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Film ist nicht alles

Sind sie jetzt gefangen im Netz oder bietet ihnen dieses Netz, das World Wide Web, im Gegenteil völlig neue Möglichkeiten - das fragten sich diese Woche Dokumentarfilmer auf dem Kongress Dokville 2008 in Ludwigsburg. Es ging um den Dokumentarfilm 2.0 und die Neuausrichtung der Zunft der Filmemacher.

Von Achim Killer | 07.06.2008
    Das Internet nimmt den klassischen Medien Werbe- und Verkaufserlöse weg. Und so wird dort denn auch das Geld für aufwändige Produktionen immer knapper. Zumindest sprachlich haben einige Dokumentarfilmer darauf reagiert und den richtigen Dreh herausgefunden. Sie nennen sich jetzt Dokumentaristen, wollen sich also nicht mehr auf ein Medium festlegen lassen. Wenn's gut läuft, machen sie nebenbei ein paar Euro im Netz. Wenn's sehr gut läuft, entstehen völlig neue Formen der Dokumentation:

    "Nun ich denke schon, dass diese neue Generation, die mit dem Netz aufwächst, ganz andere Wege des Erzählens und auch ganz andere Wege des Dokumentierens bringt. Es macht einen Unterschied, ob ich nach Südamerika gehe und einen Film drehe oder ob zum Beispiel die Hälfte des Films von Leuten in Südamerika gedreht und mir rübergeschickt wird. Das heißt, ich habe ganz andere Möglichkeiten zu arbeiten, ich habe ganz andere Möglichkeiten, in Netzwerken zu arbeiten, mit "Betroffenen" zu kooperieren. Und das sind die Möglichkeiten, wo ein neues Medium zugleich auch immer die Botschaft ist."

    So Lutz Berger von der Heidelberger Firma Edu-Tainment. Produktionen, wie er sie sich vorstellt, gibt es bereits. Im vergangenen Jahr drehte der US-amerikanische Independent Television Service "World without Oil". Das heißt: Eigentlich drehte das Studio gar nicht. Es ließ drehen. Es gab das Thema vor: die Verkappung der Energie-Ressourcen, und die Zuschauer, die so auch zu Produzenten wurden, erstellten dazu Clips und Audio-Beiträge und diskutierten die Produktion im Web.

    "Es ist sicherlich ein großer Schritt weg von dem, was wir als klassischen Dokumentarfilm bezeichnen. Die volle Expertise in diesem Web-2.0-Bereich wird da sehr sinnvoll eingesetzt und genutzt, so dass das sicherlich Dokumentarfilm 2.0 ist."

    Sagt Ulrike Reinhard vom Whois-Verlag aus Neckarhausen. Filmproduktion mit Hilfe von Social Software. Ihre Bilder überhaupt erst einmal zum Laufen gebracht haben hingegen die Dokumentar-Fotographen der renommierten Agentur Magnum. Gegründet wurde sie in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das Novum damals: Die Fotographen behielten die Rechte und Negative ihrer Aufnahmen. So hat sich bei der Agentur ein großer Fundus angesammelt. Heute stellt sie daraus Bildsequenzen zusammen und diese als Flash-Files ins Web. Unterlegt ist das Ganze mit o-Tönen, Musik und Kommentaren der Fotographen. Der Kulturwissenschaftler Dr. Matthias Christen:

    "Es ist ein ganz stark rhythmisierter Fluss von Bildern, einzelne bleiben länger stehen. Dann gibt es wieder Bewegtbildsequenzen. Das ist eine richtige Mischform zwischen Bewegt- und stillen Bildern."

    In der Online-Publikation "Slate" sind die Bilderstrecken zu sehen. Den Fotographen eröffnet dies die Möglichkeit, an der Zweitverwertung ihrer Aufnahmen zu verdienen:

    "Slate ist eine Form der Finanzierung. Und Magnum verkauft Beiträge an das Portal. Auf diesem Portal können die Nutzerinnen und Nutzer diese Magnum-Inhalte aufrufen. Das ist für die Nutzer kostenlos. Es gibt allerdings einen kurzen Werbevorspann. Und dadurch finanziert sich das."

    Geld ist wichtig. In erster Linie deshalb gehen Dokumentaristen schließlich ins Web. Allerdings entstehen dabei auch neue Darstellungsformen. Und fast immer beinhalten die auch eine Dokumentation über die Dokumentation. Man erfährt, warum sich ein Fotograph oder Filmemacher ein Thema ausgesucht hat, was ihn umtreibt und motiviert. Der Magnum-Fotograph Steve McCurry sagt, er wolle dazu beitragen, fremde Kulturen zu verstehen. Nicht mehr und nicht weniger.