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Fernsehbeirat würde die publizistische Entscheidung einschränken

Der Leiter des Grimme-Instituts, Uwe Kammann, hält die Skepsis angesichts der geplanten Übernahme des Fernsehsenders ProSiebenSat.1 durch den Springer-Konzern zwar für verständlich. Im Zuge der Globalisierung könne die Fusion die deutsche Fernsehlandschaft aber auch stärken. Mit Bertelsmann und Springer könnten zwei große Konzerne entstehen, die publizistisch viele Möglichkeiten hätten, so Kammann.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Entsteht er nun, der Medienriese in Deutschland, oder entsteht er nicht? Europas größter Zeitungskonzern greift nach ProSiebenSat.1, will ins Fernsehgeschäft einsteigen, doch die Medienwächter haben Bedenken kartellrechtlicher Art, und noch ist nicht klar, ob die hohen Auflagen Springer dazu bringen werden, diesem Geschäft zuzustimmen. Bisher heißt es aus dem Verlagshaus, die Auflagen gleichen einer Enteignung, darauf werde man auf keinen Fall eingehen. Am Telefon ist jetzt Uwe Kammann, Leiter des Grimme-Instituts. Herr Kammann, schon der letzte Kanzler glaube, allein mit "Bild", "BamS" und Glotze auskommen zu können. Wird dieses Credo bald zur Selbstverständlichkeit?

    Kammann: Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Es war auch sehr anmaßend, was er gesagt hat, und sehr populistisch zugleich. So einfach ist es ja mit der vorherrschenden Meinungsmacht nicht. Es gibt ja in Deutschland eine relativ plural gestaltete Medienlandschaft. Ich glaube, sie ist so reich wie nirgendwo sonst in Europa. Insofern - es gibt schon einige andere Kräfte, die auch diesen Markt mitbestimmen, es gibt die öffentlich rechtlichen Anstalten. Also man muss wirklich sehr im Einzelnen prüfen, was durch einen solchen Zusammenschluss zusätzlich geschähe oder was so anders wäre, dass man sagt, die Meinungsfreiheit bei uns wäre in Gefahr.

    Remme: Viele halten diese Übernahme dennoch für falsch im Sinne der Vielfalt. Teilen Sie diese grundsätzliche Skepsis?

    Kammann: Die Skepsis ist ja verständlich, weil man denkt, es reduziert sich bei dem Fernsehangeboten das, was sich entwickelt hatte, dann auf zwei ganz große Familien, die eine wäre bei Bertelsmann mit der RTL-Gruppe und die andere wäre dann bei Springer mit ProSiebenSat.1 zusammen. Insofern ist das theoretisch verständlich, aber man muss auch die internationale Entwicklung sehen, und die geht natürlich heute im Zuge der Globalisierung zu größeren Einheiten. Und da ist meine Meinung, dass eher die deutsche Fernsehlandschaft gestärkt werden könnte, wenn dann wirklich zwei große Konzerne entstehen, die publizistisch viele Möglichkeiten haben, die auch innerhalb ihres eigenen Systems ein gewisses Gleichgewicht bilden würden, denn man muss ja sehen, dass die Bertelsmann-Gruppe tatsächlich noch mächtiger ist, was das Publizistische betrifft, als Springer, sie haben ja einen wesentlich größeren Umsatz.

    Remme: Vielleicht ist es dann auch in erster Linie der Name. Ich meine, für die Linken ist alleine schon der Name Springer Synonym für unzulässige Meinungsmacht. Ist das vor allem ein Mythos?

    Kammann: Das ist natürlich ein Symbolname, der ja gerade in den Sechzigerjahren für viel Aufregung gesorgt hat, damals zu Straßenblockaden und auch zu Straßenschlachten. Ich glaube, dass Springer in sich vielfältiger ist, als viele es meinen. Allerdings ist immer noch die Bild-Zeitung damit verbunden, und das ist die auflagenstärkste Boulevardzeitung. Aber auch da gilt ja nicht einfach, wer Bild liest, verhält sich in einem bestimmten politischen Punkt so oder so, das haben ja schon die früheren Wahlergebnisse ergeben. Also ich glaube, auch jeder Verlag wäre heute schlecht beraten, wenn er sich in seinem Spektrum, in seinem Angebot einfach verengen würde. Das hat auch der Springer-Vorstandsvorsitzende gesagt. Er sagte, es sei überhaupt nicht sinnvoll, eine Art von "TV-Bild" aufzulegen, das könne weder kaufmännisch richtig funktionieren, noch publizistisch inhaltlich.

