Donnerstag, 18. April 2024

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Festival in Husum
Unbekannte Schätze der Klaviermusik und junge Entdecker

Hochvirtuose Romantik, unbekannte Klassik, zeitgenössische Musik oder leichtere Genres - seit über 30 Jahren können Pianisten beim Festival "Raritäten der Klaviermusik" Werke spielen, die jenseits des Mainstreams liegen. Inzwischen sind Nachwuchspianisten auch ein fester Bestandteil des Husumer Festivals.

Von Elisabeth Richter | 02.09.2019
    Blick auf das Schloss von Husum
    Veranstaltungsort des Festivals Raritäten der Klaviermusik im Schloss vor Husum (picture alliance / dpa / Klaus Nowottnick)
    Musik: Ullmann, Variation und Doppelfuge
    "Wenn man das liest, Ullmann 'Variation und Doppelfuge über ein Stück von Schönberg', dann denkt man, was ist n das jetzt. Das ist ein Overkill sozusagen, weil die Musik von Schönberg schon so kondensiert ist und so dicht, dass man denkt, was will der denn damit jetzt noch machen. Und für mich ist das ein richtige kleines Wunderwerk eigentlich."
    Der Pianist und Professor Markus Becker aus Hannover gastierte zum zweiten Mal bei den Husumer Raritäten der Klaviermusik, und er hatte mit Ullmanns Schönberg-Variationen sehr anspruchsvolle Musik in seinem Programm.
    Musik: Ullmann, Variation und Doppelfuge
    "Die erste Variation zum Beispiel, die lässt das Thema gleichzeitig rückwärts laufen und gespiegelt laufen. Das heißt, die Töne, die nach oben gingen im Original gehen jetzt nach unten. Das ist so verrückt, dass daraus wieder etwas entsteht, weil er so kunstvoll diese Stimmen miteinander in Kontakt bringt. Es gibt Charaktervariationen, ein Menuett, es gibt eine Gavotte, es gibt diese langsame etwas unheimliche, die sich dann auftürmt am Ende, letztlich ist die ganze Ausdruckswelt noch sehr romantisch."
    Musik: Ullmann, Variation und Doppelfuge
    Markus Becker machte Ullmanns Variationen zu einem Ereignis
    Schlicht grandios die Farben, die Dynamik, Klarheit und Anschlagsdelikatesse, dazu der tänzerische Schwung, mit denen Markus Becker Ullmanns Variationen zu einem Ereignis machte.
    "Bearbeitung" war das Motto von Beckers Recital. Ullmanns klanglich helle, filigrane, aber intellektuell komplexe "Variationen" standen zwischen opulenten Klavierversionen von originalen Orgelwerken von Bach und Julius Reubke. Letzterer war Schüler von Franz Liszt, er starb mit nur 24 Jahren. Seine Orgelsonate zeigt Anklänge an Liszts h-Moll-Klaviersonate, hat aber durchaus ein eigenes Profil.
    Musik: Reubke/Stradal, Der 94. Psalm, Orgelsonate
    "Die Perspektive von Klavierabenden muss bereichert werden, sie kann sich nicht nur im Bereich der Schubert-Impromptus, Bach-Partiten oder Beethoven-Sonaten erschöpfen, das wäre einfach zu wenig."
    Publikum ohne Scheuklappen
    So fasst der Festival-Leiter, der Berliner Pianist Peter Froundjian, sein Credo für die Raritäten der Klaviermusik zusammen. Erfreulicherweise so Froundjian, sei ein großer Teil des Publikums heute sehr offen.
    "Sie haben nicht mehr diese Scheuklappen, die man früher hatte. Das war fast wie ein Standesdünkel, ich interessiere mich nur für die Meisterwerke, ich scheide bestimmte Musik aus als minderwertig. So ist man nicht mehr drauf, auch die junge Generation nicht. Ich glaube, man kann sie eher fangen mit Werken, die einfach spannend sind. Das lässt man sich nicht mehr vorschreiben."
