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Fernöstliche Sichtweise auf die Musik

Wie stark die eigene Kultur die Musik beeinflusst, zeigen verschiedene CD-Produktionen, in denen unter anderem Komponisten aus Korea, China und Japan ihre Klangwelten vorstellen - und dabei auch westliche Traditionen aufgreifen.

Von Barbara Eckle | 18.03.2012
    Heute mit Musik von Komponistinnen und Komponisten aus Korea, China und Japan. Wer sich davon viel klangliche Exotik verspricht, kommt hier nur bedingt auf seine Kosten, denn originäre und folkloristische Klänge dieser Kulturen spielen eine eher untergeordnete Rolle bei den Platten, die ich Ihnen heute vorstellen werde.

    Thematisch kreisen sie um den Prozess des Verwachsens zweier eigentlich unverwandter musikalischer Traditionen, der westlichen und der fernöstlichen. Dass dieser Vorgang als vollkommen natürlich und logisch anzusehen ist, liegt hauptsächlich daran, dass fast alle der hier vertretenen Komponisten in jungen Jahren ihre asiatische Heimat verließen, um den Großteil ihrer musikalischen Ausbildung im Westen zu absolvieren. Aus diesen musikalischen Doppelwelten ist ein ganz eigenes kompositorisches Phänomen erwachsen.

    Dem widmet sich sehr intensiv der Pianist Gerhard Oppitz auf seiner CD "Japanese Piano Works. In einem im Booklet enthaltenen Interview schärft der Pianist den Sinn des Hörers für die Andersartigkeit der japanischen Musik. So sind nicht wie in der europäischen Tradition Melodie, Rhythmus und Form die bestimmenden Parameter, sondern vor allem Klangfarbe und Tongebung. Zwar hat der Einfluss der westlichen Musik diese Parameter stark durchmischt, doch spricht nach wie vor eine andere Grundhaltung aus der japanischen Musik. Die Natur als Inspiration und als Manifestation des Göttlichen spielt nicht nur in der Musik, sondern in allen Bereichen fernöstlicher Kunst eine signifikante Rolle.

    Sehr gut nachvollziehbar ist dieser Vorgang in "Rain Tree Sketch" – Skizze eines Regenbaums – von Toru Takemitsu, dem wohl berühmtesten japanischen Komponisten aller Zeiten, der sich in seinen jungen Jahren ganz der europäischen Avantgarde zuwandte, um einige Jahre später sein tiefes Interesse für traditionelle japanische Musik und für die Natur zu entdecken. Die Besonderheit des japanischen Regenbaums, erklärt Oppitz, sind seine fingerartigen Blätter, aus denen am Mittag noch der Regen vom Vorabend tropft.

    Toru Takemitsu, "Rain Tree Sketch"
    Gerhard Oppitz, Klavier
    Japanese Piano Works


    Nicht zu überhören ist der starke Einfluss des französischen Expressionismus bei Takemitsu, wie vorhin auch bei Keiko Fujiie. Dass es damit eine besondere Bewandtnis auf sich hat, kann man ebenfalls dem aufschlussreichen Interview mit dem Pianisten im CD-Booklet entnehmen. Nämlich erklärt Oppitz da die Verschiebung der musikalischen Einflussquelle von Deutschland nach Frankreich und Nordamerika nach dem Zweiten Weltkrieg. Man orientierte sich nun musikalisch an Paris, während vor dem Krieg japanische Komponisten für ihre musikalische Weiterbildung nach Deutschland zogen. So auch der 1903 geborene Komponist Saburo Moroi, dessen Stil in Deutschland nachhaltig von Paul Hindemith geprägt wurde. Zurück in Japan war er als Komponist sehr erfolgreich, doch kam er aufgrund seiner deutsch-beeinflussten Musik nach dem Krieg sehr plötzlich aus der Mode. An seiner groß angelegte Klaviersonate Nr. 2, die er nach dem Vorbild von Liszts h-Moll Sonate komponierte, lässt sich der polyphone, kontrapunktische Einfluss der Bach-Nachfolge im weiten Sinne sehr anschaulich nachvollziehen.

    Saburo Moroi, "Klaviersonate Nr. 2" – 1. Satz
    Gerhard Oppitz, Klavier
    Japanese Piano Works


    Ein Ausschnitt aus dem ersten Satz der Klaviersonate Nr. 2 von Saburo Moroi, gespielt von Gerhard Oppitz. Die intensive Auseinandersetzung des Pianisten mit der Kultur Japans und sein Bemühen um ein tieferes Verstehen der Eigenheiten und Einflüsse manifestiert sich im Programm seiner CD wie auch in seinem Spiel, das sehr schön auch die simplen und kontemplativen Elemente dieser Musik beleuchtet. Seine CD "Japanese Piano Musik" ist 2011 beim Label Hänssler Classic erschienen.

