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Ferrero-Waldner ruft zur Waffenruhe in Nahost auf

EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner hält detaillierte Festlegungen auf eine UNO-Schutztruppe im libanesisch-israelischen Grenzgebiet für verfrüht. Zunächst müssten sich beide Parteien "von diesem Abgrund, an dem sie sich befinden, zurückziehen", sagte Ferrero-Waldner.

Moderation: Silvia Engels | 18.07.2006
    Silvia Engels: Der Nahost-Konflikt dominierte gestern auch das Treffen der EU-Außenminister. In einer gemeinsamen Erklärung forderte die Runde die Hisbollah-Miliz zur Freilassung der beiden entführten israelischen Soldaten auf und rief Israel auch dazu auf, nicht in unverhältnismäßiger Weise zu agieren. Zudem signalisierte die EU Zustimmung zu einer UN-geführten Friedenstruppe im Südlibanon. Am Telefon ist nun die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner. Guten Morgen!

    Benita Ferrero-Waldner: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: UN-Generalsekretär Kofi Annan hat ja relativ konkrete Pläne: Offenbar soll die bereits im Südlibanon stationierte UN-Truppe von 2000 Mann als deutlicherer Puffer zwischen Israel und dem Libanon ausgebaut werden. Das könnte die EU mittragen?

    Ferrero-Waldner: Nun, es ist noch viel zu früh natürlich, hier eine Stellungnahme abzugeben. Denn es liegt am Sicherheitsrat und damit natürlich an Kofi Annan, Vorschläge zu machen, wie ein Plan entwickelt werden kann, dass die eigenen UN-Resolutionen, nämlich 1559 und 1680, auch wirklich umgesetzt werden, die tatsächlich volle Souveränität für den Libanon bringen sollen.

    Engels: Die Überlegung für diese UN-Friedenstruppe im Südlibanon wird aber von einigen in der Europäischen Union schon relativ konkret geplant. Der französische Präsident Jacques Chirac forderte bereits ein robustes Mandat für diese Truppe. Der italienische Ministerpräsident Romano Prodi nannte bereits Zahlen, forderte 8000 Mann. Kann sich die EU hier auf eine einheitliche Position noch verständigen?

    Ferrero-Waldner: Nun, es ist, noch einmal, es ist zu früh, jetzt bereits Einzelpositionen abzugeben. Wir haben gestern generell diese Frage angesprochen und selbstverständlich haben die Mitglieder ja eine Tradition, wenn es um UN-Truppen geht, grundsätzlich positiv zu reagieren. Aber es liegt dann wirklich an jedem einzelnen Mitgliedsstaat. Tatsächlich gibt es einige, die hier größeres Interesse und größere Bereitschaft zeigen als andere. Aber alles muss getan werden, da haben Sie vollkommen Recht, und das ist der Plan von Kofi Annan, damit wieder Ruhe und Frieden einkehrt im Libanon.

    Engels: Rechnen Sie denn damit, dass sich der Generalsekretär der UN, Kofi Annan, mit diesem Ziel durchsetzen kann? Denn Israel ist ja nicht sehr begeistert von der Idee, nennt es verfrüht.

    Ferrero-Waldner: Ich glaube, es ist eine Frage des Mandates, der Modalitäten, und selbstverständlich muss jetzt zuerst über eine Beendigung auch der Attacken verhandelt werden. Es muss die Möglichkeit sein, wie Sie vorhin im Vorspann gesagt haben, dass die israelischen Soldaten in Gaza und Libanon wirklich zurückkehren können, die entführt wurden, dass wirklich die Bombardierungen des israelischen Territoriums aufhören, dass aber auf der anderen Seite auch, Israel seine militärischen Operationen beendet im Libanon, und auch sich aus dem Gazastreifen wieder zurückzieht und die verhafteten palästinensischen Minister und Parlamentarier freilässt. Das ist jetzt der erste Schritt. Es ist gut, dass eine UN-Mission unter der Leitung von Herrn Nambiar im Nahen Osten ist, die mit den verschiedenen Parteien sprechen, denn wir müssen wirklich jetzt an alle Parteien noch einmal appellieren, dass sie sich von diesem Abgrund, an dem sie sich befinden, zurückziehen.

    Engels: Sie haben diese Mission erwähnt. Gibt es denn irgendwelche Signale, die die EU erhält, dass die entführten israelischen Soldaten, und an diesem Problem hängt ja sehr viel, in absehbarer Zeit freikommen könnten?

