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Feuer und Flamme für die Gemeinschaft

Psychologie.- Ob wilder Tanz oder ruhige Meditation: Jede Gesellschaft der Welt hat ihre Rituale. Als eine wichtige Funktion von Ritualen gilt die Stärkung des Zusammenhalts. Forscher sind in das spanische Dorf San Pedro Manrique gefahren und haben den jährlichen Feuerlauf begleitet und beobachtet.

Von Volkart Wildermuth | 03.05.2011
    Die Nacht zur Sommersonnenwende ist die wichtigste Nacht in San Pedro Manrique. In der Woche zuvor gibt es Tänze und Prozessionen, werden die Heiligenstatuen durch die Straßen der 600-Seelen-Gemeinde getragen. Letztes Jahr am 23. Juni war es wieder so weit. Zusammen mit 2000 Gästen und Touristen haben sich die Einwohner in einer Steinarena versammelt, in der Mitte leuchtete rot ein sieben Meter langer Streifen Glut, die Überreste eines Feuers aus zwei Tonnen Eichenholz.

    "Ein Horn ruft jeden Feuerläufer. Mit einem Freund oder Verwandten auf dem Rücken überquert er die Glut mit fünf bis sieben großen Stampfschritten. Es ist ein sehr emotionales Erlebnis, er wird von seinen Freuenden begrüßt und umarmt. Dann startet der nächste Feuerläufer."

    Woher das Ritual kommt, weiß auch Dr. Ivana Konvalinka von der Universität Aarhus nicht. Es hat wohl heidnische Wurzeln und wurde dann von der Kirche vereinnahmt. Feuerläufe zur Sonnenwende gab es früher in ganz Europa, San Pedro Manrique ist eines der letzten Dörfer, das diese Tradition fortführt. Es ist das zentrale Ereignis im Leben der Gemeinschaft.

    Vergangenes Jahr hat Ivana Konvalinka die Einwohner von San Pedro Manrique davon überzeugt, auch Wissenschaftler an ihrem Ritual teilhaben zu lassen. Zwölf der Feuerläufer, neun ihrer Verwandten und 17 zufällige Gäste waren bereit, einen Funksensor zu tragen, der ihren Herzschlag an den Computer der Forscher sendete. Am Vormittag lagen die Kurven weit auseinander. Mal klopfte das eine Herz schneller mal das andere, je nachdem, was die Person gerade erlebte, ob sie sich anstrengen musste, oder einen lang vergessenen Freund traf oder ein Nickerchen machte. In der halben Stunde des Feuerlaufs sah das ganz anders aus. Hier fieberten die Verwandten mit den Feuerläufern mit.

    "Man kann die Verwandten erkennen, einfach mit einem Blick auf ihren Herzschlag."

    Obwohl die Verwandten ganz still sitzen, während die Feuerläufer angespannt sind und sich anstrengen schlagen ihre Herzen in einem ähnlichen Takt. Bei anderen Zuschauern ist der Puls zwar auch etwas beschleunigt, aber es gibt keinen solchen gemeinsamen Rhythmus der Erregung. Das konnte Ivana Konvalinka mit einer ganzen Reihe statistischer Verfahren aus den Herzschlagkurven ableiten.

    "Dieser Effekt findet sich nicht nur beim Feuerlauf, sondern während des ganzen Rituals. Anders als am Vormittag und anders als bei den Touristen gibt es diese Übereinstimmungen. Das Ritual hat einen großen Einfluss. Der Herzschlag eines Feuerläufer ist nicht nur mit dem seiner Verwandten synchronisiert, sondern auch mit dem anderer Dorfmitglieder, die ihrerseits mit anderen Feuerkäfern verwandt sind. Das belegt, dass das Ritual den Zusammenhalt der gesamten Gruppe fördert."

    Das ganze Dorf wird während des Feuerlaufs zu einer emotionalen Einheit. Schon früher konnten Forscher belegen, dass sich etwa Stammestänzer beim gemeinsamen Stampfen als starke Gemeinschaft erleben. Beim Feuerlauf von San Pedro Manrique ist es aber zum ersten Mal gelungen, zu zeigen, dass der Bindeeffekt eines Rituals unabhängig von solchen rhythmischen Bewegungen ist und dass er sich vor allem nicht nur auf die eigentlichen Teilnehmer bezieht, sondern auf die ganze Gemeinschaft. Das Auf und Ab des Herzschlags wird von allen geteilt, die sich zugehörig fühlen, meint Ivana Konvalinka.

    "Diese synchronisierte Erregung könnte entscheidend sein für den Zusammenhalt einer Gruppe. Wir wollen nun prüfen, ob dieser Zusammenhalt die Menschen zum Ritual zusammenbringt, oder ob er erst im Ritual entsteht."

    Dieses Jahr zur Sommersonnenwende wird Ivana Konvalinka wieder nach San Pedro Manrique fahren und das Geheimnis des Feuerlaufs mit den objektiven Mitteln der Wissenschaft zu fassen versuchen.