Donnerstag, 25. April 2024

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Fidel Castros 90. Geburtstag
"Er symbolisiert, dass die Kleinen gegen die Großen gewinnen können"

Der ehemalige kubanische Staatspräsident Fidel Castro gehört für Wolfgang Gehrcke zu den faszinierendsten Persönlichkeiten, die noch leben. "Er ist ein Kerl wie ein Baum", sagte der Linken-Politiker im DLF. Politisch habe Castro dazu beigetragen, dass Kuba heute nicht mehr "das Bordell der USA" sei.

Wolfgang Gehrcke im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 13.08.2016
    Der Linken-Politiker Wolfgang Gehrcke am 12.08.2014 in Berlin bei einer Pressekonferenz des Edition East Verlags zur Situation der Ukraine.
    Der Linken-Politiker Wolfgang Gehrcke (imago stock&people)
    Er habe Fidel Castro als nachdenklichen, freundlichen, ironischen Menschen kennengelernt, sagte Gehrcke im Deutschlandfunk. Zudem verfüge er über sehr viel Witz und Durchsetzungsvermögen. Fidel Castro sei damit biblisch alt geworden: Er habe alle US-Präsidenten seiner Lebenszeit überlebt - auch physisch, denn auf ihn seien viele Anschläge verübt worden. Dank Castro sei Kuba heute nicht mehr die Absteige für Mafiabosse aus den USA. Zudem habe er für soziale Gerechtigkeit gesorgt. In seinem hohen Alter spielten nun die ökologische Sichtweise und das Überleben der Menschheit eine größere Rolle für den kubanischen Revolutionär.
    "Es werden nicht mehr alle gleich sein"
    Doch wer Fidel Castro nur glorifiziert, wird ihm aus Sicht des Linken-Politikers nicht gerecht: "Wer so viel leistet, ist natürlich auch eitel." Zudem habe Castro erst spät eine jüngere Generation in Kuba eingesetzt. Und die kubanische Führung - auch unter Castros Bruder Raúl - habe es bisher nicht zustande gebracht, dass in Lateinamerika eine starke Kombination linker Politiker zusammenkommt. Zwar betreibe Kuba nun eine dringend notwendige Politik, die Mittelschichten bildet. Das bringt aus Gehrckes Sicht aber soziale Spaltungen mit sich. "Es werden nicht mehr alle gleich sein."
    Der Linken-Politiker hält noch ein weiteres Problem in Kuba für möglich: Die USA habe durch ihren Boykott und ihren Druck jahrzehntelang die kubanische Gesellschaft ungewollt zusammengehalten. "Keiner wollte zurück zu den USA und so leben wie früher." Wenn das aufgrund der Annäherung der beiden Länder nun verschwinden sollte, "wird Kuba sich beweisen müssen", so Gehrcke.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Jürgen Zurheide: Dieser Mann ist besonders, auch besonders alt geworden – Fidel Castro hat heute Geburtstag. Ein Mann, ein Mythos, den wir jetzt zu hinterfragen versuchen, den wir ein wenig zu ergründen versuchen mit jemandem, der ihn kennt.
    - Ich begrüße am Telefon Wolfgang Gehrke, für die Linke im Bundestag und jemand, der Fidel Castro begegnet ist. Erst mal guten Morgen, Herr Gehrke!
    Wolfgang Gehrke: Schönen guten Morgen! Ja, Glückwunsch von mir aus, dem Maximo Leader!
    Zurheide: Ob er das hören wird? Er hört vieles, aber das, fürchte ich, nicht. Wer ist – ich habe es gesagt, Sie kennen ihn, Sie sind – wir haben im Vorgespräch, das will ich gerne verraten, gerade ein bisschen geplaudert –, Sie haben ihn viermal getroffen. Wer ist für Sie Fidel Castro?