    Ferrero-Waldner: Es ist noch zu früh, das zu sagen, aber es sind jedenfalls Bemühungen im Gange.

    Engels: Parallel zu der Diskussion um eine internationale Schutzzone diskutiert man ja auch in Israel, ob man nicht selbst wieder eine Pufferzone mit der israelischen Armee im Libanon einrichtet. Würden das denn die Europäer akzeptieren können?

    Ferrero-Waldner: Ich sage noch einmal, es ist viel zu früh, sich bereits jetzt auf Details zu einigen. Das Wichtige ist, dass tatsächlich die Souveränität des Libanon in der Zukunft gewahrt werden kann und dass die Resolution des Sicherheitsrates auch wirklich umgesetzt werden kann. Libanon allein kann es derzeit sicher nicht.

    Engels: Vor einer guten Stunde sprachen wir mit Abdallah Frangi. Er ist ja der Repräsentant der El Fatah im Gazastreifen und er sprach an, ob nicht auch das Thema einer Schutztruppe für den Gazastreifen diskutiert werden müsste.

    Ferrero-Waldner: Nun, zumindest meines Wissens nach ist dieses Thema in der UNO derzeit nicht angesprochen worden. Ich werde aber heute Kofi Annan später am Tag in Brüssel sehen, wir werden sicher auch dieses Thema diskutieren.

    Engels: Das heißt, Sie könnten es sich durchaus vorstellen, dass das auch helfen könnte, diesen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis etwas zu entschärfen?

    Ferrero-Waldner: Das möchte ich derzeit noch nicht sagen, denn es ist natürlich eine Entscheidung der Mitgliedsstaaten. Aber ich glaube, das gesamte Thema des Nahen Ostens ist derzeit das brennende Thema. Und es ist natürlich viel miteinander verwoben, deshalb muss man sowohl Libanon ansprechen als auch die Frage in Gaza, und wie kann man dort den Menschen helfen, wie kann man Ruhe und Frieden wieder einkehren lassen?

    Engels: Schauen wir auf eine ganz praktische Seite: Noch sind mehrere tausend EU-Bürger im Libanon. Wie steht es um Evakuierungspläne?

    Ferrero-Waldner: Nun, die Evakuierungspläne sind so, dass vor allem Freiwillige die Möglichkeit haben auszureisen. Das wird vor allem von Deutschland und Frankreich organisiert und zwar hier vor allem von den Botschaften. Sie wissen, dass die deutsche Botschaft für die finnische Botschaft die Präsidentschaft führt. Und wir als EU-Delegation dort sind natürlich in diese Bemühungen eingeschaltet. Es gibt tatsächlich viele EU-Bürger im Süden, und die Bemühungen um Koordination laufen hier vor allem auch durch die finnische Präsidentschaft.

    Engels: Die EU hat bereits humanitäre Mittel für die Menschen im Gazastreifen noch einmal ermöglicht. Gibt es solche Vorstellungen auch für den Libanon? Denn viele Menschen dort werden ja auch ökonomisch in absehbarer Zeit Hilfe brauchen.

    Ferrero-Waldner: Ja, mein Kollege Louis Michel, der ja für humanitäre Fragen zuständig ist, hat bereits gestern angekündigt, dass er erste fünf Millionen Euro freimachen würde für humanitäre Aktionen. Und ich habe ebenfalls bereits Mittel, die eigentlich für andere Projekte vorgesehen wären, für Libanon zumindest einmal jetzt zur Seite gelegt, um zu sehen, was dann eben in dieser Krisensituation notwendig ist. Und zu Gaza möchte ich Ihnen sagen, dass wir weitere 20 Millionen an Lebensmittelhilfe freigegeben haben, die durch die UN-Organisation für Flüchtlinge und durch das Weltlebensmittelprogramm verteilt werden, einerseits. Und andererseits haben wir uns bemüht, Treibstoff freizumachen, damit die Spitäler funktionieren können, und jetzt vor allem auch die Wasserpumpstationen. Sie wissen, dass ja hier Pumpstationen getroffen wurden, dass ein Elektrizitätswerk in Gaza getroffen wurde und damit natürlich die Menschen nur einige Stunden am Tag Elektrizität haben. Dies ist aber absolut notwendig, damit die Krise nicht in eine öffentliche wirklich Katastrophe im Gesundheitsbereich ausartet.

    Engels: Benita Ferrero-Waldner, die EU-Außenkommissarin war das. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.

    Ferrero-Waldner: Sehr gerne, danke, Frau Engels.