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Film der Woche: "Joker"
Empathy for the Devil

Kein Fan der zahllosen Comic-Verfilmungen? Kein Problem! "Joker" von Todd Phillips ist ein Film selbst für Menschen mit Superheldenallergie: eine düstere Charakterstudie mit Gegenwartsbezug, die die Herkunft des Oberschurken von Gotham City klärt.

Von Jörg Albrecht | 08.10.2019
Joaquin Phoenix als Joker steht vor einem Spiegel, wodrauf in roter Schrift steht "Put on a happy face"
Immer lächeln und ein Grinsen aufsetzen - Joaquin Phoenix als Joker (www.imago-images.de)
"Ich dachte immer, mein Leben wäre eine Tragödie. Aber jetzt weiß ich: Es ist eine Komödie."
Viel wissen wir nicht über ihn. Die Vita des Jokers ist ein weißes Blatt Papier. Die Gelegenheit also für Regisseur Todd Philipps, eine Joker-Biografie vollkommen neu zu erfinden. Doch nicht nur als Selbstzweck oder um die Leerstellen der Comics endlich auszufüllen. Phillips verknüpft das persönliche Schicksal des Jokers mit den sozialen Unruhen in Gotham City. Das Ergebnis ist keine Comic-Verfilmung, kein Superheldenabenteuer, sondern eine Charakterstudie: beunruhigend und gewalttätig. Offenbar zu gewalttätig für zahlreiche Kinogänger in den USA, die wohl einen anderen Film erwartet haben.
"Bilde ich mir das nur ein, oder wird die Welt immer verrückter?"
Lächeln und Grinsen
Gotham City steht 1981, dem Jahr, in dem der Film spielt, vor dem Kollaps. Verbrechen, Arbeitslosigkeit und Geldnot prägen das Bild der Stadt, die Kluft zwischen den Armen und den Reichen wird immer größer. Längst haben sich Teile der Bevölkerung radikalisiert und machen auf den Straßen ihrem Unmut Luft. Diese explosive Stimmungslage erlebt auch der Mann, der sich später in den Joker verwandeln wird. Er heißt Arthur Fleck:
"Meine Mutter sagt immer, ich soll lächeln und ein Grinsen aufsetzen."
Das versucht Arthur Tag für Tag, wenn er im Clownskostüm auf der Straße steht und Werbung für Sonderangebote macht. Sein auffälliges Lachen, das oft unkontrolliert aus ihm herausbricht und das Teil einer bei ihm diagnostizierten neurologischen Störung ist, hat Arthur zum Sonderling abgestempelt.
"Könnten Sie mal aufhören meinen Sohn zu belästigen!"
"Tut mir leid."
Er sieht sich Anfeindungen ausgesetzt und wird sogar zusammengeschlagen. Erst verliert Arthur seinen Job, dann auch die Unterstützung durch den sozialen Dienst der Stadt. Seine Therapiestunden können nicht weiter finanziert werden.
"Das heute ist unsere letzte Sitzung."
"Sie hören nie zu, oder? Sie stellen mir jede Woche dieselben Fragen: Haben Sie irgendwelche negativen Gedanken? Ich habe ausschließlich negative Gedanken."
Gratwanderung zwischen Sympathie und Empathie
Aus diesen Gedanken werden durch die Verkettung weiterer unglücklicher Umstände Taten. Genauer gesagt werden es Bluttaten. Unerkannt unter seiner Clownsmaske wird Arthur seine ersten Morde begehen. Dass der Mob auf den Straßen allerdings mit einem Serienmörder sympathisiert und ihn zum Symbol des Aufstands gegen das Establishment macht, ist eine durchaus fragwürdige Haltung.
Die Darstellung des Protagonisten gerät immer mehr zu einer Gratwanderung zwischen Sympathie und Empathie für eine gequälte Seele. Die wird perfekt verkörpert von einem ausgemergelten Joaquin Phoenix. Es ist eine jener beängstigenden Metamorphosen eines Schauspielers in der Filmgeschichte: physisch wie psychisch.
"Bilde ich mir das nur ein oder wird die Welt immer verrückter?"
Kraftvolle und gallige Hommage
Arthurs Eindruck resultiert zwar aus den Vorgängen in Gotham City 1981. Doch mit seiner Aussage rekurriert der Film die Gegenwart. Es ist eine düstere, hoffnungslose Zustandsbeschreibung und die Inszenierung gleichzeitig eine kraftvolle und gallige Hommage an zwei Martin-Scorsese-Filme: an "King of Comedy" und "Taxi Driver" – beide mit Robert De Niro in den Hauptrollen. Todd Phillips ist ein formal starker, inhaltlich nicht immer überzeugender Film gelungen.
Auch De Niro hat Phillips übrigens besetzt. Er spielt Murray Franklin, den Gastgeber einer Late-Night-Show im Fernsehen. Einst das große Idol von Arthur Fleck. Bis zu dem Tag, an dem ihn Murray vor der ganzen Nation zur Lachnummer macht.
"Seht euch den an!"
"Als ich ein kleiner Junge war und den Leuten erzählt habe, dass ich später einmal Comedian werde, haben mich alle ausgelacht. Tja, und jetzt lacht keiner mehr."
"Das kannst du laut sagen, Kumpel."
Auf der großen Bühne – dort also, wo er schon immer hinwollte, um die Leute zum Lachen zu bringen … dort wird sich Arthur der ganzen Welt mit einem Paukenschlag präsentieren und endgültig unter seinem neuen Namen.
"Murray, eine kleine Sache noch!"
Ja?"
"Wenn Sie mich ankündigen, können Sie mich als Joker vorstellen?"