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Film der Woche: "Gut gegen Nordwind"
Tipp, tipp… verliebt!

Ist es sinnvoll, ein Buch, das ausschließlich aus E-Mails besteht, die sich zwei Menschen gegenseitig senden, zu verfilmen? Regisseurin Vanessa Jopp hat den Versuch gewagt und einen Film über Liebe in Zeiten des Internets gedreht.

Von Jörg Albrecht | 10.09.2019
Alexander Fehling, Daniel Glattauer, Nora Tschirner und Vanessa Jopp posieren bei der Filmpremiere
Alexander Fehling, Daniel Glattauer, Nora Tschirner und Vanessa Jopp bei der Premiere des Films "Gut gegen Nordwind" (www.imago-images.de)
Die Finger fliegen nur so über die Tasten des Computers. Da ist so mancher Satz schneller geschrieben und abgeschickt als in den Zeiten, in denen noch jemand vor einem leeren Blatt Papier saß, um einen Brief zu schreiben. Die rasante Geschwindigkeit aber, in der zwei Menschen über das Internet miteinander kommunizieren, hat etwas Unmittelbares, Spontanes.
"Liebste Emmi, habe ich dir schon mal gesagt, dass ich deine Stimme im Kopf habe?
Lieber Leo, wenn wir uns schreiben, fühle ich mich wie ein Schokokuss in der Mikrowelle.
Ein Schokokuss in der Mikrowelle ist so ziemlich das Hässlichste, was ich je gesehen habe.
Das hätte ich ihm nicht erzählen sollen."
Spontaneität und Schlagfertigkeit
Das ständige Hin und Her bei einem Chat kann auch schon einmal zu der einen oder anderen unbedachten Zeile führen. Das ist durchaus reizvoll, denn schnell heruntergeschriebene Gedanken spiegeln Spontaneität und Schlagfertigkeit. Auf der anderen Seite können sie aber auch den Tiefgang eines mit Bedacht formulierten Briefes vermissen lassen.
An Eloquenz und Charisma mangelt es den beiden Protagonisten in "Gut gegen Nordwind" jedenfalls nicht. Dass der männliche Part als Linguist auch noch beruflich mit Worten zu tun hat und der weibliche an Homepages bastelt, ist allerdings ein etwas platter Kunstgriff, mit dem hier den Charakteren ihre Lizenz zum Chatten erteilt wird.
"Herzlichen Dank für Ihre überaus originelle Massenmail. Sie sind schon der Dritte, der bei mir abbestellen will. Ich habe woerter@leike.com. Sie wollen zu woerter@like.com."
Verliebt durch einen Tippfehler
Ein Tippfehler steht am Beginn der Internet-Beziehung zwischen Leo und Emma. Im Gegensatz zu den sonstigen Textnachrichten, in denen Leser ihr Zeitschriften-Abo fälschlicherweise bei ihm kündigen wollen, erweist sich Emma als besonders hartnäckig. Als sie in einer ihrer Mails an Leo schreibt, er sei ein passiv aggressiver Idiot, nimmt der die Herausforderung an und zwischen beiden entwickelt sich schnell ein reger Mail-Verkehr. Beidseitiges Interesse ist geweckt.
"Liebe Emma Rothner, darf ich Emmi sagen?
Ist das ein virtuelles Freundschaftsangebot?"
Außer dass sie in derselben Stadt leben, wissen Emma und Leo nicht viel voneinander. Den jeweils anderen zu googeln, ist tabu, sich ineinander zu verlieben eigentlich auch. Denn sie ist verheiratet und er noch nicht über seine langjährige Partnerin hinweg, die sich kürzlich von ihm getrennt hat.
"Soll ich mich etwa schuldig dafür fühlen, dass ich eine Nacht mit meiner Ex verbringe, während du dein ganzes Leben mit Bernhard teilst?"
Ihre Finger fliegen also nur so über die Tasten. Der Zuschauer hört entweder die inneren Stimmen von Emma und Leo, wie sie die Nachrichten schreiben und einsehen, oder aber er kann sie direkt mitlesen und so mitfiebern, ob es jemals zu einer realen Begegnung der beiden kommen wird.
Kein reiner E-Mail-Film
Aus Glattauers E-Mail-Roman ist – aus nachvollziehbaren Gründen – kein reiner E-Mail-Film geworden. Szenen aus dem Alltag von Emma und Leo ergänzen die Konversation, und es wäre wünschenswert gewesen, wenn Regisseurin Vanessa Jopp die Kraft der Worte noch stärker in entsprechende Bilder transformiert und somit das Medium Film zu nutzen gewusst hätte.
"Ich klebe an dir wie die Seepocke am Arsch des Buckelwals.
Du solltest wirklich an der visuellen Attraktivität deiner Gleichnisse arbeiten."
So ist es vor allem den zwei Hauptdarstellern und den smarten Dialogen zu verdanken, dass "Gut gegen Nordwind" dennoch sehenswert ist. Nora Tschirner und Alexander Fehling gelingt es, auch ohne Anspielpartner allein durch Stimme und Mimik zu überzeugen.
"Das sind doch nur wir beide hier. Es sind doch nur wir beide hier auf unserer virtuellen Insel. Die ehrlichste Version von uns selbst."
Vielleicht aber ist es auch nur eine besonders verlogene Version. Aber halt! Das würde kaum zu dem romantischen Ideal passen, das diese nicht ganz kitschfreie Geschichte verkaufen möchte. Wer eine andere, spannendere Spielart einer Internet-Liebe sehen will, dem sei das erst vor wenigen Wochen in den Kinos angelaufene französische Filmdrama "So wie du mich willst" mit Juliette Binoche empfohlen.