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Film "12 Years a Slave"
Schonungsloses Gesellschaftspanorama

Regisseur Steve McQueen beschreibt mit seinem neuen Film "12 Years a Slave" die Sklaverei in den USA aus ungewöhnlicher Perspektive: Er erzählt die Geschichte eines freien Schwarzen, der zur Sklavenarbeit in die Südstaaten verschleppt wird. Der Film beruht auf einer wahren Geschichte.

Von Josef Schnelle | 11.01.2014
    Regisseur Steve McQueen und die Schauspieler Lupita Nyong'o und Chiwetel Ejiofor (v.l.) beim 57. BFI London Film Festival am 18. Oktober 2013
    Regisseur Steve McQueen und die Schauspieler Lupita Nyong'o und Chiwetel Ejiofor (v.l.) (dpa/picture alliance/Facundo Arrizabalaga)
    "Also ihr seid alle neu hier, Nigger. Ihr gehört jetzt zu einer Schnitterkolonne. Es ist ganz einfach: Ihr nehmt eure Messer, geht an den Strauch ran und lasst die Messer singen! Ihr nehmt die Zuckerrohrhalme, hackt den oberen Teil ab, legt die Stecklinge frei und werft sie auf einen Haufen - für die Pflanzerkolonne. So, die Sträucher springen euch nicht an und beißen euch. Keine Angst davor. Also an die Arbeit Burschen, an die Arbeit!"
    Solomon Northup wird auf sein neues Leben als Sklave auf einer Baumwollplantage in den Südstaaten der USA eingeschworen. Rund zehn Jahre vor dem amerikanischen Bürgerkrieg, der schließlich zur Abschaffung der Sklaverei führte, gelten für Amerikaner afrikanischer Herkunft noch die menschenverachtenden Regeln der Sklavenhalter auf den Plantagen. Ein Sklave gilt gar nicht als Mensch. Er kann ohne Risiko misshandelt, gequält und getötet werden. Geringste oder auch nur behauptete Delikte werden mit Auspeitschung bestraft. Besonders die widerspenstige Patsey bekommt das zu spüren. Sie ist zwar die beste Baumwollpflückerin und ihr Herr Edwin Epps ist auch sexuell an ihr interessiert, doch das schließt auch scheußliche Quälereien wie die folgende Auspeitschung nicht aus.
    - "Sie Teufel! Früher oder später, irgendwann im Zuge der ewigen Gerechtigkeit, müssen Sie für diese Sünde gradestehen!"
    - "Sünde? Es ist keine Sünde! Mit Eigentum kann man machen, was man will."
    Als Einziger die Geschichte niedergeschrieben
    Solomon Northup gehört eigentlich nicht in diese Welt von Patsey und Epps. Gestern noch war er ein begnadeter Violinist in Saratoga Springs, New York. In Freiheit und mit Frau und Kind und glücklicher Zukunft. Aus der Zeit gegen Ende der Sklaverei sind viele Fälle bekannt, bei denen freie Schwarze aus den Nordstaaten in den Süden verschleppt worden sind. Die Freiheit kennend fanden sie sich plötzlich in der absoluten Unfreiheit unter der Willkürherrschaft der Sklavenhalter wieder. Nur der historische Solomon Northup hat dieses Schicksal 1853 niedergeschrieben, nachdem er wieder alle Wahrscheinlichkeit freigekommen war. Ein paar windige Gauner hatten ihn nach Washington gelockt und ihn von dort aus nach New Orleans verschleppt und verkauft.
    Northup hat diese Verbrecher später tatsächlich mit mäßigem Erfolg verklagt. Sein Buch wurde ein Bestseller seiner Zeit, allerdings weit unter dem Erfolg von Harriet Beecher Stowes gleichzeitig erschienenem Rührstück "Onkel Toms Hütte". Northups Tatsachenbericht war härter und drastischer und enthielt keine Versöhnungsbotschaft. Die Story kündet von einer Gesellschaft am Scheideweg. Unumkehrbar war der Weg in die Ächtung der Sklaverei noch nicht. Die perfiden Verführer umgarnen Solomon anfangs wie Fuchs und Kater den Holzkasper Pinocchio im Märchen.
    Schonungsloses Gesellschaftspanorama
    Der schwarze britische Filmregisseur Steve McQueen hat die Story von "12 Years a Slave" für einen beeindruckenden Film wiederbelebt. Über die Sklaverei in Rom seien mehr Filme gedreht worden als über die in Amerika, sagt er und nutzt die Perspektive des einst freien nun versklavten Solomon für einen ungewöhnlichen Blick auf Amerikas Erbsünde. Wie schon in seinen ersten beiden Filmen "Hunger" über den Hungerstreik des IRA-Aktivisten Bobby Sands und in seinem Porträt eines Sexsüchtigen in "Shame" geht McQueen radikal zu Werke. Die Folterszenen sind auch für die Zuschauer Folter, die Ausweglosigkeit dieses Schicksals ist quälend und das Gesellschaftspanorama, das McQueen entwirft, ist schonungslos.
    In den für ihn typischen langen Plansequenzen lässt er die Zuschauer nur selten aus der Schraubzwinge seiner intensiven Inszenierung ohne jeden Schnitt. Steve McQueen ist derjenige Filmregisseur in Amerika, der seine Akteure ihre Physis bis zur Unerträglichkeit auszureizen lässt. In dieser Körperkunst spürt man die sadistische Lust des Sklaventreibers Epps ganz unmittelbar ebenso wie das Leid und die Qualen der Geschundenen. Widerstand ist zwecklos und so muss sich Northup den Rat älterer Sklaven anhören, die das totalitäre System längst durchschaut haben. Auch wenn Amerika nun einen schwarzen Präsidenten hat. Es ist noch viel Schuld abzutragen.
    "Wenn du überleben willst, dann tu und rede so wenig wie nur möglich! Sag keinem die Wahrheit über dich, und dass du lesen und schreiben kannst, außer du willst ein toter Nigger sein."