    Eine offensivere Idee vom Zusammenwachsen der Musikkulturen verfolgt dagegen das Asian Arts Ensemble. Das junge, 2009 in Berlin gegründete Ensemble setzt sich aus Musikern traditioneller asiatischer und westlicher Instrumente zusammen, die mit dieser Mischung ein gegenseitiges Erschließen fremder Klangwelten beabsichtigen. Ihre vorliegende Erstlings-CD ist ein Produkt dieser Vision:

    Chung Il-Ryun/Kwang Ya – Five Korean Dances, No.?
    Ausführende: Asian Art Ensemble


    Dies ein Ausschnitt aus "Kwang Ya - Fünf Koreanische Tänze" für Changgu und Streichquartett von Chung Il-Ryun, der hier selbst die sanduhrförmige, zweifellige Trommel Changgu spielt. Sie ist ein essentieller Bestandteil der koreanischen Musik, ob volkstümlich, höfisch oder rituell. Wie dort, so unterlegt sie auch hier die Oberstimmen mit einem durchdringenden, rhythmischen Puls, der die Komposition klar dominiert.

    Gegenseitige Annäherung hat sich das Asian Arts Ensemble zum Ziel gesetzt. Und so sind natürlich auch nicht-asiatische Komponisten vertreten: Manfred Stahnke und Volker Blumenthaler – letzterer mit einem Werk für Daegum, Changgu, Violine, Viola und Violoncello. Es trägt den Titel "Approximations" und thematisiert ebendiese kompositorische Annäherung.

    Volker Blumenthaler – "Approximation" (2010)
    Asian Art Ensemble


    Vorsicht und Respekt beim Betreten fremden Klanggebiets ist das Hauptmerkmal Blumenthalers Komposition. Anfangs tastet er sich langsam an den Klang der Daegum heran, eine koreanische Traversflöte aus Bambus mit einem besonderen Timbre, das für europäische Ohren fernöstliche Assoziationen weckt. Erst nach geraumer Zeit lässt er in kleinen Dosen das westliche Instrumentarium miteinfließen.

    Mit Bedacht geht auch Toshio Hosokawa mit dieser instrumentalen Mischform um. In der Tat ist das Erforschen neuer Dimensionen im Zusammenwirken der Musikkulturen ein Hauptanliegen des bekannten japanischen Komponisten, der 1976 im Alter von 20 Jahren nach Deutschland kam, wo er bei Isang Yun und später bei Klaus Huber Komposition studierte. Dabei geht er in eine fast mikroskopische Klangtiefe hinein in seinem Stück "Landscape V", in dem er Streichquartett und Sheng, ein chinesisches Streichinstrument, verbindet. Auch hier begegnen wir wieder der Natur als Quelle unerhörter Kraft und Ausstrahlung. Im CD-Booklet schreibt Hosokawa, wie ihm der Gedanke zu dieser Komposition kam, als er im Spätsommer an einem See sitzend die Wolken beobachtete. Ausführlich beschreibt er die wechselnden Formen der Wolken, die das Licht der untergehenden Sonne reflektierten und spricht von einer mystischen, fast übersinnlichen Schönheit.

    Toshio Hosokawa – "Landscape V" für Sheng und Streichquartett (1993)
    Asian Art Ensemble


    "Landscape V" von Toshio Hosokawa.

    Stilistisch ist der Spagat zwischen den Werken der CD des Asian Arts Ensemble zuweilen etwas gar extrem, was wohl daran liegt, dass die instrumentale Mischung das Hauptauswahlkriterium war. Manche Nebeneinanderstellung wirkt so eklatant, dass die Gesamtkonstellation der Werke die Kritik der inhaltlichen Beliebigkeit förmlich auf sich zieht. Auch warnt Hosokawa im Booklet nicht zu Unrecht vor der Gefahr der Oberflächlichkeit bei der Mischung westlicher und fernöstlicher Instrumente, wenn er schreibt: "Die eine Seite neigt dazu, die andere zu überschatten und abzudrängen, und die Musik wird am Schluss zu einem unausgegorenen Exotikum."

    Zwar ist die instrumentale Ost-West-Kombinatorik des Asian Arts Ensemble erfrischend undogmatisch, doch leidet die CD unter dem chaotischen Programm, da mit den sehr unterschiedlichen Herangehensweisen der Komponisten die einzelnen Ideen und Ansätze kaum Raum haben, zu wirken. Die CD "Asian Arts Ensemble" ist in Zusammenarbeit mit dem Kulturradio von Radio Berlin Brandenburg entstanden und beim Label Celestial Harmonies erschienen.

