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Film über Gewalt und Rassismus in den USA
Die Spaltung des Landes begreiflich gemacht

Der Wahlkampf in den USA hat gezeigt, wie weit verbreitet der Rassismus immer noch ist. Wo seine Ursprünge liegen, zeigt eindrücklich der Film "Free State of Jones" von Gary Ross mit Oscar-Preisträger Matthew McConaughey in der Hauptrolle. Er beruht auf einer wahren Geschichte zur Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs.

Von Hartwig Tegeler | 09.11.2016
    Matthew McConaughey in Cannes
    Matthew McConaughey in Cannes (dpa / Hubert Boesl)
    "Warum sind die hinter Ihnen her?" Fragt Moses, der entlaufene Sklave, den Weißen, der sich nun auch im Sumpf am Mississippi versteckt hat. "Desertiert." - "Und warum?" - "Das ist nicht mein Krieg, weißt du. Ich habe keine Sklaven. Und ich will nicht sterben, damit die Baumwollfarmer reicher werden."
    Nein, kein bisschen "Vom Winde verweht"-Südstaaten-Flair gibt es in "Free State of Jones". Und auch, wenn hier, in Gary Ross' Film, geschossen, geritten, geblutet und gestorben wird, geht diesem Bürgerkriegsfilm auch jeder Westernhelden-Mythos à la "Der letzte Befehl" von John Ford mit John Wayne ab. Kriegsrealität in "Free State of Jones" sieht so aus: Wenn Newt, Südstaaten-Sanitäter, bei der Schlacht von Corinth im Jahre 1862 die Verwundeten vom Schlachtfeld schleppt, haben sich die Hausschweine schon über die Leichen der anderen Soldaten hergemacht. Und die "Ehre", ein favorisierter Begriff in Kriegs- und speziell in Filmen über den Amerikanischen Bürgerkrieg, sie wird hier in diesem Film noch mitleidig zitiert.
    Wenn Newts Kamerad auf Newts Seufzer: "Ich kämpfe nicht mehr für ihre verdammte Baumwolle!" meint: "Ich kämpfe für die Ehre." Dann antwortet der nur hämisch: "Oh, das ist gut, Will!" Gleiches gilt für das Sterben: "Er starb mit Ehre, Newt!" - "Nein, er ist nur tot, Will."
    Mit wenigen Pinselstrichen zeichnet Regisseur Gary Ross seine Hauptfigur Newt, den armen Südstaatenfarmer, als Mann, der erkennt, dass ihn mit den Sklaven mehr verbindet als mit den reichen Plantagenbesitzern. Konsequent also, dass sich Newt, großartig gespielt von Matthew McConaughey, mitten im Bürgerkrieg an die Spitze einer Rebellion entlaufener Sklaven und Deserteure gegen die Südstaaten-Obrigkeit setzt. Im Südosten von Mississippi gründen sie - der Film beruht auf historischen Fakten - einen eigenen Staat: "Erklären wir das Land als 'Free State of Jones'."
    Nach dem Krieg explodiert der Rassismus
    Nach Hollywood-Logik würde der Film hier, nach seinen anderthalb Stunden, mit pathetischer Musik enden. Doch Gary Ross schlägt in den verbleibenden 45 Minuten ein weiteres brisantes Kapitel auf. 1864, mit Ende des Bürgerkrieges, besetzen die Nordstaaten den besiegten Süden, der "freie Staat im Jones County" löst sich auf, der Wiederaufbau, die sogenannte "Reconstruction", beginnt. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen explodiert der Rassismus, der Ku-Klux-Klan, der sich gründet, lyncht Tausende von befreiten Sklaven. Bedrückende Bilder findet "Free State of Jones" dafür. Und dann das Wahlrecht. Auf dem Papier existiert es seit 1866 auch für Ex-Sklaven. Auf dem Papier! In einer der eindrucksvollsten Szenen von "Free State of Jones" erzwingen Newt und seine Freunde - Ex-Sklaven - mit der Waffe das Recht, ihre Stimme abgeben zu können:
    "Republikanische Wahlzettel!" - "Die haben wir noch nicht." - "Ich werde Ihnen mal was erklären: Diese Männer hier wollen wählen. Und denen macht es viel weniger aus zu sterben als euch." - "Ich sehe mal, ob ich welche finde."
    Diese Szene aus diesem eindrucksvollen Film wirkt wie ein filmischer Link zum Anfang von "Selma", Ava DuVernays Martin-Luther-King-Film von 2015, in der die von Oprah Winfrey gespielte Afroamerikanerin in den 1960ern, also hundert Jahre nach der Sklavenbefreiung, vergeblich versucht, sich ins Wahlregister eintragen zu lassen. - Rassismus damals in den 1860ern, den 1960ern, Rassismus heute. Stichwort: "Black Live Matters". Und die schwarzen Opfer von Polizeigewalt, Rassismus im öffentlichen Diskurs nicht nur gegenüber Schwarzen, wie die Aussagen des neuen Präsidenten der USA, Donald Trump, im Wahlkampf deutlich gemacht haben: All das hat sich nicht erledigt. Filmisch, aber auch politisch bindet sich "Free State of Jones" mit "Selma" oder "12 Years A Slave", dem dreifachen Oscar-Gewinner von 2014, zusammen. Nach Gary Ross' Film wird man die Ursachen für den Rassismus in den USA, aber auch die Spaltung, die sich brutaler denn je durch das Land zieht, besser begreifen. Dass ein Spielfilm das schafft: Das ist großartig!