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Fette Mäuse
Dick durch Kaiserschnitt?

Vor Jahren beobachteten Wissenschaftler, dass Kaiserschnitt-Kinder andere Bakterien auf und in ihrem Körper beherbergen, als vaginal geborene. Das Phänomen untersuchten sie jetzt an Mäusen: Dabei legen per Kaiserschnitt geborene Tiere deutlich mehr Gewicht zu als solche, die über den Geburtskanal auf die Welt kommen.

Von Christine Westerhaus | 12.10.2017
    Zwei Labormäuse in einem Glaskasten.
    Dicke Maus, dünne Maus: Bakterien der Muttertiere scheinen bei Geburt eine entscheidende Rolle für das künftige Gewicht der Tiere zu spielen. (imago / Bernd Friedel)
    Ein Kaiserschnitt kann lebensrettend sein, wenn es unter der Geburt zu Komplikationen kommt. Doch in vielen Ländern können Frauen selbst entscheiden, ob sie ihr Kind auf natürlichem Weg bekommen wollen, oder nicht. Auch in Deutschland. Hierzulande kommt mittlerweile fast jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt. Und das ist möglicherweise ein Grund dafür, dass immer mehr Menschen sogenannte Zivilisationskrankheiten entwickeln, meint Maria Dominguez-Bello.
    "Wir sehen hier einen epidemiologischen Zusammenhang: Wer per Kaiserschnitt auf die Welt kommt, hat ein erhöhtes Risiko an Fettleibigkeit, Glutenunverträglichkeit, Diabetes, Allergien oder Asthma zu leiden. Also das, was wir als moderne Plagen bezeichnen. Wir wollten diesen Zusammenhang näher untersuchen und haben daher Mäuse per Kaiserschnitt auf die Welt geholt. Und tatsächlich beobachteten wir, dass diese Tiere mehr an Gewicht zulegten."
    Die Rolle der körpereigenen Bakterien
    Die Forscher von der New York University untersuchten die Tiere über einen Zeitraum von 15 Wochen nach der Geburt. In dieser Zeit hatten die per Kaiserschnitt geholten Mäuse im Mittel 33 Prozent mehr an Gewicht zugelegt als Tiere, die vaginal geboren worden waren. Die weiblichen Mäuse brachten sogar bis zu 70 Prozent mehr auf die Waage.
    "Jetzt können wir uns fragen: Warum ist das so? Beim Menschen finden wir ähnliche Zusammenhänge und wir denken deshalb, dass es etwas mit den körpereigenen Bakterien zu tun hat. Denn wenn ein Baby per Kaiserschnitt auf die Welt geholt wird, bekommt es unter der Geburt keinen Kontakt zu den Bakterien der Mutter."
    "Vorgänge unter der Geburt genau aufeinander abgestimmt"
    Normalerweise wird ein Baby während der Passage durch den Geburtskanal in einen vaginalen Schleim gehüllt, der vor allem Milchsäurebakterien enthält. Bei einem Kaiserschnitt passiert das nicht. Schon vor ein paar Jahren haben Maria Dominguez-Bello und ihr Team nachgewiesen, dass schnittentbundene Babys andere Bakterien auf und in ihrem Körper beherbergen, als vaginal entbundene. Auch bei den nun untersuchten Mäusen fanden die Forscher andere Bakterien, wenn die Tiere per Kaiserschnitt zur Welt kamen. Das könnte erklären, warum diese mehr Gewicht zulegen, so Dominguez-Bello.
    "Alle Säugetiere – mit Ausnahme der eierlegenden Kloakentiere – bringen ihre Nachkommen über den Geburtskanal zur Welt. Und dieser Kanal ist voll mit Bakterien, die eine sehr spezifische Gemeinschaft bilden. Vor allem Milchsäurebakterien, die sehr wichtig sind, um die Muttermilch verdauen zu können. Das ist kein Zufall, sondern eine Anpassung – die Vorgänge unter der Geburt sind genau aufeinander abgestimmt, um das Baby auf die wichtigste Zeit im Leben vorzubereiten. Auf die Phase, in der sich das Gehirn stark entwickelt und das Baby viele Fähigkeiten erlernt."
    Mäuse und die Bakterien der Muttertiere
    Ob tatsächlich Bakterien für die Gewichtszunahme bei Kaiserschnitt-entbundenen Mäusen verantwortlich sind, muss erst noch bewiesen werden. Das wollen Maria Dominguez-Bello und ihre Kollegen im nächsten Schritt untersuchen.
    "Wir werden nun per Kaiserschnitt entbundene Mäuse direkt nach der Geburt mit den Bakterien der Muttertiere behandeln. Bleiben die Tiere dann schlank, würde das zeigen, dass die Mikroben eine Rolle spielen."
    Vorteile und Nachteile beim Eingriff in die Natur
    Schon jetzt wird Müttern in manchen Krankenhäusern das so genannte "Seeding" angeboten. Dabei werden Neugeborene direkt nach dem Kaiserschnitt mit Bakterien aus der Vaginalschleimhaut der Mutter behandelt. Ob diese Bakteriendusche etwas bringt, ist bisher zwar unklar. Doch Maria Dominguez-Bello hält es für sinnvoll, die fehlenden Pionierbakterien zu ersetzen.
    "Jeden Monat werden neue Studien veröffentlicht, die zeigen, dass die frühe Besiedlung eines Organismus mit bestimmten Bakterien für die Entwicklung wichtig ist. Kaiserschnitte retten Menschenleben, und deswegen brauchen wir sie. Doch sie sind ein Eingriff in die Natur, und deswegen sollten wir versuchen, Wege zu finden, wie wir Babys trotz Kaiserschnitt sehr früh mit den mütterlichen Bakterien in Kontakt bringen können."
    Noch besser wäre es nach Ansicht vieler Mediziner, nur im Notfall in die Natur einzugreifen. Deshalb werden die in Deutschland geltenden Leitlinien für die Entbindung derzeit überarbeitet. Ab 2018 sollen Kaiserschnitte möglichst nur noch durchgeführt werden, wenn sie wirklich medizinisch notwendig sind.