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Festspiele in Halle an der Saale
Händel - Genie und Plagiator?

Georg Friedrich Händel hat sich für einige seiner Werke bei anderen Komponisten bedient. Er selbst versuchte sich aber vor Abschreibern zu schützen. Die Musikwissenschaft weigerte sich lange, das Vorgehen des Barock-Komponisten als Plagiat zu bezeichnen. Doch in diesem Jahr standen die Händel-Festspiele unter dem Titel "Echt oder Fake? Original und Fälschung".

Von Claus Fischer | 12.06.2017
    Die Statue des Komponisten Georg Friedrich Händel in Halle an der Saale.
    Sehr oft bediente sich Händel beim älteren Kollegen Reinhard Keiser, in dessen Orchester er als blutjunger Mann in der Hamburger Gänsemarkt-Oper mitgespielt hat. (imago/Steffen Stellhorn)
    Musik: "Ombra mai fu" aus "Serse" von Givanni Battista Bononcini
    Kommt ihnen das irgendwie bekannt vor? Klingt das nicht wie Georg Friedrich Händels berühmtestes Largo, also die Arie "Ombra mai fu" aus der Oper Xerxes? Nun ja, diese Arie stammt vom italienischen Komponisten Giovanni Battistas Bononcini, tatsächlich aus einer Oper namens "Xerxes", die allerdings einige Jahre vor der Händels entstanden ist. Damit wäre Händel also als Plagiator überführt. Oder hat er sich doch von Bononcini nur zu seiner Arie anregen lassen?
    Echt oder Fake? Ein spannendes und hochaktuelles Thema für die diesjährigen Händelfestspiele in Halle, gewählt anscheinend mit Blick auf die weltpolitische Lage.
    "So bewusst nicht, denn die Planungen gehen ja ein paar Jahre vorneweg, da wurde von Fake News noch gar nicht gesprochen", sagt Intendant Clemens Birnbaum.
    "Aber es war natürlich ein aktuelles Thema, das war uns wiederum schon bewusst gewesen, wenn man sich ansieht auch die Problematiken, die Politik und Gesellschaft haben, das mit dem Urheberschutzrecht."
    "Es ist eben bei Händel sehr viel häufiger nachweisbar"
    Im Rahmen eines Kongresses während der Händelfestspiele beschäftigten sich auch Musikwissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien und anderen Nationen mit dem Thema "Original und Fälschung bei Händel."
    "Es ist eben bei Händel sehr viel häufiger nachweisbar, dass er aus anderen Komponisten entlehnt", betont der Leiter der Konferenz und Vorsitzender der halleschen Händelgesellschaft Wolfgang Hirschmann.
    "Sie finden teilweise – das ist allerdings nicht sehr häufig, aber doch nachweisbar – ganze Chorsätze, also ausgedehnte Chorsätze, die er aus anderen Kompositionen von der kompositorischen Substanz her übernimmt und dann mit einem neuen Text oder mit einem anderen Text versieht."
    Sehr oft bediente sich Händel beim älteren Kollegen Reinhard Keiser, in dessen Orchester er als blutjunger Mann in der Hamburger Gänsemarkt-Oper mitgespielt hat:
    "Vielleicht nicht, weil er ihn für so einen unglaublich großen Komponisten hielt, sondern vielleicht auch, weil in London Werke von Keiser kaum bekannt waren. Aber entlehnt genauso aus Alessandro Scarlatti, er entlehnt aus Komponisten, die wir heute gar nicht mehr kennen: italienische Komponisten, Urio mit Namen, Erba mit Namen."
    Lange weigerte sich die etablierte Musikwissenschaft, diese Praxis als Plagiat zu bezeichnen, sich prägte dafür den Begriff "Borrowing", zu Deutsch "Ausborgen".
    "Man hat immer darauf hingewiesen: Naja, Händel, dieses große Genie hätte doch die Werke hergenommen und hätte etwas ganz Anderes und Großartiges gemacht, er hätte sie doch veredelt und auf eine andere Qualitätsstufe geführt. Das gilt für viele Werke, aber das gilt auch nicht für alle."
    Kritik bereits von Zeitgenossen
    Einige Zeitgenossen Händels kritisierten diese Praxis, allen voran der Hamburger Komponistenkollege Johann Mattheson, der in einem Brief offen das Wort "Plagiat" benutzt.
    "Also diese Vorstellung des Plagiats, die gab‘s auch schon im 18. Jahrhundert. Es gibt auch Abbildungen, wo ein Plagiator abgebildet wird, ein Plagiarius, der Stockschläge für sein Verhalten bekommt, also die Vorstellung des geistigen Eigentums, die gab‘s durchaus im 18. Jahrhundert schon."
