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Feucht, kalt und vergammelt

Jean Noel Guerini will für die französischen Sozialisten den Bürgermeistersessel in Marseille erobern. Sein Kontrahent in der Stichwahl am Sonntag ist der konservative Amtsinhaber Jean Claude Gaudin. Soziale Themen beherrschen den Wahlkampf, besonders wichtig für die Menschen: die Bekämpfung der Wohnungsnot. Burkhard Birke berichtet.

14.03.2008
    Er schäme sich beim Leben seiner verstorbenen Mutter hier zu wohnen, die Häuser seien vergammelt.

    "Das ist schlimmer als die Renaude, schlimmer als ein Zigeunerlager."

    Christophe Pagenot wohnt in les Cèdres im 13. Bezirk der Hafenstadt Marseille. Er ist hier groß geworden in den Schluchten vergammelter Plattenbauten. 15 Jahre sei es her, seit das Polizeikommissariat zu gemacht habe, sagt Christophe Pagenot und deutet auf eine zugemauerte Tür.

    "Im Viertel wurden Drogen verkauft, und die haben nie etwas dagegen unternommen."

    Den Supermarkt der Drogen nennt man auch heute noch diese Gegend, vor allem La Busserine, ein Nachbarviertel, ebenfalls mit weißen Plattenbautürmen, die dank des intensiven Lichtes der mediterranen Sonne auch im Winter nicht ganz jene Trostlosigkeit der Sozialbauten im Norden Frankreichs verbreiten. Ihr Zustand freilich ist keineswegs besser:

    "Die Wohnungen sind vergammelt, es regnet rein, die Wände sind feucht, es stinkt, wir zahlen viel Geld, aber es wird nicht gut geheizt, die Wohnungen sind im Grunde nicht bewohnbar."

    Manuela ist Mutter von vier Kindern, halb Paella, halb Couscous, halb spanischer halb maghrebinischer Herkunft, wie sie lachend sagt. Wie Manuela sind nahezu alle Bewohner der sozialen Brennpunktviertel in Marseille Kinder der Immigration. Die Gettos sind das Problem. In Marseille gibt es keine Banlieue: In Frankreichs zweiter Stadt liegen die Gettos innerhalb der Stadtgrenzen, und dennoch fühlen sich die Menschen ausgeschlossen, vernachlässigt. Die Aufzüge in unzähligen Hochhäusern mit über 20 Stockwerken funktionieren nicht, viele Wohnungen sind in bedauernswertem Zustand, vor allem aber herrscht akuter Mangel. Offiziell fehlen 30.000 Wohnungen.

    Auf gut 10.000 rechnet Lokalfernseh-Reporter Sylvain Poncet jedoch diese Zahl runter, da viele Menschen aus lauter Verzweifelung mehrfach Anträge stellen.

    "Und selbst wenn die Leute Wohneigentum besitzen, es gibt zahlreiche kleine Wohnungseigentümer, dann fehlt ihnen oft das Geld zum Unterhalt. Es gibt viel Armut hier."

    Vier Fünftel aller Haushalte in Marseille verfügen über weniger als 2500 Euro im Monat: Bei Mietpreisen von 12, 15, 20 Euro oder mehr pro Quadratmeter auf dem freien Markt wird Wohnen unerschwinglich. Sozialwohnungen sind absolute Mangelware. Dabei erfüllt Marseille nahezu die offiziell vorgegebene Quote von 20 Prozent Anteil.

    Sozialwohnungen würden aber, wie der Sozialist Jean Noel Guerini in der Fernsehdebatte gegen den amtierenden konservativen Bürgermeister Gaudin betonte, nur in bestimmten Bezirken und nicht in den nobleren Vierteln gebaut.

    "Der amtierende Bürgermeister hat 2007 nur 500 neue Sozialwohnungen gebaut. Wer stellt denn die Grundstücke zur Verfügung? Geben Sie mir die Grundstücke gratis, dann werde ich auch in den anderen Vierteln Sozialwohnungen bauen."

    Die Grundstücke würden für die Stadt zum besten Preis verkauft, kontert Bürgermeister Gaudin, und

    "während wir 7900 Sozialwohnungen gebaut haben, hat die Behörde für sozialen Wohnungsbau, deren Präsident Guerini ist, 525 gebaut. Wir stellen schon die Grundstücke für die Schulen zur Verfügung, sollen wir jetzt auch noch der Wohnungsbehörde Grundstücke schenken?"

    Unbestritten ist: Der Sozialist Guerini, der jetzt 5000 neue Wohnungen pro Jahr verspricht, hatte als Präsident des Regionalrates ebenso Verantwortung wie Bürgermeister Gaudin. Vor allem aber nutzt der Streit um Zahlen den Betroffenen wenig.

    Sie wisse nicht wohin, meint etwa die 22-jährige Alexandra, alleinerziehende Mutter eines 2-Jährigen.

    "Deshalb habe ich eine Wohnung einfach besetzt!"

    Wird sie wählen gehen?

    "Ja, aber danach wird sich doch nicht viel ändern."