    Wir kehren noch einmal zur Klaviermusik zurück bei unserer dritten und letzten CD mit dem Titel "Pa-Mun", was so viel bedeutet wie "flache Wellen auf dem Wasser". Koreanische Klavierwerke gespielt von der koreanischen Pianistin Klara Min. Ihre musikalische Ausbildung führte sie von ihrer Heimatstadt Seoul über New York nach Lübeck. Trotz internationaler Konzerttätigkeit mit einem breiten Repertoire widmet sie sich immer wieder extensiv der Klaviermusik ihrer Landsleute. Ein Produkt davon ist ihre vorliegende CD. Mit diesem Fokus auf die Kultur, die ihr naturgemäß am nächsten steht, gelingt es ihr, den Hörer auf die Eigenheit dieser Musiksprache zu sensibilisieren. Ähnlich, wie bei Gerhard Oppitz' CD, kristallisieren sich hier, dank einer repräsentativen Werkselektion, die Entwicklungen und Zusammenhänge zwischen den Komponistengenerationen heraus.

    Natürlich darf da der 1917 geborene Komponist Isang Yun nicht fehlen, der seine Bekanntheit nicht nur seiner Musik verdankt, sondern auch seinem politischen Schaffen als Künstler. So initiierte er ein gemeinsames Konzert von Musikern aus Nord- und Südkorea, das 1990 stattfand – eine kulturpolitisch inspirierende Idee, die sich Jahrzehnte danach noch großer Popularität erfreut, etwa in Projekten wie dem West-Eastern Divan Orchestra. Yun wurde allerdings vonseiten Südkoreas der Spionage verdächtigt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Nur dank einer von Stravinsky und Karajan lancierten weltweiten Petition kam er frei, wurde seines Landes verwiesen, kam als Exilant wieder nach Deutschland, wo ihm 1988 das große Bundesverdienstkreuz verliehen wurde. Die musikalische Entwicklung des Komponisten zeigt Min an frühen, streng dodekaphonischen Werken, die während seiner Studienjahre bei Boris Blacher im West-Berlin der 60er-Jahre entstanden. Diese stellt sie einem späteren, von formalen Prinzipien weitgehend losgelösten Werk "Interludium A" gegenüber.

    Isang Yun, "Interludium A"
    Klara Min
    Pa-Mun


    An Werken einer späteren Generation, wie beispielsweise den Preludes des Komponisten Uzong Chae, manifestiert sich die Distanz zwischen den Musikkulturen in einem absoluten Nichtvorhandensein von Berührungsängsten. Uzong Chae bedient sich der verschiedensten westlichen epochalen Stilmittel vom Minimalismus bis hin zur Polyphonie des 16. Jahrhunderts, während Komponisten des hiesigen Neuen-Musik-Betriebs tunlichst alles Nicht-Zeitgenössische in ihren Kompositionen vermeiden. Ähnlich darf man sich wahrscheinlich die Wirkung von westlichen Komponisten vorstellen, die sich kontextlos epochaler Versatzstücke der fernöstlichen Musiksprache bedienen. In jedem Fall führt es vor Augen, wie tief die eigene Musikkultur in einem verwurzelt sitzt. Hier ein Ausschnitt aus dem Prelude Nummer 2 von Uzong Chae:

    Uzong Chae, "Prelude No. 2"
    Klara Min
    Pa-Mun


    Dass auch in der koreanischen Musikkultur die Natur einen hohen Stellenwert besitzt, lässt sich wieder an Younghi Pagh Paans Komposition "Pa-Mun" erkennen, nach der Klara Min ihre CD benannt hat. Die schon seit Jahrzehnten in Deutschland ansässige, viel beachtete koreanische Komponistin und Professorin versenkt sich in "Pa-Mun" ganz in das Bild eines Teichs, der flache, kreisförmige Wellen schlägt, wenn man in die Stille seiner Oberfläche kleine Steinchen wirft. Die vollkommene Hingabe, die Pagh-Paan dieser Erscheinung widmet, lässt die Größe der Natur als quasi spirituelle Instanz in dieser Kultur erahnen.

    Zum Abschluss der heutigen Sendung hören Sie einen Ausschnitt aus "Pa-Mun" von Younghi Pagh-Paan. Das war die Neue Platte mit Klavier- und Ensemblemusik aus dem fernen Osten mit der Pianistin Klara Min, dem Pianisten Gerhard Oppitz sowie dem Asian Arts Ensemble. Am Mikrofon verabschiedet sich Barbara Eckle.

    Younghi Pagh-Paan, "Pa-Mun"
    Klara Min
    Pa-Mun