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Ferber: Erdogan hat "kein Interesse, mit den Menschen zu reden"

An dem autokratischen System von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan werde sich nichts ändern, sagt Markus Ferber, Vorsitzender der CSU-Europagruppe. "Wir wären verrückt, wenn wir uns solche Probleme in die Europäische Union hineinholen würden."

Markus Ferber im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 17.06.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Eigentlich sollten die Demonstranten im Gezi-Park bis Sonntagabend Zeit haben, sich zurückzuziehen. Doch Ministerpräsident Erdogan wartete das von ihm selbst gestellte Ultimatum gar nicht ab und setzte höchstpersönlich die Polizei in Marsch. Das Ergebnis: Bilder, die man eher aus arabischen Diktaturen kennt. Für heute haben zwei der größten türkischen Gewerkschaften zum Generalstreik aufgerufen.

    - Darüber sprechen möchten wir jetzt mit Markus Ferber, er ist Vorsitzender der CSU-Gruppe im Europaparlament. Schönen guten Tag, Herr Ferber.

    Markus Ferber: Schönen guten Tag, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Ferber, Claudia Roth von den Bündnis-Grünen wirft Erdogan einen absolutistischen und autokratischen Regierungsstil vor. Zeigt sich jetzt das wahre Gesicht des Erdogan?

    Ferber: Ich glaube, das ist sehr schön, dass Frau Roth auch endlich erkennt, was hinter Herrn Erdogan steckt: Er will eine andere Türkei, nicht eine demokratische, rechtsstaatliche Türkei, sondern er hat in den letzten Jahren die Türkei massiv umgebaut. Er hat auch ein neues Netzwerk von Freunden sich geschaffen. Er war ja der einzige, der Herrn Ahmadinedschad in Teheran besucht hat. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir mit unserer Analyse nicht mehr alleine sind, sondern dass selbst Frau Roth der CSU-Position mittlerweile zustimmt.

    Heckmann: Kritik entzündet sich ja vor allem an dem Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegenüber den Demonstranten. Aber wenn Sie Innenminister oder Regierungschef in Bayern wären, würden Sie zögern, Herr Ferber, Tränengas einzusetzen, um gewalttätige Demonstranten zu vertreiben?

    Ferber: Jetzt müssen wir schon ein bisschen die Kirche im Dorf lassen. Hier ist zunächst mal demonstriert worden gegen einen Bauplan in einem Park. Und solche Situationen hatten wir ja vor Kurzem auch mal in Baden-Württemberg, dass gegen etwas demonstriert wurde, was gebaut werden soll. Die Eskalation, die dann stattgefunden hat, hätte es selbstverständlich bei uns nicht gegeben. Und von daher ist das wahre Gesicht rausgekommen. Es wird hier geherrscht in einer Art und Weise, wo man auch schon den Bau eines Einkaufszentrums zum Staatspolitikum macht. Und das ist mit westlichem Demokratieverständnis und Bürgerbeteiligungsverständnis nicht vereinbar.

    Heckmann: Aber es ist doch auch eine Tatsache, dass es Gewalttäter unter den Demonstranten gibt. Erdogan spricht sogar von Terroristen.

    Ferber: Ja, aber jetzt noch einmal: Wenn Herr Erdogan davon spricht, dass es Terroristen sind, dann ist es interessant, dass das dann schon zur absoluten Wahrheit erhoben wird. In Deutschland haben wir auch immer wieder gewalttätige Autonome in Demonstrationen versteckt und da darf man das nicht verwenden. Also ich würde da einfach bitten, auch insbesondere die Frau Roth, hier nicht Äpfel und Birnen miteinander in Vergleich zu stellen. Was wir hier feststellen, zeigt, dass die Türkei überhaupt kein Interesse daran hat, an irgendeiner Stelle auf die Menschen zu hören.

    Heckmann: Claudia Roth hat sicherlich nicht die Gewalttäter als Terroristen bezeichnet, sondern das kam in der Tat von Ministerpräsident Erdogan. – Herr Ferber, einerseits hat er ja Verhandlungen angeboten, dann wieder lässt er mit Gewalt zuschlagen. Welchen Sinn macht aus Ihrer Sicht diese Doppelstrategie?

    Ferber: Ich bin nicht der, der hier Sinn oder Unsinn von Strategien des türkischen Ministerpräsidenten zu analysieren hat. Das zeigt einfach ganz offen: Er hat überhaupt kein Interesse, mit den Menschen zu reden. Er hat ja auch in seiner ersten Gesprächsrunde handverlesene systemkritisch eingestellte Menschen nach Ankara geladen, die mit der Demonstration nun relativ wenig zu tun hatten. Er hat selber ein Ultimatum gesetzt, an das er sich nicht gehalten hat. Das heißt, er ist wirklich jemand, mit dem man nicht vernünftig reden kann. Und deswegen sollte man auch auf europäischer Ebene nicht mit ihm Gespräche führen.

    Heckmann: Könnte es ihm trotzdem gelingen, den Widerstand zu zerbrechen. Oder wird dieses Verfahren, diese Strategie dazu führen, dass der Widerstand eher noch angeheizt wird?