    Remme: Was ist denn übrig vom politischen Sendungsbewusstsein des Verlaggründers in diesem modernen Konzern?

    Kammann: Also er ist sicherlich aufgefächert worden. Es gibt bestimmt noch zwei, drei Grundsätze, aber das, was Springer früher formuliert hatte mit einem Vier-Punkte-Credo, das gibt es in dieser Form nicht mehr. Trotzdem, man muss natürlich aufpassen, dass die Marktbeherrschung, dass die publizistische Kraft nicht sozusagen ausufern kann und darf, aber es gibt dafür keine richtigen äußerlichen Regelungen. Es gibt auf dem Fernsehmarkt die Regelung, dass kein Konzern mehr als 30 Prozent der Haushalte tatsächlich dann mit seinen Programmen erreicht. Dieses Marktanteilmodell ist in diesem Fall noch gar nicht erreicht, es ist vielleicht bei 25 Prozent. Und alle anderen Zusatzregelungen sind eher von weicher Natur. Ich finde, es wäre an der Zeit, dass man hier kartellrechtlich Neues gestaltet. Das hat es schon mal als Ansatz gegeben in der letzten Legislaturperiode, ist dann aber gescheitert. Insofern hat es jetzt immer noch etwas Willkürliches an sich, denn wenn jetzt das Kartellamt tatsächlich aus wettbewerbsrechtlichen Gründen diese Fusion untersagt, würde es möglich sein, dass der Wirtschaftsminister eine Ausnahmegenehmigung erteilt, aber damit, finde ich, wäre das Problem systematisch nicht gelöst, also hier ist die Medienpolitik gefragt, ob sie denn einen solchen weichen Faktor wie vorherrschende Meinungsmacht, der ja zu ermitteln wäre aus den Vermutungen, die bestimmte Produkte auf dem Markt auslösen, sich tatsächlich realisieren ließe.

    Remme: Neben dem Kartellamt gibt es die so genannte KEK, die Kommission zur Konzentration im Medienbereich, und diese fordert Auflagen im Rahmen der Übernahme. Für Springer offenbar unannehmbare Auflagen. Halten Sie diese für unangemessen hoch?

    Kammann: Es ist tatsächlich so, dass ein Kontrollrat, ein Fernsehbeirat mit ganz weitgehenden programmlichen Befugnissen die wirtschaftlichen Entscheidungen und auch die publizistischen Entscheidungen des Verlages einschränken würde. Das war sicher so ein Rettungsanker, den Springer auch ergriffen hat, als es überhaupt nicht mehr vorwärts ging und das Kartellamt eher seine Ablehnung signalisiert hat, aber ich glaube, tatsächlich kann es nicht funktionieren. Es gibt auch nirgendwo im privaten Fernsehbereich solche Beiräte mit den Befugnissen. Es gibt zwar Programmbeiräte wie bei RTL, aber das ist eher ein Feigenblatt ohne direkte publizistische Auswirkungen. Also man muss immer noch mal fragen, ist es sinnvoller, dass dieser Fernsehkonzern, der ja auch in Schwierigkeiten war, in deutsche publizistische Hände kommt bei einem Verlagshaus, das es ja tatsächlich verantwortlich gestalten will, oder soll er - und das wäre die wahrscheinlichere Alternative dann - in die Hände von ausländischen Investoren kommen, die in der Regel kein publizistisches Interesse haben, insofern sachfremder entscheiden würden. Ich glaube, dann wäre doch das erste Modell das richtigere. Dann hätte man zwar nicht die Theorie in allen Fällen erfüllt, dass man sagt, man muss alle Möglichkeiten versuchen, um die innere Meinungsvielfalt zu sichern, aber ich glaube, auf die Dauer hätte man eher die Gewähr, dass aus verlegerischer Entscheidung heraus Vielfalt auch in den eigenen Produkten des Hauses gewährleistet bleibt.

    Remme: Abschließend, Herr Kammann, kommt es zu der Übernahme oder wird sie scheitern?

    Kammann: Ich vermute, es wird sie doch geben, allerdings mit einigen Auflagen. Es könnte dann zu Trennungen von Verlagsobjekten kommen. Das halte ich für das Wahrscheinlichere, aber ich glaube nicht, dass sozusagen die reine kartellrechtliche Theorie - natürlich ist Theorie immer mit Praxis verbunden - in diesem Falle siegen wird über das, was man eher als lebenspraktisches Modell nennen könnte. Also ich glaube, letzten Endes wird es doch mit einer Art von Kompromiss, was die gesamte Verlagspolitik oder Konzernpolitik betrifft, enden.