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Film "Licht"
Maria Theresia von Paradis - eine blinde Pianistin der Mozartzeit

Maria Theresia von Paradis war eine Zeitgenossin von Mozart, selbst Musikerin, Komponistin und Wunderkind, obwohl sie mit vier Jahren ihr Augenlicht verloren hatte. Mit dem Film "Licht" erzählt Regisseurin Barbara Albert eine Episode aus Paradis Leben - eine bemerkenswerte Emanzipationsgeschichte.

Von Kirsten Liese | 29.01.2018
    Schwarze und weiße Tasten eines Klaviers
    Die Österreicherin Barbara Albert erzählt in ihrem Film "Licht" frei nach Alissa Walsers Roman "Am Anfang war die Nacht Musik" über die Musikerin Maria Theresia von Paradis. (imago/blickwinkel)
    Ihre Augen rollen wild umher, der Kopf ruckelt, die Lippen presst Maria Theresia von Paradis, genannt Resi, angestrengt zusammen, wenn sie musiziert. Die blinde Frau mit den ekstatischen Gebärden und der mächtigen Rokoko-Perücke ist eine berühmte Pianistin am Wiener Hof. Aber Achtung hat hier niemand vor der 18-Jährigen. Ihre Eltern präsentieren sie als Schaustück, die Soiree-Gäste sehen in ihr einen Freak. Denn in einer auf Konkurrenz und Pomp gerichteten Gesellschaft ist jede Besonderheit etwas wert.
    Konzertbesucher in einer Filmszene: "Sche is net, aber spiel’n tut’s gut. - Die Arme, sieht erbärmlich aus."
    Die Österreicherin Barbara Albert erzählt in ihrem Film "Licht" frei nach Alissa Walsers Roman "Am Anfang war die Nacht Musik" eine Episode aus dem Leben der Mozart-Zeitgenossin Maria Theresia von Paradis. Es ist die bemerkenswerte Emanzipationsgeschichte einer Frau, die sich ihres fragwürdigen Status einer Zirkusattraktion bewusst ist und mit ganzer Kraft danach drängt, ihr eng geschnürtes gesellschaftliches Korsett abzulegen.
    Filmszene:
    Resi: "Am Klavier da fühle ich mich wie ein General. Sonst bin ich ja nicht zu viel in der Lage. Ich weiß nicht, wo die Sachen sind. Am Klavier weiß ich, wo alles ist, was ich brauch, da hab’ ich eine Ordnung, die ich auch bewältigen kann. Ich weiß natürlich von meinen Freundinnen, dass Sehen noch schöner ist. Der nicht sehen kann, der wird auch nicht gesehen. Und wer nicht gesehen wird, der wird auch nicht gehört. Der lebt nicht."
    Hoffnungsvolle Kur bei Franz Anton Mesmer
    Maria Dragus, die ihre Augen so verdreht, dass man sie für eine echte Blinde halten könnte, ist die ideale Darstellerin der zunehmend selbstbewusster werdenden Pianistin. Zahlreiche Ärzte haben sie schmerzreich mit Quecksilber und Schwefel behandelt und schließlich für unheilbar erklärt.
    Jetzt kann allenfalls noch ein Alternativmediziner helfen, einer wie Franz Anton Mesmer, der mit der Methode seines "Magnetismus" von sich reden macht. Zu ihm schicken ihre Eltern Maria Theresia 1777 für einige Monate zur Kur. Und tatsächlich ereignet sich dort etwas kaum für Möglichgehaltenes:
    Filmszene:
    "Da ist was, ich weiß nicht was, aber es ist jetzt noch immer da. - Mit geschlossenen Augen? – Ja es bleibt. – Können Sie es beschreiben? – Nein, aber es ist etwas. – Das ist die Farbe weiß. – Das tut weh. – Das ist kein Grund zur Sorge, Jungfer Paradis. Diese Empfindungen haben eine äußerliche Ursache. Sie beginnen das Licht wahrzunehmen."
    Fragliche Wiederkehr des Augenlichts
    Ob Maria Theresias Sehkraft wirklich wiederkehrt oder sie sich das nur einbildet, bleibt im Unklaren. Es ist bis heute auch nicht geklärt, wie es sich in Wirklichkeit zugetragen hat. Bei ihren ausgiebigen Recherchen konnte Regisseurin Barbara Albert keine eindeutigen Belege finden:
    Barbara Albert: "Es gibt tatsächlich sehr wenige Quellen, die bezeugen, wie es ihr gegangen ist. … Es sind immer nur Männer, die über sie schreiben und sie selbst hat leider nichts hinterlassen, wir wissen leider auch nicht, was sie über diese Zeit denkt, wo sie kurz geheilt war. Da gibt’s von ihr gar nichts."
    Aber für Barbara Albert spricht Vieles dafür, dass Maria Theresia wieder sehen konnte. Ihre körperlichen Qualen haben für die Filmemacherin einen tieferen Sinn.
    Barbara Albert: "Ich glaube, dass es so eine Art Seelenblindheit war, dass es vielleicht eine dissoziative Störung war, also dass Resi aus dem System treten musste, das System ihrer Eltern, ihrer Familie, die sie doch ziemlich unterdrückt und eingeengt haben, um geheilt werden zu können."
    Devid Striesow als einfühlsamer Psychologe
    Mithin kam es wohl weniger auf die von Mesmer beschworene unsichtbare Kraft des "Fluidums" an, als auf das Erleben von ein bisschen Menschlichkeit.
    Der großartige Devid Striesow gibt Mesmer folglich als einen zwar undurchsichtigen, so doch aber einfühlsamen, empathischen Psychologen. Er bietet Maria Theresia die Freiräume zur persönlichen Entfaltung, die ihre gnadenlosen Eltern ihr verwehrt haben und weckt ihre schöpferischen Kräfte am Hammerklavier. Mesmer, selbst ein versierter Cembalospieler, improvisiert er mit ihr im Duo über ein einfaches, scherzhaftes Motiv.
    Doch unter dem wachsenden Sehvermögen leidet zusehends Resis Klavierspiel. Zum Leidwesen des zornigen Papas greift sie häufiger daneben:
    Filmszene:
    Vater Paradis: "Sie dilettiert herum. Ihnen kann das natürlich egal sein. Ist ja nicht Ihre Tochter, wie ich betonen will. Wenn das der große Erfolg ist, dann wär’ sie ja besser wieder blind."
    Mesmer: "Das Nervensystem braucht seine Zeit, um sich zu gewöhnen."
    Gescheiterte Selbstbefreiung
    Aber Resi bleibt keine Zeit, als Sehende wird sie spornstreichs erneut zur "Sensation", Mediziner begaffen und begutachten sie. Die Inspektion nimmt kein gutes Ende.
    "Licht" ist ein feiner, sinnlicher, mit stilsicherer historischer Ausstattung auch optisch ansprechender Film, der, obwohl die Heldin nach der gescheiterten Selbstbefreiung erneut erblindet, nicht tragisch endet.
    Die verzopfte adlige Gesellschaft, die Barbara Albert bisweilen in ihrer affektierten Bösartigkeit überzeichnet, kann die starke Frauenpersönlichkeit in ihrer Entwicklung nicht aufhalten. Als angehende Komponistin wird Maria Theresia von Paradis zu einer Vorreiterin der Moderne. In der letzten Einstellung spielt sie eines ihrer ersten eigenen Stücke, eine Fantasie in G-Dur.