    Musik: Liszt, Fantasie und Fuge über Bach
    Festival-Leiter Peter Froundjian investiert in die Zukunft. In diesem Jahr hatten erstmals Studierende von Norddeutschen Hochschulen mittels eines Stipendiums die Gelegenheit gemeinsam ein Sonderkonzert zu gestalten. Dabei empfahlen sich zum Beispiel der 21-jährige Jorma Marggraf mit Szymanowski und der erst 19-jährige Elias Projahn mit Liszt.
    Musik: Liszt, Fantasie und Fuge über Bach
    Junge Entdecker beim Raritäten-Festival
    Seit 2016 bildet die Reihe "Young Explorers" (Junge Entdecker) einen festen Teil der Husumer Klavier-Raritäten. Hier können sich jüngere Pianisten in einem einstündigen Recital präsentieren. Der Charme und die profilierte Tongestaltung des Japaners Kotaro Fukuma werden besonders im Gedächtnis bleiben. Er spielte unter anderem Werke von Mieczyslaw Weinberg, Arrangements von französischen Chansons von Alexis Weissenberg und auch drei Klavierstücke des Philosophen Theodor W. Adorno.
    Musik: Theodor W. Adorno, Drei Klavierstücke
    "Ich habe zwei Intentionen, die erste zielt auf die Werke, ich möchte die Werke vorstellen, die zu kurz kommen", Festival-Gründer Peter Froundjian. "Die zweite Intention ist immer gewesen, auch Pianisten hier mal vorzustellen, die sonst nie in unseren Breiten auftreten."
    Zu ihnen gehört auch der 30-jährige Mark Viner aus England, der sich in Fachkreisen vor allem einen Namen als exzellenter Interpret der Werke des Chopin-Zeitgenossen Charles-Valentin Alkan gemacht hat. In seinem Husumer Recital spielte Viner auch Paraphrasen aus Melodien von Donizetti-Opern von Thalberg und Liszt, sowie eine Etüde der Komponistin Cecile Chaminade. Im Zentrum standen jedoch Werke des 1888 verstorbenen französischen Komponisten und Klaviervirtuosen Charles Valentin Alkan, hier sein Marche funebre op. 26.
    Musik: Alkan, Marche funebre
    Standing Ovations für Mark Viner
    Die Souveränität, der Geschmack und auch die Noblesse, mit denen Mark Viner Alkans vielschichtige Kompositionen in Husum darbot, waren schlicht faszinierend. Er sorgte durch farbliche Abstufung der Stimmen, balancierte Dynamik und feinste Anschlagsnuancierung im durchaus polyphonen Geflecht von Alkans Klaviersatz für eine strukturelle Klarheit und Intensität. Hinzu kommt Viners stupende Technik, mit der er etwa die extrem schwere "Symphonie für Klavier allein" so atemberaubend vorstellte, dass sich das fachkundige Publikum zu Standing Ovations hinreißen ließ. Etwas, das selten in Husum vorkommt.
    Musik: Alkan, Symphonie pour piano seul, op. 39
    Jeder einzelne Abend hat bei den Raritäten der Klaviermusik sein eigenes Profil. Die Pianisten können im Grunde jede Musik "mitbringen", die jenseits des Mainstreams liegt. Musikalisch und stilistisch gibt es keine Grenzen, hochvirtuose Romantik, unbekannte Klassik, Zeitgenössisches oder auch das leichtere Genre haben hier ihren Platz. So bot etwa der Kieler Pianist Christian G. Nagel in diesem Jahr Stücke von Karlheinz Stockhausen und Dieter Schnebel, oder der Italiener Roberto Piana stellte eigene Werke vor sowie südamerikanische und italienische Komponisten um 1900. Namen wie Alberto Nepomuceno oder Stefano Golinelli kannte vermutlich kaum jemand. Aber genau deshalb findet dieses verdienstvolle Festival seit über 30 Jahren so erfolgreich statt.
    Musik: Roberto Piana, "La herencia romántica" aus "Homenaje a Joaquin Turina"