    Das Phänomen des "Borrowing" bei Händel - es ist längst noch nicht umfassend erforscht, betont Wolfgang Hirschmann als Fazit der Konferenz.
    "Das ist so vielgestaltig bei ihm – sie haben wirklich Schwierigkeiten, das zu systematisieren!"
    Die Frage stellt sich, ob das von allen Vertretern der Musikwissenschaft überhaupt gewünscht wird, die nicht wollen, dass ihr Heros womöglich vom Sockel gestoßen wird. Während Händel sich gerne von anderen Komponisten hat "inspirieren lassen", fand er es überhaupt nicht nett, wenn andere bei ihm abschrieben. So erwarb er sich beim englischen König das Privileg, seine Werke ausschließlich selbst herausbringen und drucken zu lassen.
    Im Rahmen einer Sonderausstellung, die derzeit in Händels Geburtshaus zu sehen ist, zeigt Kuratorin Christiane Barth den wertvollen Erstdruck von Händels Oper "Giulio Cesare".
    "Da ist das Privileg abgedruckt, dass sich Händel vom König hat ausstellen lassen."
    Aber hat das Händel wirklich etwas gebracht? Sprich: Wirkte eine solche Abschreckung, in einer Zeit, in der es ein modernes Urheberrecht ja noch gar nicht gab?
    "Ja, Papier ist geduldig."
    Oratorium "Jephta" wurde aufgeführt
    Wie in jedem Jahr bildeten Aufführungen Händelscher Musikdramen die Eckpfeiler im Programm der Händelfestspiele. Das Opernhaus Halle brachte diesmal allerdings mit "Jephta" keine Oper Händels, sondern ein Oratorium nach einer Geschichte aus dem Buch der Richter im Alten Testaments auf die Bühne. Der Feldherr Jephta gelobt nach einem Sieg, das erste Lebewesen, das er sieht, seinem Gott zu opfern. Wie es der böse Zufall will, ist das seine Tochter. Regisseurin Tatjana Gürbaca ließ dieses archaische Drama auf einer halb gekippten verspiegelten Scheibe spielen, auf der das Volk Israel, eng gedrängt, wie eine Ansammlung moderner Großstadtmenschen agierte und das Geschehen mit teils plakativen Äußerungen kommentierte. So zog man bei der Hochzeit von Jephtas Tochter auch durch den Zuschauerraum und warf Konfetti. Insgesamt verbreitete die Inszenierung jedoch vor allem Langeweile. Und auch in musikalischer Hinsicht wurde das nicht kompensiert, das Sängerensemble der Oper Halle qualitativ bei Weitem nicht so, wie man es von früheren Jahren gewohnt war. Lediglich das Händelfestspielorchester unter Andreas Spering spielte lebendig und inspiriert.
    Keine Wünsche offen ließ dagegen die Aufführung von Händels Oper "Giustino" im Goethe-Theater Bad Lauchstädt, eine Produktion des Festivals. Die Geschichte vom armen Hirtenjungen, der es dank Mut und glücklicher Umstände bis auf den römischen Kaiserthron schafft, wurde mittels Marionetten auf die Bühne gebracht. Die traditionsreiche Puppenspielercompagnie Carlo Colla e Figli aus Mailand sorgte für staunende Gesichter beim Publikum. Nicht nur Kulissen und Kostüme waren handwerklich vollendet, sondern auch die barocke Gestik, die die Puppenspieler mit den Marionetten in Vollendung ausführten. Eine weitere Facette des Themas "Original und Fälschung". Die Solisten und die Lauttencompagney Berlin unter Leitung von Wolfgang Katschner sangen und spielten nahezu CD-reif.
    Händelfestspielintendant Clemens Birnbaum zieht insgesamt eine positive Bilanz der Saison 2017 – und die Zahlen geben ihm Recht.
    "84 Prozent Auslastung der eigenen Veranstaltungen, wir haben über 50 000 Besucher gezählt, das heißt, wir haben das gleiche Niveau der vergangenen Jahre verstetigt, aufrechterhalten. Schöner kann‘s nicht sein!"
    Durch das spannende Thema "Echt oder Fake" hatte dieser Jahrgang in jedem Fall ein besonderes Profil. Man traut sich etwas in Halle, das über die sprichwörtliche Pflege des Erbes weit hinausgeht. Auch das Motto der Händelfestspiele 2018 verspricht Konstruktives, es lautet nämlich "Fremde Welten".