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Film der Woche: "Official Secrets"
Offene Geheimnisse

Eine Geheimdienstmitarbeiterin im moralischen Konflikt: Nachdem ihr ein Dokument zugespielt wird, das Manipulationen der britischen Regierung im Irakkrieg belegt, stellen sich ihr Gewissensfragen. Katharine Gun leakt das Papier - und muss verheerende Konsequenzen in Kauf nehmen.

Von Hartwig Tegeler | 19.11.2019
Porträt von Keira Knightley and Gavin Hood
Keira Knightley and Gavin Hood bei der Filmpremiere von "Official Secrets" (imago images / Matrix)
2003. Die USA und Großbritannien bereiten den Irakkrieg vor, da findet Katharine Gun, Übersetzerin beim britischen Nachrichtendienst, in ihrem E-Mail-Eingang ein geheimes Memo. Darin fordert die NSA die britischen Kollegen auf, Mitgliedsstaaten des UN-Sicherheitsrats auszuspionieren. Angola, Bulgarien, Kamerun, Chile, Guinea und Pakistan sollen erpresst werden, um einer Irakkrieg-UN-Resolution zuzustimmen. Katharine gerät in einen Loyalitätskonflikt, entscheidet sich aber, das Dokument einem Journalisten zuzuspielen.
"Wer hat es dir gegeben?"
Die Redaktion des "Observer" hat mit der Mail zunächst Bauchschmerzen:
"Es stinkt gewaltig nach einer Fälschung, wie die 'Hitler-Tagebücher'. Und durch die Veröffentlichung haben Menschen ihren Job verloren. Und genau deswegen prüfen wir es so genau, Kamal!"
Die Journalisten veröffentlichen die Mail. Sofort beginnt im Geheimdienst die Jagd nach dem Whistleblower.
"Irgendjemand in diesem Gebäude hat seine Regierung und sein Land verraten."
Als die junge Frau Katharine erlebt, wie ihre Kollegen unter Druck verhört werden, gesteht sie. Sie wird des Geheimnisverrats angeklagt. Und damit tritt diese Katharine in "Official Secrets" in die aufregende Reihe der Film-Whistleblower.
Komplexe und ambivalente Figuren
Die Whistleblower sind im Kino komplexe, manchmal ambivalente Figuren. Die US-Polizistin Kathryn beispielsweise im Film "Whistleblower", die bei einem UN-Auslandseinsatz die Verantwortlichen für Mädchenhandel und Zwangsprostitution im Nachkriegsbosnien in den eigenen Reihen entlarvt. Doch sie macht gerade wegen ihrer Empathie Fehler und wird selber schuldig. Anderes Beispiel: Benedict Cumberbatch als Julian Assange in "Inside Wikileaks – Die fünfte Gewalt". Der erscheint als genialer, aber extrem egomaner Zeitgenosse. Und der Chemiker in Michael Manns Film "Insider" deckt zwar auf, dass die Tabakindustrie Suchtmittel in ihre Produkte mischt, ist am Ende aber ein gebrochener Mann. Ganz im Gegensatz zu den Watergate-Journalisten Woodward und Bernstein in "Die Unbestechlichen" von 1976. Ihre wichtigste Quelle: der Whistleblower "Deep Throat", bei dem sich erst 2005 herausstellte, dass der Mann in der Tiefgarage Mark Felt der stellvertretende FBI-Direktor war.
Ein wichtiger Unterschied zwischen "Die Unbestechlichen" und "Official Secrets": Keira Knigthley haftet in ihrer Darstellung von Katharine Gun nichts Kino-Heldenhaftes an, zumal sie den Irakkrieg ja gar nicht verhindern kann.
"Sie haben nur dieses Memo mitgenommen?"
"Ja."
"Niemand hat Sie dazu angestiftet?"
"Nein."
Das Leaken der NSA-Mail stellt sie zwar nie infrage ...
"Mein Motiv war es, einen Krieg zu verhindern und dadurch Leben zu retten."
... doch zu ihrer Zivilcourage zeichnet Gavin Hood noch eine andere, zutiefst menschliche Seite bei seiner Whistleblowerin: Verunsicherung, Angst, auch die vor der Reaktion des Staates ...
"Sie sind eine Spionin."
... und dessen Zurückschlagen, was ja, wie der Fall Snowden oder Assange zeigt, keineswegs eine Thriller-Fiktion ist.
Whistleblower sind essentiell für die Demokratie
Und mitunter hat man den Eindruck, als stehe Katharine dem Risiko der Strategie ihres Verteidigers, des Menschenrechtsanwalts Ben Emmerson - gespielt von Ralph Fiennes -, recht hilflos gegenüber: Der nämlich will der britischen Regierung die Unrechtsmäßigkeit ihrer Kriegsstrategie nachweisen, um so juristisch auf die Rechtmäßigkeit von Katharines Handeln zu schließen. Dass die Staatsanwaltschaft in der ersten halben Stunde des Prozesses - wie tatsächlich im November 2003 geschehen - die Anklage fallen lässt, erschien den Beobachtern damals eindeutig als politisches Manöver, um die Veröffentlichung weiterer geheimer Dokumente zu verhindern.
Eines aber macht "Official Secrets" klar, so wie die anderen Filme über Whistleblower: Diese Figuren der Zeitgeschichte, wie die ehemalige Übersetzerin des britischen Geheimdienstes, sie sind essentiell für die Demokratie. Katharine Gun sagt im Film:
"Ich sammle die Informationen nicht, damit unsere Mitbürger von der Regierung belogen werden können."