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Film der Woche: „Der Schacht“
Für die da unten nur die Reste

Der düstere Dystopie-Thriller „Der Schacht“ erzählt von Gefangenen, die in vertikal gestapelten Zellen inhaftiert sind und um ihre Nahrung kämpfen. Regisseur Galder Gaztelu-Urrutias Spielfilmdebüt zu gucken, ist wie eine Nachtmeerfahrt - tief hinein in die dunkelste Vorstellung über uns selbst.

Von Hartwig Tegeler | 24.03.2020
Szene aus dem Thriller "Der Schacht": Ein Mädchen sitzt auf einem Tisch voller Essenreste
Szene aus dem Thriller "Der Schacht" (Netflix)
Das System dieses Gefängnisses ist so brutal wie einfach:
"Es gibt drei Arten von Leuten. Die von oben, die von unten, die, die fallen."
Zusammen mit dem alten, erfahrenen Mann findet sich der 'Frischling' - in Anführungsstrichen - Goreng wieder auf Etage …
"Ebene 48."
Kammerspiel in Zellen
Ein Gefängnis, auf jeder eine Zelle mit zwei Personen, in der Mitte ein rechteckiges Loch. Den ganzen Film über bleiben wir in dem Gebäude, in den Zellen. Durch den titelgebenden Schacht fährt eine Plattform mit Essen von oben nach unten. Die startet vollgepackt mit erlesenen Speisen. Zwei Minuten haben die Gefangenen Zeit zu essen.
"Was werden wir denn essen?"
"Völlig klar. Das, was die oben übrig lassen."
"Und wer sind die da oben?"
"Die von Ebene 47. Völlig klar."
Je tiefer man eingepfercht ist, umso weniger Essen ist noch übrig. Der alte Mann ist optimistisch.
"Zum Glück sind wir auf Ebene 48. Eine gute Position."
Weil hier noch einigermaßen was ankommt – an Speisen. Wer übrigens auch nur einen Apfel bunkert, wird zusammen mit seinem Zellengenossen mit dem Tode bestraft. Durch extreme Kälte oder extreme Hitze auf der Etage. Weiter oben oder viel, viel weiter unten.
"Und wie viel Essen kommt da an?"
"Gar nichts."
Kafka lässt grüßen
Der spanische Filmemacher Galder Gaztelu-Urrutia vermittelt uns in seinem Spielfilmdebüt über diesen neuen Gefangenen Goreng Stück für Stück das Wissen über dieses merkwürdige Gefängnis der Zukunft. Das erzeugt eine gemeine Spannung, zumal bald auch klar wird, dass der Film "Der Schacht" weniger von einem normalen Gefängnis erzählt denn von einem Ort, an dem viele freiwillig sind, um nach ihrer Entlassung einen sozialen Bonus zu bekommen. Wenn die Hauptfigur Goreng überlebt und diese makabre soziale Bewährungsprobe besteht, ist Goreng beispielsweise ein Hochschulabschluss sicher.
"Der Schacht" ist ein Kammerspiel, in dem Filmemacher Gaztelu-Urrutia den Begriff extrem dehnt, denn die Kammer ist gigantisch! Und die Schere zwischen denen, die zu essen bekommen und denen, für die die Plattform nur noch leere Teller, Schüsseln und Gläser bereit hält, ist riesig: 200 Ebenen gibt es, oder auch 250, oder gar 333. Man weiß es nicht genau. Vieles Anderes bleibt im Film ebenso ein Geheimnis. Wo das Gefängnis eigentlich ist oder wer die Verwaltung ist, die dies alles organisiert: unklar. Oder wie nach einem Monat der Austausch der Insassen zwischen den Ebenen stattfindet. Sichtbar ist diese Macht, die alles lenkt, nicht. Kafka lässt grüßen.
"Die da unten stehen unter uns, Goreng."
"Aber nächsten Monat könnten sie oben sein."
"Ja, dann pissen die auf uns."
Pessimistischer Blick auf unsere Welt
Natürlich ist die gesellschaftliche Metapher, die "Der Schacht" entwirft – die da unten bekommen nur die Reste von denen da oben –, nicht sehr subtil. Trotzdem entwickelt der Film eine intensive Spannung. Auch wenn wir sehen, wie sich Goreng vom gutmütigen, unwissenden Greenhorn langsam, aber sicher zum Teil Systems wird, das brutal wie gnadenlos auf der Prämisse beruht, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf wird, wenn die zivilisatorische Hülle abgezogen ist und der Mensch auf seine Grundfunktionen reduziert wird.
"Fressen oder gefressen werden."
"Der Schacht" erinnert stark an "Snowpiercer", in dem die Reste der Menschheit in einer neuen Eiszeit zusammengepfercht in einem Zug im Kreis um die Erde fahren. Bong Joon-hos dystopischer Thriller von 2013 verzichtet genau wie Galder Gaztelu-Urrutia auf Erklärungen, warum die Welt so geworden ist, wie wir sie hier sehen. Es geht in diesen Filmen darum, wie die Menschen in einer gnadenlosen Klassengesellschaft reagieren. Der erzählerische Schlenker am Ende von "Der Schacht" präsentiert zwar eine etwas arg metaphysisch wabernde Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Ganzen inklusive der nach Humanität. Aber unterm Strich ist der Blick, den "Der Schacht" auf unsere Welt und auf uns wirft, ein zutiefst pessimistischer. Galder Gaztelu-Urrutias "Der Schacht" zu gucken, ist wie eine Nachtmeerfahrt, tief hinein in die dunkelste Vorstellung über uns selbst.