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Film "All is lost"
Ein Mann, sein Schiff und das Meer

J.C. Chandors neuer Film "All is lost" verzichtet auf Dialoge oder Monologe. Er lebt allein von Bildern und Robert Redford. Der Hollywoodstar kämpft als Schiffsbrüchiger auf offener See um sein Leben.

Von Josef Schnelle | 04.01.2014
    Ein Mann, sein Schiff und das Meer. Ein nicht näher charakterisierter Alleinsegler wird unsanft geweckt. Ein umhertreibender Container hat sich mit einer Ecke durch die Bordwand seiner 12-Meter-Jacht gebohrt. Wasser dringt ein. Dem Mann gelingt es unter Aufbietung aller Kräfte den Container voller bunter Turnschuhe los zu werden und er kann sogar das Loch notdürftig abdichten. Doch der Einbruch des Wassers hat weitere unangenehme Folgen. Er zerstört das elektronische GPS-Orientierungsgerät und auch das Funkgerät gibt bald den Geist auf. SOS-Rufe verhallen ungehört.
    "Hier ist die Virginia Jean mit einem SOS-Ruf. Over? Hier ist die Virginia Jean mit einem SOS-Ruf. Over? Hier ist die Virginia Jean mit einem SOS-Ruf. Over? Hier ist die Virginia Jean mit einem SOS-Ruf. Over? Hier ..."
    Der Mann ist nun also auf sich allein gestellt und mit handwerklichem Geschick, eisernem Willen und seemännischen Tugenden kämpft er ums Überleben in der endlosen Wasserwüste des Indischen Ozeans, offenbar weit abseits der üblichen Handelsrouten. Der Mann wird gespielt von einem der populärsten Hollywoodschauspieler, der als Sonnyboy und strahlender Held mit einem unnachahmlichen Lächeln vor allem für das legendäre Kino der 70er-Jahre steht. Robert Redford ist inzwischen 77 Jahre alt, hat mit dem Sundance-Filmfestival und dem Redford-Institut als Zentrum des Nachwuchses der Independents, des unabhängigen amerikanischen Films, sein Vermächtnis längst hinterlassen. Inzwischen hat er sich auch als Regisseur politisch aufmüpfiger Filme wie "Von Löwen und Lämmern" und einem Film über Abraham Lincolns Ermordung einen Namen gemacht.
    Für das kleine Kammerspiel auf dem großen Meer von J.C. Chandor ließ er sich als Darsteller reaktivieren. Man kann sich Robert Redford tatsächlich als Besitzer einer solchen Jacht und Alleinsegler vorstellen. Der Schauspieler und seine Figur werden eins. Wenn sich Redford mit einer Hebewinde an die Spitze des Mastes heranwuchtet, dann in der Ferne die schwarzen Wolken des heraufziehenden Sturms erblickt, dann ist in seinem skeptischen Blick auf das Schicksal der ganze Mythos des Schauspielers anwesend und er weiß es. J.C. Chandor wurde bekannt durch seinen Film "Margin Call", der 2011 eine spannende Innenansicht der Bankenkrise lieferte und dabei konsequent im Glaskäfig eines Bankenturms blieb. Auch diesmal hat er sich auf ein visuell radikales Filmkonzept eingelassen.
    Der Film spielt ausschließlich auf der kleinen Nussschale, die mit Wind und Wetter zu kämpfen hat. Es gibt naturgemäß keine Dialoge. Und auch auf innere Monologe, die zum Beispiel den Film "Der alte Mann und das Meer" von John Sturges prägten, verzichtet "All is Lost". Der einsame Hochseefischer – gespielt von Spencer Tracy – im Kinoklassiker von 1958 hat wenigstens eine spannende Beschäftigung. Er will einen riesigen Schwertfisch fangen und ein ganzes Rudel von Haien vertreiben. Die schauen auch bei Redford einmal kurz vorbei, aber ansonsten bleibt ihm allein die ständige Beschäftigung mit seinem Boot, um das Publikum zu fesseln.
    J.C. Chandor muss schon sehr überzeugt gewesen sein, dass dieser Schauspieler einen ganzen Film tragen kann ganz ohne Gegenspieler oder Liebesgeschichte. Fast wirkt der Film wie ein Dokumentarfilm, so authentisch und detailverliebt ist er inszeniert. Mit immer neuen Kameraperspektiven weiß Chandor dieser begrenzten Situation auch Schönheit und Weite abzutrotzen. Je länger der Film dauert, umso mehr lernt man, die Gesten und die Mimik Redfords zu studieren, dessen Figur den Mut niemals sinken lässt und der jedem Problem bedacht und kenntnisreich zu Leibe rückt, bis er die Jacht dann doch aufgeben muss, um auf einer Rettungsinsel einem ungewissen Schicksal entgegen zu treiben. "A Man can be destroyed but not defeated." Dieser Satz aus Ernest Hemingways Novelle "Der alte Mann und das Meer" beschreibt den Maschismo-Touch auch dieses Films sehr gut. Nur ein ganzer Kerl wie Robert Redford ist allein auf dem Meer nicht verloren. Und so ist es eine willkommene Abwechslung, wenn er ein einziges Mal, wirklich nur dieses eine Mal im Film einigermaßen verzweifelt nach Hilfe ruft.
    "Hilfe, Hilfe."