Donnerstag, 28. März 2024

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Film "Eisenstein in Guanajuato"
Opulente Hommage an einen Revolutionär des Kinos

Ein Jubelfilm, der den russischen Regisseur Sergej Eisenstein feiert, sollte "Eisenstein in Guanajuato" werden. Und das ist Peter Greenaway in seinem neo-barocken Panorama aus Sinneslust und Exzessen wunderbar gelungen, auch wenn er sich dabei einen eigenen Eisenstein zusammenfantasiert, meint unser Rezensent.

Von Rüdiger Suchsland | 12.11.2015
    Der britische Filmregisseur und Künstler Peter Greenaway beim Fototermin für die Aufführung seines Films "Goltzius and the Pelican Company" in Rom, aufgenommen am 11.11.2014.
    Der britische Filmregisseur und Künstler Peter Greenaway (picture-alliance / dpa / Claudio Onorati)
    "In 1931 the russian filmdirector Sergeij Eisenstein traveled to Mexico to make a film. It was tend to believe to be called 'Que Viva Mexico!"
    Mexiko, in den frühen Dreißigern. Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg schillert die Welt zwischen künstlerischem Aufbruch, wirtschaftlicher Krise und treibt allmählich auf den nächsten Krieg zu.

    Das sowjetische Filmgenie Sergei Eisenstein dreht gerade in Mexiko einen Film über die mexikanische Revolution: "Que Viva Mexico!" Finanziert wird der von den amerikanischen Linken: "Lieber Stalin, Sie haben vielleicht gehört, dass ich die Aufgabe übernommen habe, einen Film zu finanzieren, den der sowjetische Regisseur Sergeij Eisenstein gerade in Mexiko dreht. Es wird ein außergewöhnliches Werk und ich glaube sagen zu können: Es wird eine Offenbarung für die Filmkunst werden."
    So schreibt eine amerikanische Senatorengattin und Hollywood-Produzentin an den sowjetischen Diktator Josef Stalin, in der Hoffnung, durch Schmeichelei noch ein bisschen Geld für den Film zu bekommen.

    Einerseits ist Eisenstein zu jener Zeit einer der wichtigsten Repräsentativkünstler des jungen kommunistischen Staates. Andererseits hat man ihn dort unter Verdacht, nach Hollywood überlaufen zu wollen. Und bei den immer strengeren Parteizensoren galten seine Filme als bürgerlich, war Eisenstein fast schon in Ungnade gefallen.
    Ein Sturzbach aus Bildern und Einfällen
    Diese politisch-historischen Bezüge interessieren Peter Greenaway jedoch nur am Rande. In seinem neuen Film malt der große britische Filmemacher, der dem Kino eigentlich schon abgeschworen hatte, ein opulentes neo-barockes Panorama aus Sinneslust und Exzess, perfekt ausgeleuchteten, zugleich mit Kerzenlicht gewärmten Kulissen in großartiger Architektur und in den Hauptfarben Rot und Schwarz.
    Greenaway beschwört die heroische Frühzeit des Kinos, als die Filmemacher die Bildsprache der "Siebten Kunst" überhaupt erst erfanden. Zugleich fantasiert er sich ein eigenes Mexiko und einen eigenen Eisenstein zusammen. Denn er zeigt den großen Kollegen, bis heute einer der wichtigsten Pioniere des Kinos, als infantilen, sexuell unerfahrenen, kaum intellektuellen, dabei selbstbesoffenen und jedenfalls nicht sehr linientreuen Menschen. Eher ein trauriger Clown, als der harte, trickreiche Egomane, im Prinzip sehr pragmatische, wenn es sein musste, aber auch eisern konsequente Revolutionär des Kinos.
    In Mexiko, so behauptet Greenaway, fand Eisenstein seine schwule Initiation. Ansonsten hat er mit den Banausen aller Länder zu kämpfen, mit politischen Ränkeschmieden und Zensoren, sowie mit den geldgebenden Kapitalisten, die nur an Rendite denken, und an Gewinn.

    "What the hell does he know about film?"
    Wie von diesem Regisseur gewohnt, ist auch dieser Greenaway-Film ein Sturzbach aus Bildern und Einfällen: Neben Motiven des mexikanischen Totenkults spielen auch sehr explizite Sexszenen eine zentrale Rolle.
    Interesse weder an Eisenstein noch Kunstgeschichtsschreibung
    Filmisch ist "Eisenstein in Guanajuato" wunderbar, jedenfalls über weite Strecken. Greenaway verbindet historische Dokumentar-Bilder mit Split-Screens, also mehreren Bildern in einem, mit sorgfältiger Farbgestaltung. Mal ist alles sehr stilisiert und gelegentlich bühnenhaft und asketisch, dann wieder wild-opulent und im Ton schwankhaft-burlesk. Kunstproduktion als Komödie. Ein Spektakel, das erst im letzten Viertel ein bisschen ermüdet.

    Von der Filmgeschichte erfährt man hier nicht mehr, als eine Fußnote. Und auch wer noch nie von Frida Kahlo gehört hat, oder von Diego Rivera, der wird mit denen zwar nichts anfangen können, wenn sie mal am Bildrand erscheinen, aber er muss auch keine Angst vor diesem Film haben. Was Greenaway interessiert, sind weder Eisenstein noch Kunstgeschichtsschreibung. Es ist die Existenz des Künstlers an sich, als eines immer hungrigen, immer neugierigen, immer brachial-kreativen Wesens: "I am a Boxer for the freedom of cinematic expression."

    Er sei ein Boxer für die Freiheit des Ausdrucks, meint Eisenstein. Greenaway zeigt in seinem geistreichen, überbordenden Film, der manchmal etwas anstrengend ist, aber im Prinzip ein intellektuelles, wie sinnliches Vergnügen, wie die Begegnung mit der ganz anderen, so fantastischen wie labyrinthischen Welt von Mexiko für diesen Boxer zum kulturellen wie sexuellen Schock wurde: "In the West my film 'October' is called 'Ten days that shake the world". I shall consider these ten days as the ten days that shake Eisenstein."