Donnerstag, 25. April 2024

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Ferrari wird 70
"Im Detail steckt der Gott des Automobil-Designs"

Rolling Stones, Clint Eastwood und das Modehaus Dior: Nicht nur für die Pop-Elite gilt Ferrari als Stilikone. Diesen Status verdankt der Sportwagenbauer seinem Chefdesigner: "In jedem Ferrari von Pininfarina ist ein bisschen Kunst drin", erklärte Design-Experte Paolo Tumminelli im Dlf.

Paolo Tumminelli im Corsogespräch mit Juliane Reil | 15.11.2017
    Ein Ferrari Testarossa aus dem Jahr 1988, aufgenommen am 29.07.2017 im Auto und Technik Museum Sinsheim
    Der Ferrari Testarossa - für viele Autofans das Nonplusultra der Automobilität (dpa / Uli Deck)
    1947 wurde der erste Ferrari in Piacenza präsentiert. Für die Presse damals ein absoluter Reinfall - eine italienische Zeitung schrieb sogar, der Tipo 125 sei "klein, rot und hässlich". Heute - 70 Jahre später - kann die Marke Ferrari auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken: Mehrere Weltmeistertitel als Rennwagen, Autoliebhaber in der ganzen Welt, die sich für die Marke begeistern und das Design - immer noch rot, aber ganz bestimmt nicht "hässlich" - schafft es sogar ins Museum.
    Juliane Reil: Paolo Tumminelli ist Design-Experte und lehrt als Dozent an Fakultät für Kulturwissenschaften an der TH Köln. Herzlich Willkommen hier bei Corso.
    Paolo Tumminelli: Guten Tag.
    "In jedem Ferrari von Pininfarina ist ein bisschen Kunst drin"
    Reil: Von "Klein, rot und hässlich" ist es ein ganz schöner Sprung zur Design-Ikone. Was für eine Vision stand damals am Anfang?
    Tumminelli: Die erste Vision war sehr einfach: rennfahren und dabei gewinnen. Daher war auch der Fokus in der Entwicklung der Automobile gar nicht auf Schönheit oder Vermarktung, sondern einfach auf die Schnelligkeit auf der Straße gerichtet. Und die Karosserien wurden dazu zweckmäßig gebaut. Typisch für die Zeit ist die sogenannte "Barchetta". "Barchetta", also "Bötchen" ist einfach ein Auto, wo es minimal Blech gibt, also einfach das, was die Räder und den Motor verdecken kann. Der Fahrer fuhr im Freien. Damit war man sehr leicht unterwegs.
    Reil: Aber wie kam es denn dann zur Hinwendung zum Design, dass man besonders formschöne Autos machen wollte?
    Tumminelli: Man könnte diskutieren, ob die ersten Ferrari nicht auch vielleicht hübscher waren, als man sie damals bezeichnet hat. Das Design von Ferrari entsteht aus einer Begegnung, die sehr wichtig war, nämlich der zwischen Enzo Ferrari und Battista Farina – später auch bekannt als Pininfarina. Pininfarina war der schönste Automobilmacher der Welt – nicht weil er schön war, sondern weil seine Autos anerkannt waren, durch ihre Eleganz, durch ihre Feinheit, durch ihre Raffinesse auch im Detail. Und irgendwann entschied Ferrari, weil er wohl entdeckte, dass Menschen diese Autos privat fahren würden – normalerweise hätten es nur Rennautos werden sollen – und suchte dafür das passende Kleid. Also trafen sich die beiden und beschlossen, fortan alle Ferraris von Pininfarina zeichnen zu lassen.
    Paolo Tumminelli im Deutschlandfunk
    Für Paolo Tumminelli ist ein Ferrari mehr als nur ein Auto (Deutschlandradio / Adalbert Siniawski)
    Reil: Und was macht dieses Design aus?
    Tumminelli: Es hat natürlich mit 2000 Jahren Kunst- und Kulturhistorie Italiens zu tun. Pininfarina ist ein Italiener, er lebt die Tradition, die Geschichte, die in Italien überall sichtbar ist. Wir haben wirklich vom griechischen Tempel bis zur gotischen Kathedrale so ziemlich alles, was Kunst und Kultur und Architektur zu zeigen hatten – und man verinnerlicht sie. In jedem Ferrari von Pininfarina ist ein bisschen Kunst drin.
    "Bei Ferrari war jedes Modell praktisch neu"
    Reil: Und das ist eben auch sehr unüblich, oder? Dass ein Designer so lange mit dabei ist und wirklich das Gesicht eines Autos prägt?
    Tumminelli: Absolut. Das ist eine fast einmalige Geschichte, dass ein externer Designer – beziehungsweise eine externe Designfirma – eben so lange sich der Marke, dem Image einer Marke, widmet. Und nun kommt vielleicht die erste Unterscheidung zwischen, wenn wir jetzt in Deutschland zum Beispiel von einem Porsche sprechen… Also es gab ein Designkonzept, um 1947, und dann ging es einfach so weiter. Der heutige Porsche ist nichts anderes als die Fortsetzung einer Linie.
