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Ferngesteuerte Insekten
Moralisch vertretbar oder ethisches No-Go?

Forschern ist es bereits mehrfach gelungen, Insekten fernzusteuern. Dafür stimulieren sie die Nerven und Muskeln der Tiere mit Elektroden und lassen sie auf Knopfdruck um die Ecke laufen. Denkbare Einsatzbereiche sind die Bergung Verschütteter oder auch als militärische Mini-Spione. Doch darf oder sollte man Tiere zu so etwas wie lebenden Maschinen umbauen?

Von Piotr Heller | 11.07.2016
    Eine amerikanische Küchenschabe krabbelt auf einem Ast.
    Eine amerikanische Küchenschabe - darf man solche Lebewesen fernsteuern? (dpa picture alliance/ Stephanie Pilick)
    "Wir haben einen hybriden Insekten-Computer-Roboter mit Beinen aus einem lebenden Käfer konstruiert."
    Dieser Satz stammt nicht aus einem Science-Fiction-Roman. Er steht in einer wissenschaftlichen Arbeit. Forscher beschreiben darin, wie sie den Gang, die Geschwindigkeit und die Schrittlänge eines Käfers steuern. Das gelingt ihnen mit Elektroden, die Nerven und Muskeln stimulieren. Dieselben Wissenschaftler können nach dem gleichen Prinzip Käfer auf Knopfdruck Kurven fliegen lassen. Doch sollte man das überhaupt tun? Die Wissenschaftler mögen die Wesen "hybride Insekten-Computer-Roboter" nennen. Aber es sind immer noch Tiere.
    "Das entscheidende Kriterium, ob es zulässig ist, ist, ob die Wesen selber drunter leiden oder nicht. Nun ist bei Insekten die Standardauffassung, dass die zwar einzelne Rezeptoren für Empfindungen, Schmerzen und so was haben, aber kein zentrales Nervensystem und dass man insofern bei Insekten nicht sagen kann, dass das ganze Lebewesen bewusstseinsmäßig leitet. Und dann hätte man erst mal relativ wenige moralische Einwände."
    Aus menschlicher Perspektive ist ein Wesen, das nicht leidet, kaum vorstellbar
    So fällt das Urteil der Philosophin Ursula Wolf aus, die sich an der Universität Mannheim unter anderem mit Tierethik beschäftigt. Ähnlich unproblematisch sieht es Dieter Birnbacher, Philosoph an der Universität Düsseldorf. Doch auch wenn das Tier nicht leidet: Sollte man eine Lebensform überhaupt so manipulieren? Schließlich sind Insekten nicht dazu bestimmt, wie Maschinen auf die Eingaben von Menschen zu reagieren.
    "Mit dem Begriff "Bestimmung" kann ich persönlich wenig anfangen, denn die Natur ist ein sich ständig weiterevaluierender Prozess. Es gibt da keinen Fixpunkt, der abzulesen erlaubt, was die Bestimmung eines Wesens ist."
    Dennoch löst die Fernsteuerung von Tieren ein Unbehagen aus. Das sollte aber nicht zu einem Kriterium werden.
    "Selbstverständlich Unbehagen. Und zwar gerade wegen des Charakters der Kombination von Manipulation und Distanz: Das hat zum Teil irritierende Analogien zu Big Brother oder zu einer totalitären Steuerung von gesellschaftlichen Prozessen. Das ist eine Funktion der Bioethik generell, dass sie das Schnelle durch das Langsame Denken ablöst. Und das Unbehagen, dass sich bei sehr vielen Innovationen im biomedizinischen Bereich einstellt, ablöst durch eine Analyse der Sache."
    Gerade wenn es um so ein emotionales Thema geht, mag die streng analytische Beurteilung der Bioethik kühl und empathielos erscheinen. Und es kann für viele unbefriedigend sein, dass das Urteil der Philosophen auf der Annahme basiert, dass Insekten nicht leiden. Aus menschlicher Perspektive ist ein Wesen, das nicht leidet, kaum vorstellbar. Schwierig ist auch, dass diese Erkenntnis dem aktuellen Stand der Forschung entspricht: Der kann sich nämlich ändern.
    Kakerlaken-Bausätze für Jedermann
    Aber die beiden Experten müssen ihre Urteile auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse fällen und nicht auf emotionalen Vorstellungen. Das heißt natürlich nicht, dass sie jede Anwendung dieser Forschung an Insekten gutheißen. Die trägt nämlich auch durchaus merkwürdige Früchte. Mittlerweile kann jedermann Bausätze für ferngesteuerte Kakerlaken über das Internet bestellen. Sie enthalten die nötigen Computerchips und Elektroden. Die Kakerlaken kann man sich natürlich frei Haus liefern lassen. Wie man das technische Gerät richtig in das Tier einpflanzt, erklärt ein Video:
    "Betäuben Sie ihre Kakerlake, indem Sie sie in Eiswasser legen. Stechen Sie mit einer Nadel ein kleines Loch in das Exoskelett direkt hinter dem Kopf. Achten Sie auf die Speiseröhre. Jetzt führen Sie die Elektrode in das Loch. Das erfordert etwas Übung. Keine Sorge, Sie werden es irgendwann hinbekommen."
    Die Firma hinter diesem Baukasten richtet ihr Angebot explizit an Schulen. Ursula Wolf:
    "Wenn man das für Schulen und Kinder verkauft, dann hat man das Problem, dass allgemein der Eindruck entsteht, Tiere wären so eine Art beliebig manipulierbare Dinge, mit denen man etwas Technisches anstellen kann. Dann denken die Kinder: Das kann ich mit meinem Hund machen. Das geht natürlich nicht, denn das sind hochorganisierte und extrem leidensfähige Wesen."
    Hier zeigt sich das Problem: Wenn Wissenschaftler eine Erkenntnis gewinnen – und sei es nur eine Erkenntnis über einen Muskel eines Insekts, der dessen Flugbahn steuert – stoßen sie damit eine Tür auf, die sich nie wieder schließen wird.