    Gehrke: Ist eigentlich für mich eine der faszinierendsten Persönlichkeiten, die Gott sei Dank noch leben. Früher, als ich ihn das erste Mal getroffen habe, ein Kerl wie ein Baum. Nachdenklich, freundlich, ironisch, sehr gewitzt und sehr viel Durchsetzungsvermögen. Und er hat alle US-Präsidenten überlebt, auch physisch, weil auf ihn sind ja sehr viele Anschläge gemacht worden. Er ist ein nachdenklicher Mensch, auch jetzt im Alter. Und das finde ich toll, dass in Kuba seine Bilder nicht retuschiert werden. Aus einem alten Mann kann man keinen jungen Mann machen. Er ist alt, biblisch alt. Das ist sein Eindruck auf mich immer gewesen.
    Zurheide: Das sind die positiven Aspekte, wollen wir mal ruhig dabei bleiben. Was hat er au Ihrer Sicht geleistet?
    Gehrke: Na ja, das ist diese alte biblische Geschichte von David und Goliath. Dieses kleine David-Land, wenn man es mal so bezeichnen will, Kuba, die Insel vor den USA. Das war das Bordell der USA, die Absteige der Mafia-Bosse. Dass dieses Land sich davon befreit hat und sehr viel geleistet hat, sehr viel soziale Gerechtigkeit, nicht nur in Kuba selber, sondern Ärzte in die ganze Welt geschickt hat, das, finde ich, ist eine große, imponierende Aufgabe, die Fidel mit geschafft hat. Und das rechne ich ihm hoch an. Dass es immer Licht und Schatten gibt, ist selbstverständlich. Wer Fidel nur glorifiziert, wird ihm nicht gerecht werden.
    Zurheide: Jetzt haben Sie das Stichwort schon selbst geliefert, das hätte ich Sie jetzt auch gefragt, wo hat es denn Fehler gegeben. Ich kenne ihn nicht, ich will da auch mich nicht hervorheben, aber was man liest, heißt es, na ja, sein Charisma ist sicherlich das, was Sie ja gerade beschrieben haben, eine der hervorstechenden Eigenschaften, aber auch seine größte Schwäche, vielleicht Eitelkeit. Ich glaube, Garcia hat es so ähnlich mal formuliert.
    Gehrke: Wer so viel leistet und so angesehen wird, der ist natürlich auch eitel. Das wird keiner abstreiten können. Wenn Sie mal im Bundestag herumfragen würden – obwohl die nicht so viel Anlass dazu hätten –, wer da nicht eitel ist, finden Sie kaum einen.
    Zurheide: Sie gehören auch dazu.
    Gehrke: Ja, klar. Da muss man sich auch bekennen dazu. Ich habe es gern gesehen, was spät eingesetzt hat, dass in Kuba eine jüngere Generation in die entsprechende Verantwortung gebracht wird. Das hat Fidel mit seinem Bruder eingeleitet, Raoul Castro, sein Bruder, der jetzige Staatspräsident, hat ja sehr sinnvoll gesagt, keiner über 60 soll mehr in großen Funktionen sein. Mal gucken, wie das eingelöst wird.
    Zurheide: Na ja, das gilt dann für ihn aber auch. Und ich meine, die haben ein bisschen spät damit angefangen, beide, oder?
    Gehrke: Linke wird sich in Lateinamerika neu sortieren müssen
    Gehrke: Vielleicht ist das eines der Probleme. Man hat nicht zustande gebracht bisher, dass in Lateinamerika wirklich eine starke Kombination linker Politiker zusammengekommen ist. Also Castro und Lula in Brasilien, das waren schon die herausragenden Figuren, mit Chavez zusammen. Das wird sich neu sortieren müssen. Und Kuba betreibt jetzt eine Politik, die einen Mittelstand herausbildet, Mittelschichten. Das ist dringend notwendig für das Land. Das bringt aber immer die Gefahr einer sozialen Spreizung mit sich. Kuba war bisher das Land, wo ja jeder gesagt hat, die versuchen zumindest, alle gleich zu sein. Das wird nicht mehr der Fall sein.
    Zurheide: Ich glaube, wir können dies Gespräch nicht führen, ohne darauf hinzuweisen: Das hat natürlich auch einen hohen Preis. Es gibt nicht Meinungsfreiheit, es gibt viele Dinge nicht, die für uns eigentlich selbstverständlich sind. Und ich glaube und hoffe, auch für die Linke in Deutschland.
