europarat ein Babyklappen-Verbot durchsetzen möchte. Laut Artikel 8 der Kinderrechtskonvention der UNO hat jeder ein Recht auf Identität, auf das Wissen also, wer ihre Eltern sind. Wissen oder Sterben – so spitzen viele Polen den Konflikt zu.

    Ordensschwester Martyna Kuczmarska, die das Fenster des Lebens in Krakau betreut, kann kaum nachvollziehen, dass jemand ernsthaft seine Schließung erwägt.

    "Ich weiß nicht, worüber wir diskutieren. Diese kleinen Wesen können sich nicht selbst verteidigen, deshalb finde ich, dass Plätze wie unserer notwendig sind."
    44 polnische Neugeborene wurden, seitdem 2006 in Krakau das erste Fenster des Lebens öffnete, nicht von ihren Müttern getötet oder irgendwo abgelegt, sondern hinter den Rollos, wo ihre Kinder sofort versorgen werden. Denn wenn die Mütter sie auch nicht behalten wollen, so wünschen sie sich doch, dass ihre Kinder leben. Die Katholische Kirche, die die Fenster des Lebens unter ihrer Obhut hat, verteidigt sie. Seit vielen Jahrhunderten werden in Europa Findel- und Waisenhäuser betrieben, schon lange auch mit Klappen, Napoleon I. soll 1811 anonyme Vorrichtungen angeordnet haben. Dass nun das UNO-Komitee für Kinderrechte ein Verbot für Babyklappen fordert, halten Polens Politiker für falsch. Das Argument, diese Kinder würden ihre Identität nicht erfahren, wiegt für sie nicht schwer genug.

    Für Ex- Justizminister Krzystof Kwietkowski von der liberal-konservativen Regierungspartei Bürgerplattform ist das Fenster des Lebens ein Zeugnis größter Verantwortung.

    "Das ist ein Symbol für die ernsthafteste Sorge, die man sich überhaupt um ein Neugeborenes machen kann. Es würde mir nicht gefallen, wenn jemand von außen versuchen würde, uns ein Verbot, die Schließung dieser Einrichtungen aufzudrängen oder ihre Tätigkeit einzuschränken."

    Leben oder Tod – diese Frage stellt sich nicht, heißt es in einer Stellungnahme des Deutschen Ethikrates. Es sei nicht belegt, dass Mütter, die ihre Kinder in der Babyklappe ablegen, diese ansonsten töten würden.

    Auch für die polnische Ethik-Professorin und Frauenrechtlerin Magdalena Sroda geht es bei den Babyklappen, den Fenstern des Lebens, erst in zweiter Linie um eine lebensrettende Maßnahme für Säuglinge, vorrangig seien sie eine Hilfe für Mütter in Not. Solange denen, die sich gegen ihr Kind entscheiden, die Stigmatisierung droht, muss die Möglichkeit erhalten werden, ein Neugeborenes anonym abzugeben.