    Ferber: Die Wahrheit ist doch die, dass Herr Erdogan in den letzten Jahren es auch geschafft hat, vielen laizistischen Bewegungen, kemalistischen Bewegungen in der Türkei den Boden zu entziehen, das Wasser abzugraben, welches Bild Sie auch immer nehmen wollen. Sodass er gar keine richtige Opposition zu fürchten hat. Und die letzten Umfragen zeigen ja, dass er dort, wo er seinen stärksten Rückhalt hat, nämlich in Anatolien, an Beliebtheit noch dazugewonnen hat. Er betreibt damit eine Spaltung des Landes zwischen den fortschrittlichen Kräften, die im Wesentlichen in Istanbul angesiedelt sind, und den sehr konservativen Kräften, die insbesondere in Kleinasien angesiedelt sind. Das heißt, es gibt auch keine Entwicklung, die absehbar ist, die hier zu einem liberaleren, kemalistischeren Modell in der Türkei führen würde. Und von daher ist die Entwicklung relativ klar abzusehen. Es wird sich an diesem autokratischen System nichts ändern.

    Heckmann: Sie haben gerade gesagt, Herr Ferber, es wäre ein Fehler, weitere Gespräche mit der Türkei zu führen. Soll also das nächste Kapitel der Beitrittsverhandlungen, das ja nächste Woche eigentlich aufgeschlagen werden soll, nicht aufgemacht werden?

    Ferber: Ich sage Ihnen ganz offen: Es ist doch nicht sinnvoll, mit einem Staat zu verhandeln, der sich so verhält. Und ich sage auch: Frau Roth irrt hier. Die Europäische Union ist nicht eine Gemeinschaft von Menschen, sondern sie ist eine Gemeinschaft von souveränen Staaten. Wir nehmen Länder auf und nicht die Menschen in einem Land. Und deswegen muss der Zustand in einem Staat beurteilt werden und der Zustand des Staates Türkei ist alles andere als EU-kompatibel. Er ist hoch besorgniserregend. Wir wären verrückt, wenn wir uns solche Probleme in die Europäische Union hineinholen würden. Wir können sie nämlich nicht händeln, wir können damit nicht umgehen. Und deswegen halte ich wenig davon, jetzt neue Kapitel zu eröffnen, auch wenn das Kapitel, das momentan zur Diskussion steht, eher mit einer privilegierten Partnerschaft denn mit einer Vollmitgliedschaft zu tun hat.

    Heckmann: Aber Claudia Roth sagt auch, die sich ja selbst in Istanbul aufhält, hat heute Früh bei uns im Deutschlandfunk gesagt, Erdogan sei eben nicht die Türkei und das Ganze könne kein Grund sein, dem Land die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Und auch Erweiterungskommissar Füle sagt, die Beitrittsverhandlungen sind das wirksamste Instrument, um überhaupt Einfluss auszuüben.

    Ferber: Also noch mal: Wir nehmen nicht Menschen auf, sondern wir nehmen Staaten auf. Das heißt, der Zustand in einem Land ist zu überprüfen. Und die Beispiele in Bulgarien und Rumänien, wo wir zurzeit bodenlose Entwicklungen erleben – in Bulgarien regiert jetzt die Sozialdemokratie mit Unterstützung der Rechtsradikalen -, zeigt doch, dass hier, wenn man mal Mitglied der Europäischen Union ist, keiner eine Garantie abgeben kann, dass die innenpolitischen Entwicklungen so sind, dass sie auf dem europäischen Fundament bestehen bleiben. Deswegen ist das abenteuerlich!

    Heckmann: Aber die Aussicht auf einen EU-Beitritt beispielsweise könnte dazu führen, dass Erdogan sagt, okay, ich verlasse diesen Kurs wieder.

    Ferber: Noch einmal: Wir haben ein paar Länder in die EU aufgenommen, nach meiner Meinung völlig zu früh und völlig unzureichend, wie Bulgarien und Rumänien. Oder nehmen Sie Ungarn. Und wir erleben jetzt, wie hilflos die Europäische Union zuschauen muss, was in diesen Ländern stattfindet. Ich halte diese These für abenteuerlich, dass dies dann gelingt, wenn man Länder enger an der Kandare hat, nämlich in der Europäischen Union.

    Heckmann: Glauben Sie denn, dass die Türkei überhaupt noch EU-Mitglied werden will. Oder die türkische Regierung unter Ministerpräsident Erdogan, oder ist das Vorgehen schon ein Zeichen dafür, dass das gar kein Ziel mehr ist, weil man jahrelang hingehalten wurde?

    Ferber: Ich habe der Türkei immer abgenommen, dass sie Mitglied der EU werden will; ich habe es dem Herrn Erdogan nie abgenommen. Und eine Türkei, die von Herrn Erdogan regiert wird, so wie er es zurzeit tut, und der dauerhaft auch über Mehrheiten in der Bevölkerung verfügt, hat gar kein Interesse, sich unseren westlichen Demokratie- und Gesellschaftsmodellen zu unterwerfen. Das ist die bittere Wahrheit und das ist jetzt offenkundig geworden.

    Heckmann: Der Chef der CSU-Gruppe im Europaparlament, Markus Ferber, war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Ferber, danke Ihnen für das Gespräch, und die schlechte Leitung bitten wir zu entschuldigen.

    Ferber: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.