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Film der Woche: "A Quiet Place"
Schweigen als wichtigster Spezialeffekt

Eine unbekannte Spezies hat sich auf der Erde niedergelassen und jedes Geräusch könnte die Kreaturen aufschrecken. Im Film "A Quiet Place" versucht eine Familie, dieses Schreckensszenario zu überleben – dabei kann nur absolute Stille helfen.

Von Jörg Albrecht | 10.04.2018
    Szenenbild aus "A Quiet Place": Mutter Evelyn (Emily Blunt) und Tochter Regan (Millicent Simmonds) schützen sich durch Stille
    In "A Quiet Place" ist Stille der einzige Schutz der Menschen vor den Aliens (Paramount / Jonny Cournoyer)
    Stille scheinen die meisten Menschen heutzutage nur schwer auszuhalten. Eine ständige Geräuschkulisse ist ein Merkmal unserer Zeit. Nur wer vollkommen taub ist, wird den "schweigenden Raum" auf Dauer nicht als Bedrohung empfinden. In "A Quiet Place" gibt es ein Mädchen, das von Geburt an gehörlos ist. Regan ist die Tochter von Evelyn und Lee Abbott. Die Familie, die auf einer Farm irgendwo in den USA lebt, wird komplettiert durch zwei kleine Söhne.
    In den ersten Minuten im Film - wir erfahren nur, dass es sich um Tag 89 nach der Invasion handelt - durchstreifen die Abbots eine Geisterstadt. Während sie in den verlassenen Geschäften die Dinge des täglichen Bedarfs einsammeln, versuchen sie, möglichst keine Geräusche zu machen und kommunizieren ausschließlich über Gebärdensprache.
    Schweigen ist Gold
    Der Auftakt von "A Quiet Place" ist, obwohl es - eher selten für einen Horrorfilm - taghell ist, bereits derart spannend, dass man in Erwartung des Schockmoments unruhig im Kinosessel herumrutscht. Von Anfang an treibt Regisseur John Krasinski, der auch die Rolle des Familienvaters übernommen hat, ein perfides Spiel mit der Erwartungshaltung des Zuschauers. Die Hinführung zum ersten Schreckensbild zeugt denn auch von größter Könnerschaft. Krasinski hat seinen Hitchcock gelernt.
    In einem der Läden, die von den Abbotts durchstöbert worden sind, hat der jüngste Sohn einen Spielzeug-Raumgleiter gefunden. Auf dem Weg nach Hause wird er - unbemerkt von den anderen - die Batterien wieder einsetzen, die seine große Schwester vorher entfernt hat. Das Geräusch wird eine undefinierbare Kreatur aufscheuchen. Sie wird sich mit rasender Geschwindigkeit wie ein Raubtier auf den Jungen stürzen und diesen vor den Augen der anderen Familienmitglieder töten.
    Die Parameter für die nächsten 80 Minuten sind gesetzt: Schweigen ist in "A Quiet Place" wahrhaftig Gold wert. Denn es garantiert das Überleben in einem postapokalyptischen Amerika, das im Jahr 2020 von einer aggressiven außerirdischen Spezies heimgesucht worden ist.
    "Eine gewaltige Invasion." / "In vielen Ländern." / "Die Energieversorgung ist zusammengebrochen."
    Woher sie kommen, wie viele es sind und ob sie außer der Jagd auf alles, was Geräusche verursacht, noch andere Ziele verfolgen, bleibt unklar.
    Die Stille als wichtigster Spezialeffekt
    Von jenem Schreckenstag 89 wird der Film einen Sprung machen zu Tag 472. Die Abbotts haben offensichtlich gelernt, mit der permanenten Bedrohung zu leben. Und nicht nur das: Sie haben beschlossen, ein weiteres Kind zu bekommen. Evelyn ist hochschwanger. In einer feindlichen Welt, in der sich die staatlichen Organe aufgelöst haben, betont der Film immer wieder den Wert der Familie als kleinste Zelle der Gesellschaft.
    "Wer sind wir, wenn wir sie nicht beschützen können? Wir müssen sie beschützen."
    Es ist einer von nur wenigen Sätzen, die in "A Quiet Place" geflüstert werden. Wie fragil das Verhältnis von Eltern und Kindern trotz des überlebenswichtigen Zusammenhalts ist, schneidet der Film ebenfalls an - wenngleich im Vordergrund die Gefahrenmomente stehen.
    Das Kino wird hier zum Erlebnisraum, zur anderthalbstündigen Geisterbahnfahrt, zum Ort für das kollektive Ausleben von Ur-Ängsten, in dem die Stille bis zum Schluss der wichtigste Spezialeffekt bleibt. Nun ist der Kinosaal natürlich auch in seinen stillsten Momenten kein "Camera silens", kein komplett schallisolierter Raum. Aber höchstwahrscheinlich hört man die sprichwörtliche Stecknadel fallen. Denn bei "A Quiet Place" wird sich ein jeder genau überlegen, ob er mit dem Popcorn raschelt, dem Smartphone spielt oder dem Sitznachbarn quatscht. Könnte schließlich passieren, dass er den Abend dann nicht überleben wird.