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Festnahme von Asyl-Anwalt in Ankara
Außenpolitischer Skandal

Deutsche Politiker und Menschenrechtsorganisationen verurteilen die Verhaftung eines Asyl-Anwalts der deutschen Botschaft in Ankara scharf. Bundesaußenminister Maas fordert eine "schnelle Lösung" und will beim G20-Treffen in Japan gegenüber der Türkei auf die Freilassung des türkischen Anwalts drängen.

Von Frank Capellan | 22.11.2019
    Türkische Flagge und Waage
    Es gibt viel Kritik an der Verhaftung des Anwalts, aber auch am Vorgehen der deutschen Behörden. (AFP / Gurcan Ozturk)
    Sind es 200? Sind es deutlich mehr? Wie viele sensible Akten sind in die Hände der türkischen Behörden geraten? Die Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl" fordert Klarheit. Vom "größten anzunehmenden Unfall" spricht Geschäftsführer Günter Burkhardt, so etwas dürfe nicht passieren, deutsche Akten dürften nicht in an einen Verfolgerstaat geraten. Das unterstreicht gegenüber dem Deutschlandfunk auch Sevim Dagdelen. "Der deutsche Staat muss den Betroffenen Schutz gewähren", verlangt die Bundestagsabgeordnete der Linken.
    Sensible Daten in Händen eines "Verfolgerstaats"
    "Man weiß über diese Verhaftung, man weiß über die Gefährdung von hutzenden, wenn nicht hunderten Asylantragstellern in Deutschland, da sind 250 Akten, die in Besitz der türkischen Regierung jetzt gelangt sind, vertrauliche, hochsensible Daten, und die Bundeskanzlerin Merkel hat in Kroatien vor einigen Tagen noch mal Geldhilfen in Aussicht gestellt für den Präsidenten, das halte ich für die falsche Politik. Wir brauchen jetzt harte Maßnahmen!"
    Der so genannte Kooperationsanwalt hatte für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Angaben türkischer Asylbewerber zu ihren Verfolgungsgründen überprüft, der türkische Jurist arbeitete dafür eng mit der Deutschen Botschaft zusammen und wurde bereits vor zwei Monaten verhaftet. Am Rande des G20-Treffens in Japan kündigte Außenminister Heiko Maas an, gegenüber seinem türkischen Kollegen Cavusoglu auf eine schnelle Freilassung zu drängen
    "Das ist für uns in keinster Weise nachvollziehbar. Wir kümmern uns bereits jetzt um diesen Fall. Wir sind der Auffassung, dass es dafür auch eine schnelle Lösung geben muss, und das werde ich dem Kollegen natürlich auch hier sagen."
    Bundesaußenminister fordert schnelle Freilassung
    Nach Angaben des Auswärtigen Amtes befinden sich derzeit 60 deutsche Staatsangehörige in türkischer Haft, weitere 55 dürfen nicht ausreisen. Auch das will Sozialdemokrat Maas auf den Tisch bringen. Eine klare Sprache der Bundesregierung fordert Omid Nouripour. "Die Verhaftung des Anwalts verstößt gegen alle diplomatischen Gepflogenheiten", betont der grüne Außenpolitiker. Auch er sieht für die Asylsuchenden in Deutschland ein Risiko darin, dass die türkischen Behörden nun im Besitz von deren Aussagen sind. Auch Vertreter der Regierungsparteien sind besorgt – Christdemokrat Jürgen Hardt
    "Ich bin der Meinung, dass die Bundesregierung ganz klar sagen muss, dass das ein absolutes No-Go ist in unseren Beziehungen, und dass auch die Öffentlichkeit und die Wirtschaft wissen muss, dass Erdogan mit diesen Maßnahmen das Vertrauen in den türkischen Rechtsstaat weiter erschüttert!"
    Zu häufige Kooperation deutscher Behörden mit Kooperationsanwälten
    Der Rechtsanwalt Dündar Kelloglu vom Flüchtlingsrat Niedersachsen beklagt gegenüber dem Deutschlandfunk, dass die deutschen Behörden mittlerweile zu häufig mit sogenannten Kooperationsanwälten zusammen arbeiteten, um die Anträge von Asylsuchenden zu prüfen.
    "Vor dem sogenannten Militärputsch in der Türkei waren solche Recherchen eher eine Ausnahme. Man ist dazu übergegangen, das zum Regelfall zu machen, ich gehe davon aus, dass die türkischen Stellen inzwischen an Tausende von Daten gelangt sind, denn fast jeder zweite Fall wird inzwischen recherchiert."
    Keine unmittelbare Lebensgefahr
    Ob Asylanträge jener, deren Daten und Aussagen nun im Besitz der türkischen Behörden sind, abgelehnt werden können, dürfte weiter für Diskussionen sorgen. Hinter allem steckt die Sorge vor einer Bedrohung durch den türkischen Geheimdienst auch auf deutschem Boden. Innenminister Horst Seehofer allerdings lässt über seinen Sprecher erklären, "dass eine unmittelbare Lebensgefahr für die in Deutschland befindlichen Asylantragsteller existiert, das kann ich so nicht bestätigen." Das BAMF, das Bundesamt für Migration, soll nun im Einzelfall entscheiden, wer akut gefährdet sein könnte.