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FIFA-Ethikkommission
Ein Gremium unter Druck

Bislang agierte die Ethikkommission der FIFA immer zum Vorteil des Präsidenten Joseph Blatter. Nun hat sie ihn und den UEFA-Präsidenten Michel Platini für 90 Tage suspendiert - doch das geschah wohl nicht auf eigene Initiative.

Von Jessica Sturmberg | 08.10.2015
    Hans-Joachim Eckert, der Vorsitzende der rechtsprechenden Kammer der FIFA-Ethikkommission, steht vor der FIFA-Zentrale.
    Hans-Joachim Eckert, der Vorsitzende der rechtsprechenden Kammer der FIFA-Ethikkommission (picture alliance / dpa / Walter Bieri)
    Die Ethik-Kommission der FIFA in ihrer jetzigen Ausprägung gibt es seit 2012. Die generelle Entscheidung für eine solche Kommission wurde 2009 mit der Verabschiedung des Ethikcodes getroffen. Dem ersten Gremium sprach man allerdings die Glaubwürdigkeit ab. Kein wirkliches Interesse an Aufklärung bescheinigte etwa dessen Mitglied, Günter Hirsch, einstiger Präsident des Bundesgerichtshofes, der Kommission. Schon allein strukturell. Entscheidungen konnten sehr leicht vom damaligen Vorsitzenden, einem engen Blatter-Vertrauten, beeinflusst werden.
    Im Zuge der WM-Vergaben 2018 an Russland und 2022 an Katar und des Verdachts der Korruption war der Imageschaden enorm. Deshalb bekam der Schweizer Strafrechtsprofessor und Anti-Korruptions-Experte Mark Pieth den Auftrag, eine Strukturreform zu erarbeiten. Diese sah bei der Ethikkommission ein Zweikammer-System vor: die Untersuchungskammer, die verdächtigen Vorkommnissen auf den Grund gehen und dann der zweiten Kammer zur richterlichen Beurteilung vorlegen sollte.
    Fragwürdige Entscheidungen
    Die Untersuchungskammer wurde zunächst von Michael Garcia, einem ehemaligen New Yorker Staatsanwalt und Mafiajäger geleitet, die rechtsprechende Kammer vom deutschen Richter Hans-Joachim Eckert, Vorsitzender einer Wirtschaftsstrafkammer in München. Dieser erntete ebenso wie Garcia Vorschusslorbeeren mit seinem Ruf als erfolgreicher Korruptionsjäger, der gar eine Zeit lang mit dem ermordeten Anti-Mafia-Kämpfer Giovannia Falcone zusammengearbeitet hatte.
    Bei der Präsentation legten beide viel Wert darauf, dass sie unabhängig agieren. Beide kommen nicht aus dem Sport.
    In der Folge kam es immer wieder zu teilweise fragwürdigen Entscheidungen, die stets zum Vorteil von Präsident Joseph Blatter waren und dafür sorgten, dass alle seine Gegner aus dem Weg geräumt wurden. Beispielsweise als eine der ersten Amtshandlungen die erneute lebenslange Sperre von Blatters früherem Gegenkandidaten, dem katarischen Ex-Funktionär Mohamed Bin Hammam. Obwohl zuvor der Internationale Sportgerichtshof CAS eine Sperre der vorangegangenen Ethikkommission aufgehoben hatte.
    Enttäuscht von Eckert
    Gerade im Fall von Hans-Joachim Eckert war die Erwartung an seine Urteile deutlich höher: "Er hat wahrscheinlich einen Riesenrespekt vor den vier Buchstaben FIFA. Herr Eckert kam einfach aus einer ganz anderen Ecke. Er kannte den Sport nicht, er kennt die FIFA nicht, der kennt die Mechanismen nicht. Er kennt vor allem die Geschichte der FIFA nicht. Wenn man das alles nicht kennt, dann begibt man sich auf ein glattes Eis. Er ist gewissermaßen in eine Mausefalle geraten und er ist voll reingefallen", lautete das wenig schmeichelhafte Urteil von Guido Tognoni, ehemaliger Mediendirektor der FIFA und inzwischen lautstarker FIFA-Kritiker.
    Enttäuscht von Eckert war auch die Informantin Bonita Mersiades, die im australischen Bewerbungskomitee gearbeitet und der Ethikkommission viele wertvolle Informationen geliefert hatte für die Aufarbeitung des Korruptionsverdachts bei den WM-Vergaben. Sie zeigte wenig Verständnis dafür, dass Eckert ihre Glaubwürdigkeit infrage gestellt und zugleich Aussagen von ihr verwertet hatte: "Nein, überhaupt nicht, auf der einen Seite sagt Eckert, dass einige meiner Informationen und meine Beweise nicht glaubwürdig sind. Dabei weiß jeder, der die Fakten kennt, dass das Gegenteil der Fall ist. Und auf der anderen Seite beruht der größte Teil dessen, was er in seinem Bericht gegen Australien auf genau den Tatsachen, über die ich mit Chefermittler Michael Garcia gesprochen habe."
    Garcia nahm entrüstet seinen Hut
    Eckert und Garcia gerieten über genau diesen Bericht auch in Streit. Garcia beharrte auf einer Veröffentlichung seiner Untersuchungen, Eckert hielt wesentliche Teile jedoch zurück, schützte die Identität der beiden wichtigsten Informantinnen, unter anderem Bonita Mersiades, nicht und stellte Blatter ein herausragendes Zeugnis in der Aufarbeitung aus. Daraufhin nahm Garcia entrüstet seinen Hut. Auf ihn folgte der Schweizer Jurist Cornet Borbely.
    Auch unter Borbely kam es zu weiteren äußerst zweifelhaften Entscheidungen: etwa die siebenjährige Suspendierung des früheren chilenischen Verbandspräsidenten Harold Mayne-Nicholls, dem vorgeworfen wurde, dass er sich bei der katarischen Aspire Sport-Akademie nach einer Trainingsmöglichkeit für das Jugendteam seines Sohnes erkundigt hatte sowie nach einem Tennistrainer-Job für einen Bekannten. Geringfügige Vergehen im Vergleich zu den Fehlleistungen vieler anderer Funktionäre, die verschont wurden.
    Formal unabhängig
    Formal ist die FIFA-Ethikkommission unabhängig, in ihrem Handeln wirkte sie nie so, und Guido Tognoni erklärte das noch vor Kurzem so: "Es ist ein indirekter Einfluss vorhanden. Ich meine, die Leute haben offensichtlich Angst, die ganz heißen Eisen in der FIFA anzufassen. Sie gehen auf kleinere Funktionäre los, Harold Mayne, arbeiten sich dann jahrelang ab. Es gibt noch andere Beispiele. Aber die wirklichen heißen Eisen, die zum Teil noch im Exekutivkomitee sind, die lassen sie bisher in Ruhe und das ist für mich völlig unverständlich."
    Dass die Ethikkommission nun den Chef Joseph Blatter höchstpersönlich sowie seinen potenziellen Nachfolger, UEFA-Chef Michel Platini für 90 Tage suspendiert hat, führen Beobachter nicht auf eigene Initiative und eigenständige Ermittlungen zurück, sondern vielmehr darauf, dass sie von den Entwicklungen, insbesondere den amerikanischen Strafverfolgern Getriebene waren.