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Film über Ryuichi Sakamoto
Porträt eines bescheidenen Giganten

Ryuichi Sakamoto schreibt seit 40 Jahren Musikgeschichte: Von seinem Technovorläufer "The Yellow Magic Orchestra" bis zu seinen preisgekrönten Filmmusiken wie zu "Der Rückkehrer - The Revenant". In der Doku "Coda" lässt der Minimalist den Zuschauer nun an der Entstehung seines aktuellen Albums teilhaben.

Von Marco Müller | 12.07.2018
    Ryuichi Sakamoto in dem Dokumentarfilm "Coda"
    Ryuichi Sakamoto in dem Dokumentarfilm "Coda" (Stephen Numura Schible /Salzgeber GmbH)
    Seine Filmmusik zu Bernardo Bertoluccis "Der letzte Kaiser" ist für die Ewigkeit - genauso wie die zu Alejandro González Iñárritus "Der Rückkehr - The Revenant" mit Leonardo DiCaprio. Mit seinen Solo-Alben und Kollaborationen zum Beispiel mit Carsten Nicolai oder Fennesz prägte er das Ambient-Genre, und in den 1980er Jahren, da war er Schauspieler und Popstar, hatte zum Beispiel Hits mit Iggy Pop und David Sylvian. Und wenn man noch weiter zurückgeht, dann war seine Band "The Yellow Magic Orchestra" in den 1970er Jahren wohl das japanische Pendant zu "Kraftwerk": Ryuichi Sakamoto hat über 40 Jahre lang Musikgeschichte geschrieben, als Künstler im Business bestanden und sich bis heute weiter entwickelt. Der Kinodokumentarfilm "Coda" von von Stephen Numura Schible portraitiert diesen außergewöhnlichen Musiker. Ryuichi Sakamoto:
    "Angefangen hat alles 1983 mit 'Merry Christmas, Mr. Lawrence' von dem coolen Regisseur Nagisa Oshima."
    Ein japanischer Lagerhauptmann wird von einem britischen Kriegsgefangenen durch einen Kuss von einer Gräueltat abgehalten. Durch diese Szene mit David Bowie in der Rolle des Briten in Oshimas Kriegsdrama wurde Sakamoto berühmt und sein Filmsong "Forbidden Colours" machte den Japaner zum Popstar. Doch Pop-Glamour war für ein kreatives Chamäleon wie ihn nur eine Facette auf einer lebenslangen Suche nach Klängen.
    Stephen Schibble: "Hauptsächlich wollte ich in meinem Film zeigen, wie sich Mr. Sakamoto die Welt durch Klänge erschließt und wie seine Musik entsteht."
    So Stephen Schibbel, Regisseur des Dokumentarfilms "Coda", in dem das verschlossene Musikgenie dem Regisseur sein Studio öffnet - und damit sein künstlerisches Universum.
    "Ich wollte, dass das Publikum mit Mr. Sakamoto Klänge fühlt und miterlebt, wie das, was er hört, bei ihm Kreativität in Gang setzt."
    Vom Anti-Atom-Aktivisten zum Oscarpreisträger
    Dazu lässt der introvertierte Sakomoto die Kamera überraschend nah an sich heran. Im Film erlebt man ihn so als Anti-Atom-Aktivist, der einen Flügel aus der Sperrzone von Fukushima rettet, um darauf zu spielen. Man beobachtet ihn als Soundforscher, der verschiedene Flaschen ausprobiert, um Regentropfen darin aufzunehmen, die dann im Studio Teil seiner Musik werden. Und natürlich sieht man ihn als musikalischen Geschichtenerzähler, den Filme inspirieren - auserlesene Anekdoten inklusive - wie über den Soundtrack zu Bertoluccis "Der Himmel über der Wüste" nach dem Roman von Paul Bowles.
    Ryuichi Sakamato:
    "Ich wollte gerade mit der Aufnahme beginnen, da rief mich Bertolucci bei der Probe plötzlich zu sich: 'Das Intro gefällt mir nicht: Komponier' was anderes, jetzt gleich.' Vor mir standen 40 Orchestermitglieder... Ich hab gesagt: 'So schnell geht das nicht.' Er antwortete: 'Also Ennio Moriccone hat so was immer sofort gemacht...' Tja, ich dachte, wenn Ennio das kann, hab ich keine Wahl. 'Na gut', hab ich gesagt – und zum Orchester: 'Wartet eine halbe Stunde'".
    Eine Einladung, dem Künstler bei der Arbeit über die Schulter zu blicken
    Trotz solcher cineastischer Offenbarungen ist "Coda" aber vor allem ein Musikerporträt, in dem das Publikum eines kann und soll: Dem Künstler direkt und ausgiebig bei der Arbeit zusehen und -hören, um zu verstehen, wie seine Musik und dabei sein aktuelles Album "Async" entsteht.
    Ryuichi Sakamato:
    "Dieses Zitat, was Paul Bowles am Filmende von 'Himmel über der Wüste' spricht, das will ich mit dem Satz in anderen Sprachen und Tönen kombinieren und ein Stück daraus machen."
    "Coda" ist - wie vielleicht viele der besten Musikstücke auch - ein Solo, das sich dem Minimal-Musiker ohne große Stilisierung oder Zeitzeugen angemessen nähert und sich dabei auf das Wesentliche beschränkt, nämlich allein ihn selbst. Dem US-Japaner Stephen Schibble ist damit eine der intensivsten Musik-Dokus der letzten Jahre gelungen - über einen bescheidenen Giganten, der sich auch heute noch - nach 40 Jahren Musikgeschichte - vor Konzerten vorstellt und das Publikum bittet, es sich bequem zu machen, bevor er in sich versunken zu spielen beginnt.