    Gehrke: Wenn Sie die Debatten in Kuba verfolgen, es ist eine ganz andere Art und Weise. Die Leute lassen sich nicht das Maul verbieten. Ich kann allen nur empfehlen einen kubanischen Schriftsteller, Leonardo Padura. Er schreibt nicht nur Kriminalromane, fantastische, da lernen Sie das Leben in Kuba kennen. Solche Autoren zu haben, die über die Geschichte schreiben –
    Zurheide: Haben wir da ein falsches Bild von Kuba und sagen, das wir immer nur darauf herumhaken, Meinungsfreiheit ist nicht da?
    Gehrke: Ein einseitiges zumindest. Wir nehmen die Leute sehr stark wahr, die, auch finanziert durch die USA, einen oppositionellen Kurs steuern oder versuchen zu steuern. Das ist für uns das Bild von Kuba. Ich habe durch meine Besuche ein völlig anderes Bild. Ich habe das Alltagsbild von Leuten, die sich mühen, über die Runden zu kommen. Ich habe das Bild, dass die soziale Spreizung begonnen hat, dass nicht jeder genauso lebt, wie er leben sollte. Ich glaube, das ist eine ganz andere Art und Weise, eine sehr urwüchsige Art und Weise der Demokratie in Kuba sich entwickelt hat. Und das ist mehr als die Oppositionellengruppen. Kuba wird vielleicht ein Problem haben: Die USA hat ungewollt durch ihren Boykott, durch ihren Druck die Gesellschaft völlig zusammengehalten. Keiner wollte zurück zu den USA, wollte so leben wie früher. Und die Gefahr war ja da, direkt vor der Nase. Wenn das jetzt alles verschwinden sollte, wenn es so ist, wird Kuba sich aus der eigenen Kraft beweisen müssen. Und das wird eine ganz neue Herausforderung sein. Kuba hat den Tod der Sowjetunion überlebt, das war wirtschaftlich katastrophal. Aber Kuba wird diese neue Situation auch bewältigen müssen.
    Zurheide: Aber auch Sie haben gerade gesagt, diese Öffnung und auch die Verjüngung ist dringend notwendig. Das ist die große Aufgabe jetzt, die weniger jetzt Fidel wahrscheinlich übernimmt, der ja von der Seite noch mal den einen oder anderen Kommentar gibt, als Raoul.
    Gehrke: Fidel Castro hat hohe Autorität in Kuba
    Gehrke: Ja, natürlich, aber Fidel ist das Symbol dafür. Fidel war immer das Symbol für eine andere Art und Weise. Fidel war das Symbol, dass die Kleinen gegen die Großen gewinnen können. Das ist geblieben. Was er schreibt, hat eine hohe Autorität in Kuba. Er hat ja sogenannte Reflexionen, die er hin und wieder veröffentlicht. Und die ich auch mit Vergnügen lese, weil es eine andere Sichtweise ist. Vielleicht ist auch die Weisheit des Alters, wo plötzlich ökologische Fragen viel stärker eine Rolle spielen, das Überleben der Menschheit eine Bedeutung hat. Dass der Papst sich mit seinem kyrillischen Amtskollegen ausgerechnet in Kuba trifft, das sind doch alles Symbole, die da abgehen. Und die muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Und ich fand es ganz toll, dass die Rolling Stones ihr großes Konzert in Havanna gegeben haben –
    Zurheide: Ohne Eintritt! Die Erzkapitalisten ohne Eintritt.
    Gehrke: Genau. Ich habe den kubanischen Botschafter hier gefragt, in Deutschland, waren Sie denn dabei? Hat er gesagt, leider nicht. Ich weiß nicht, ob er die Stones so mit verehrt hat, wie ich es habe. Das ist ja die gleiche Generation. Castro kam, die Beatles kamen, die Stones kamen. Das war ein anderes Bild der Welt.
    Zurheide: Es ist interessant, Ihnen zuzuhören, aber wir laufen auf die Nachrichten zu. Wolfgang Gehrke, herzlichen Dank für diese persönlichen Impressionen, eine persönliche Wertung zu Fidel Castro. Ich bedanke mich heute Morgen für das Gespräch, Danke schön und auf Wiederhören.
    Gehrke: Danke sehr an Sie und Ihre Hörer!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.