    Reil: Also, das ist im Prinzip der "911er", der immer an diesem Modell geblieben ist und diese Kontinuität weitergesponnen hat?
    Tumminelli: Absolut. Und es gab eigentlich keine Entwicklung in den vielen Entwicklungen, die man so kennt. Und bei Ferrari war jedes Modell praktisch neu.
    Reil: Ja.
    Tumminelli: Also, man konnte den Motor vorne, mittig, es gab verschiedene Konstruktionen und es gab verschiedene Zwecke und dazu gab es verschiedene Formen. Aber jedes Modell – und das ist typisch italienisch – wurde von vornherein neu konzipiert und auch gestaltet und so. Für einen Pininfarina ist zum Beispiel selbstverständlich, dass jedes Auto seinen eigenen besonderen Türgriff erhält. Fangen wir erst mal an von der Annahme, ein Türgriff würde die Linie stören. Denn Sie haben da einen Klotz Metall, das ihre Seiten "verunreinigt". Und jetzt versucht Pininfarina entweder, den Griff zu kaschieren, was ihm wunderbar gelingt.
    Reil: Also, dass er ihn vollkommen unsichtbar macht?
    Tumminelli: Ja. Zum Beispiel im verchromten Fensterrahmen steht so ein ganz kleiner Haken, den eigentlich fast nur der Besitzer sehen kann; und den ziehen Sie mit einem Finger, "Klick", und dann öffnet sich die Tür. Oder eben: Wenn der Griff da ist, ist er auch immer genau der Linie angepasst. Es ist nie derselbe Griff. Und so lässt man sich vielleicht von der Form täuschen, aber im Detail steckt wirklich der Gott des Automobildesigns.
    Wir haben noch länger mit Sergio Tumminelli gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Reil: Und es wurde auch zu einer Ikone in der Modewelt – Dior hat mit Ferrari Werbung gemacht, die Rolling Stones haben sich gerne mal abbilden lassen, wenn es auch private Aufnahmen sind. Aber viele Stars haben sich gerne mit einem Ferrari gezeigt.
    Tumminelli: Und das trägt auch übrigens zu der Einmaligkeit des Designs von Ferrari bei. Es geht nicht nur um den Designer und es geht nicht nur um den Hersteller; es geht natürlich auch um den Kunden. Und wenn Du jetzt die Gelegenheit hast, mit König Leopold von Belgien, mit Roberto Rossellini, dem Regisseur, mit Giovanni Agnelli, dem Besitzer von Fiat, Autos zu entwickeln – also, Du machst sie maßgeschneidert für sie -, dann erhältst Du eigentlich einen Geschmack, ein Feedback, das Du sonst so nicht hast in der Automobilbranche. Diese Einmaligkeit, diese Erfahrung wurde dann auf die Prêt-à-porter-Ferrari, nämlich auf die Modelle, die dann, ich würde mal sagen standardmäßig, produziert wurden.
    Das Automobil als rollende Skulptur
    Reil: Das Auto ist aber nun trotzdem ein Alltagsgegenstand. Jetzt wird Ferrari ausgestellt, in London gibt es eine große Ausstellung. Denken Sie, dass das gerechtfertigt ist, dieses Auto in ein Designmuseum zu stellen?
    Tumminelli: Also, das Automobil gehört unbedingt ins Designmuseum. Und es war nicht in der MoMA in New York, die zu Anfang der 50er-Jahre die erste Ausstellung über Automobildesign, "Age of the mobile" hieß das, von Philip Johnson kuratiert, einem Architekten. Der erklärte das Automobil zur rollenden Skulptur.
    Reil: Ist das dann vielleicht auch die Endstation für Ferrari? Denn das ist ja nun mal ein Luxusgegenstand, so auf Leistung, auf Geschwindigkeit getrimmt – hält das dann überhaupt noch den neuen Anforderungen, E-Autos und so weiter, stand?
    Tumminelli: Die großen Anforderungen des jetzigen Milleniums, die kennen wir. Aber wir kennen die Lösung noch nicht. Und eine Sache ist klar: Es gibt ein Herz für das Automobil, es gibt ein Herz für Bewegung, auch für Geschwindigkeit, obwohl man versucht, mit allen Mitteln, diese Geschwindigkeit zu verhindern. Aber Le Corbusier sagte: Die schnelle Stadt ist eine erfolgreiche Stadt, die schnelle Gesellschaft ist eine erfolgreiche Gesellschaft. Also, ich glaube, dass das Thema Geschwindigkeit uns erhalten bleibt. Und da könnte man mit Ferdinand Porsche sagen: Wenn es einmal das Automobil nicht mehr gibt, dann bleibt nur der Sportwagen uns erhalten.
    Der Ferrari bekommt zum 70. Jubiläum eine Ausstellung im Designmuseum London. Der Titel: "Under the Skin". Heute eröffnet sie.