Freitag, 19. April 2024

Archiv


Fernsehboykott am Nationalfeiertag

Nach Auffassung von Künstlern und Filmschaffenden wird das öffentliche Fernsehen in Polen stark durch die Politik beeinflusst - und dies bedeute zurzeit einen Schwenk nach rechts. Denn seit Anfang des Jahres sitzt Piotr Farfał, ein Vertreter der ultranationalistischen "Liga für die polnische Familie", im Chefsessel des Fernsehens. Polnische Intellektuellen haben deswegen am 3. Mai, dem Nationalfeiertag, zu einem Boykott gegen den neuen Fernsehdirektor aufgerufen.

Von Martin Sander | 02.05.2009
    "Die Medien in Polen, die öffentlichen Medien, allen voran das polnische Fernsehen, werden unglaublich instrumentalisiert durch die Politik."

    Dorota Paciarelli, deutsch-polnische Autorin, Drehbuchdozentin und Mitglied der Europäischen Filmakademie.

    "Polnisches Fernsehen, das öffentliche Fernsehen, leidet immer noch an dieser Kinderkrankheit der jungen Demokratien, wo dann die Premierminister oder die Minister kommen, wie kleine Jungs, und die sagen: Das ist unser Spielkasten, das nehmen wir uns jetzt. Nur leider hat es jetzt nicht geklappt, weil: Zwei haben gestritten und der Dritte hat gewonnen."

    Dieser Dritte heißt Piotr Farfał. Seit Januar dieses Jahres sitzt Farfał auf dem Chefsessel des polnischen Fernsehens - und zwar als Vertreter der ultranationalistischen "Liga für die polnische Familie". Zwar ist diese Liga seit Herbst 2007, seit dem Wahlsieg der Liberalkonservativen unter Donald Tusk, gar nicht mehr im polnischen Parlament vertreten, doch im Bündnis mit den Kaczyński-Brüdern hatte sie sich noch vor der Wahlniederlage beträchtliche Gremienmacht verschafft. Während sich der vorherige den Kaczyńskis ergebene Andrzej Urbański im vergangenen Jahr im Dauerstreit mit der Tusk-Regierung allmählich verschliss, trumpfte plötzlich die Liga für die Polnische Familie auf - der lachende Dritte der extremen Rechten.

    "Im öffentlichen Fernsehen ist es zu einem braunen Umsturz gekommen","

    klagt der polnische Filmemacher Krzysztof Krauze, der vielfach für sein gesellschaftskritisches Kino der Nachwendezeit ausgezeichnet wurde. Krauze ist der Wortführer einer Gruppe von polnischen Regisseuren, Schauspielern, Schriftstellern und Intellektuellen, die sich für eine sofortige Ablösung des derzeitigen polnischen Fernsehchefs einsetzen.

    Piotr Farfał, gerade erst um die dreißig, hat sich in seiner bereits reichen politischen Vergangenheit als Funktionär der offen rassistischen und antisemitischen "Allpolnischen Jugend" und anderer rechtsextremer Gruppen hervorgetan. Es gibt Bilder, die ihn mit Hitlergruß zeigen; man schreibt ihm Äußerungen über "dreckige Neger" und "unfähige schwarze Affen" in Afrika zu. Solche allzu eindeutigen Gesten oder Äußerungen streitet Farfał allerdings ab und verklagt seine Kritiker. Filmemacher Krzysztof Krauze erklärt:

    ""Farfał hat sich nie von seiner neofaschistischen Vergangenheit gelöst. Er hat nicht gesagt: Ich habe mich geirrt, jetzt schlage ich einen anderen Weg ein. Im Gegenteil: Er schweigt und lotst ganze Heerscharen aus der 'Allpolnischen Jugend' und Funktionäre der 'Liga für die polnische Familie' ins Fernsehen."

    Nicht zuletzt wegen Farfał hat der europäische Kulturkanal "Arte" seine Zusammenarbeit mit dem öffentlichen polnischen Fernsehen inzwischen auf Eis gelegt. Neben einer einseitigen politischen Berichterstattung stößt die Filmförderung des Fernsehchefs auf Protest - letztes eklatantes Beispiel: Das Fernsehen hatte sich bereits verpflichtet, als Koproduzent bei einem US-amerikanischen Spielfilm über Irena Sendler mitzuwirken. Die im vergangenen Jahr verstorbene Polin Sendler hatte im Zweiten Weltkrieg unter Einsatz ihres Lebens 2500 Kinder aus dem Warschauer Ghetto gerettet. Farfał, dem das Thema nicht behagte, zog die Beteiligung des Fernsehens am Film zurück:

    "Das Beispiel dieses Filmes über Irena Sendler, das ist wirklich eine große Schmach für das polnische Fernsehen. Dass das Farfał-Fernsehen diesen Film nicht produzieren wollte, zeigt wie diese Leute über die Welt und über Polen denken. Es zeugt von Xenophobie und Antisemitismus."

    Im Falle des Irena-Sendler-Films sind inzwischen das Kulturministerium, das Polnische Filminstitut und sogar die polnische Telekom für das Fernsehen eingesprungen. Aber für Filmemacher Krzysztof Krauze kann es letztlich nur eine Lösung geben: Farfałs Rücktritt. Für Morgen, den dritten Mai, den polnischen Nationalfeiertag, ruft Krauze zusammen mit Kollegen wie Agnieszka Holland und Andrzej Wajda und vielen anderen Künstlern und Intellektuellen zu einem Boykott des öffentlichen Fernsehens auf. Niemand soll an diesem Tag einen der öffentlichen Kanäle einschalten. Das Fernsehen wehrt sich auf seine Weise. Es will dem Publikum am Tag des Boykotts "Pan Tadeuz" zeigen - das polnische Nationalepos aus der Feder von Adam Mickiewicz, verfilmt von Andrzej Wajda.